CHRISTentum.ch
Ein Portal für das Christentum in der Schweiz




Predigt vom 26. September 2004, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch in der Kirche von Zürich-Matthäus

Mutter Teresa - Reinheit

"Selig sind, die ein reines Herz haben,
denn sie werden Gott schauen."
Matthäus 5,8

Vor 25 Jahren erhielt eine kleine Frau mit grosser Wirkung den Friedensnobelpreis zugesprochen. Die Rede ist von einer überzeugten Christin, die ihren Glauben auf ganz besondere Weise konsequent in die Tat umgesetzt hat und unter dem Namen "Mutter Teresa" auf der ganzen Welt zu einem Begriff für das "Praktische Christentum" geworden ist.
Als sie 1979 den Friedensnobelpreis überreicht bekam, hielt sie in der Aula der Universität Oslo dem Westen eine beschämende Predigt: "Wenn Sie den Armen den Rücken zuwenden, so wenden Sie ihn Christus zu. Er hat sich selbst zum Hungrigen gemacht, zum Nackten, zum Heimatlosen, so dass Sie und ich Gelegenheit haben, ihn zu lieben!"

Mutter Teresa  erblickte das Licht der Welt am 27. August 1910 als Agnes Ganxhe Bojaxhiu in Skopje, einer albanischen Stadt im Kosovo. In der wohlhabenden, glücklichen Familie wurde sie "Ganxhe" genannt, d.h. albanisch "Knospe". Mit neun Jahren beklagte sie den Verlust ihres Vaters, der offenbar aus politischen Gründen umgebracht wurde.
Als zwölfjähriges Mädchen hörte sie in der Kirche Predigten von Jesuiten, die als Missionare in Indien wirkten. Zum ersten Mal verspürte sie den Wunsch, in die Mission zu gehen. Sechs Jahre später beendete sie die Schule und schloß sich einem Orden an, der in Indien tätig war (Das war damals für eine Frau der einzige Weg, in die Mission zu kommen). Aus Verehrung für die hl. Therese von Lisieux nannte sie sich fortan Teresa.
Nach Beendigung ihres Noviziats kam sie an die High School der Loretoschwestern in Kalkutta, ließ sich zur Lehrerin ausbilden und unterrichtete Töchter aus besserem Hause in Geschichte und Erdkunde. Bald war sie dort in leitender Stellung tätig.
Als 36-Jährige verspürte sie unter dem Eindruck der elenden Verhältnisse, in denen die Armen lebten, den Ruf, die Schwesterngemeinschaft zu verlassen, um sich ganz dem Dienst an den Armen zu widmen. Im Kloster begegneten ihr ob dieser kühnen Pläne Feindseligkeit und Mißtrauen. Sie litt darunter und wurde krank. Doch der Erzbischof von Kalkutta spürte, daß Gott große Pläne mit dieser Ordensfrau hatte, und entschloß sich, sie zu unterstützen. Zwei Jahre später, 1948, legte sie mit Genehmigung des Papstes das Ordenskleid der Loretoschwestern ab und verließ das Kloster, um sich als Krankenpflegerin ausbilden zu lassen. Bald erhielt sie Gefährtinnen, mit denen sie die Gemeinschaft "Missionarinnen der Nächstenliebe" bildete, die von Rom offiziell anerkannt wurde.
In Kalkutta, einer riesigen Stadt, deren genaue Einwohnerzahl niemand kannte, war das Elend grenzenlos. Als erstes beschäftigten Mutter Teresa die Menschen, die von allen verlassen am Straßenrand starben. Die beherzte Schwester meinte: "Sie sind Kinder Gottes, sie sollen mit einem Lächeln auf den Lippen sterben können", und sie gründete 1952 ihr erstes großes soziales Werk, das Haus für die Sterbenden. Je zwei Jahre später folgten das Haus für Kinder und das Dorf für Leprakranke.
In der Folgezeit entstanden auf der ganzen Welt Zentren, Häuser und Gemeinschaften von Frauen und Männern, die sie gründete. Viele sahen in ihr eine "Heilige"; sie wurde "Engel von Kalkutta" genannt. Indira Gandhi sagte einmal: "Ihr gegenüber kommen wir uns alle ganz klein vor, und wir empfinden Scham vor uns selbst." Quer durch alle Religionen und Ideologien hindurch wurde ihr Werk geschätzt. Sie wurde mit allen erdenklichen Ehrungen und Preisen versehen.
Als ihr einmal geraten wurde, sie sollte Visitenkarten drucken lassen, denn eine Frau von ihrem Rang müsse doch welche haben, hörte sie den Herrn an, und sie ließ sich tatsächlich Visitenkarten drucken! Darauf ließ sich aber nichts anderes finden als zwei zum Gebet gefaltete Hände, ihr Name und die Worte:

"JESUS ist glücklich, zu uns zu kommen,
als die WAHRHEIT, die gesagt werden will,
als das LEBEN, das gelebt werden will,
als das LICHT, das angezündet werden will,
als die LIEBE, die geliebt werden will,
als die FREUDE, die weitergegeben werden will,
als der FRIEDE, der verbreitet werden will."

