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Arbeit


Schon Laotse empfahl, das Werk zu vergessen, sobald es beendet ist.

Keine Arbeit ist so einfach, dass sie nicht kompliziert ausgeführt werden könnte.
Murphy's Law

Es ist im Menschenleben wie bei meinen Immi (Bienen): Ich stelle ihnen im Frühling die Rähmli in den Kasten, bauen müssen sie selber. Es ist mir, Gott gebe und bestimme jedem Menschen seinen Lebensrahmen, ausfüllen muss ihn der Mensch selber. Das Rähmli zeigt den Immi, wo sie anfangen sollen und aufhören müssen. Die Rähmli aber können sie nicht selber machen.
"Mein Nachbar Hidschi", von Pfr. Emil Marty, 1895-96 in Serneus GR (Zitiert in: Jakob Vetsch, Das Gotteshaus zu Serneus, Klosters 1979)

Mein Erfolgsrezept ist einfach: zehn Prozent Inspiration, neunzig Prozent Transpiration.
Rolf Kauka (Schriftsteller, Zeichner, gilt als "deutscher Walt Disney", kreierte die legendären Comic-Figuren "Fix und Foxi"; Deutschland, 1917 - 2000)


Predigt 5. Juni 1994 Wartau-Gretschins SG, Pfr. Jakob Vetsch

Von der Arbeit 

(Zwischen Mühsal und Lust: Die Arbeit. Das biblische Verständnis menschlicher Tätigkeit in der modernen Erwerbsgesellschaft, Vortrag von Pfr. Dr. Stefan Streiff, Zürich, gehalten an der Abgeordnetenversammlung des Diakonieverbandes Schweiz am 20.4.1994 in Kloten)

Den grössten Teil unseres Lebens verbringen wir Menschen mit zwei Dingen, nämlich mit Arbeiten und Schlafen, mit Tätigkeit und Musse. Wir beleuchten nun die Arbeit. Wir fragen nach dem Sinn und dem Ziel der Arbeit, nach ihrer Begründung und ihrer Ausrichtung. Jeder von uns kann dabei sein ganz persönliches Verhältnis zur Arbeit überdenken, neue Impulse empfangen und Kraft für die kommende Woche schöpfen. Die Predigt gliedert sich in drei Teile: Wie redet die Bibel von der Arbeit? Wie hat sich das in der Geschichte der Kirche ausgewirkt? Und: Was haben wir heute zu tun?

Zum ersten Teil: Wie redet die Bibel von der Arbeit? Um es gleich vorwegzunehmen: Die Bibel redet von der Arbeit in einem sehr sachlichen, nüchternen Ton. Es geht dabei um die Beschaffung der notwendigen Lebensgüter, um die Versorgung des eigenen