Ihr Kommentar dazu: "Durch diese Karte bin ich im Einklang mit den Gepflogenheiten der wichtigen Leute, die ich oft treffe. Und zugleich verbreite ich einen guten Gedanken, eine Botschaft. Wer weiß, ob nicht jemand von denen, die diese Zeilen lesen, anfängt, über ihre wichtige Bedeutung nachzudenken. Auch so kann man Gutes tun." Teresa starb am 5. September 1997 kurz nach ihrem 87. Geburtstag im indischen Kalkutta.

Wie ein Kommentar zu ihrem Leben für die Ärmsten der Armen (für ihre Sterbenden, Kinder und Kranken) lesen sich nun die Gedanken der Mutter Teresa zum Stichwort "Reinheit":

"Rein ist ein Herz, das frei ist, frei zu geben, zu lieben, bis es weh tut.
Rein ist ein Herz, das dient; es liebt mit ungeteilter Liebe.

Ein reines Herz kann Christus leicht erkennen in den Hungrigen, in den Nackten, in den Heimatlosen, in den Einsamen, in den Unerwünschten, in den Ungeliebten, in den Aussätzigen, in den Alkoholikern, in dem Mann, der auf der Strasse liegt, unerwünscht, ungeliebt, ohne Fürsorge, hungrig ...
Er ist nicht nur hungrig nach einem Stück Brot, er ist hungrig nach Liebe ...
Er ist nicht nur nackt, weil ihm ein Kleidungsstück fehlt, sondern weil man ihm seine Menschenwürde genommen hat ...
Er ist nicht nur heimatlos, weil ihm ein kleines Haus fehlt, in dem er leben könnte, er ist heimatlos, weil er von allen abgeschoben wurde ... unerwünscht, ungeliebt, unversorgt, abgelehnt ...

Er weiss nicht mehr, was menschliche Liebe ist, was Freude bedeutet oder menschliche Nähe.

Um in dem kümmerlichen Gewand dieser unserer Brüder und Schwestern Christus zu erkennen, brauchen wir ein reines Herz ... Ein reines Herz ist frei zu dienen, ein reines Herz ist frei zu lieben ...
Diese Armen, unsere Brüder und Schwestern, sind die Hoffnung der Menschheit auf Heil, denn in der Stunde unseres Todes werden wir gerichtet entsprechend dem, was wir für sie getan haben! Ob unsere Augen rein waren und Christus erkannten in dem kümmerlichen Gewand der Armen ... der Leidenden, der Unerwünschten, der Ungeliebten.
Auch wenn sie von unserer Gesellschaft als nutzlos ausgeschlossen wurden, sind sie Jesus."

Wenn wir die geltende Werteskala der Gesellschaft vor Augen halten, wird die Reinheit des Herzens nicht an oberster Stelle stehen, ja kaum vorkommen. Ich kann mir vorstellen, daß da eher folgende Worte stehen würden: Erfolg, Sicherheit, Abenteuer, Genuß, Reichtum.
Demgegenüber stellte Mutter Teresa die Reinheit des Herzens an den Anfang. Und sie sagte, das hat mit frei sein, lieben und dienen zu tun. Das sind alles Werte, die dem Leben Sinn geben. Ist es nicht so, daß heute viele Menschen schlichtweg um den Lebenssinn ringen? Ist der fehlende Lebensinhalt nicht die eigentliche Not von heute? Und wäre das ganze Leben nicht von daher, vom Lebenssinn her, zu gestalten? Würden sich nicht daraus all die übrigen Werte, die unser Leben lebens- und liebenswert machen, ergeben?

"Selig sind, die ein reines Herz haben,
denn sie werden Gott schauen."

Und Mutter Teresa sagte uns, wo wir diesen Gott auf Erden sehen: in Christus. Im Christus der Leidenden, der Unerwünschten, der Ungeliebten, der Verstoßenen. Wenn wir uns darauf einlassen, wird die gängige Werteskala umgestülpt; wir bewahren aber die Reinheit des Herzens, und unser Leben erhält Sinn. Es wird interessant, es bekommt Tiefgang.
Mögen wir einwenden: Ja, schaffen wir das? Können wir jemals so gute Menschen sein? Von uns aus vielleicht nicht. Aber: wir können es uns geben lassen. Das ist auch eine Gnade. Im Alten Testament (3. Mose 19,2) lesen wir:

"Ihr sollt heilig sein,
denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig."

Gott heiligt uns. Er reinigt unsere Herzen. Er macht uns frei zur Liebe und zum rechten Dienst. Die Gläubigen des Urchristentums nannten sich: "hoi hagioi" (gr.), die Heiligen. Und sie taten dies nicht, weil sie das von sich aus waren, mit eigenen Kräften, sondern weil Gott uns heiligt. Der Glaube heiligt uns. Er macht unsere Herzen rein, immer wieder aufs Neue.
Deshalb dürfen wir den Mut haben, im Schwachen, Niedrigen, Kleinen das Große und Erhabene zu sehen und ihm zu dienen. So erhalten wir unser Herz rein, und davon hängt alles andere ab.



Predigt zum Thema "Freude"


last update: 03.08.2015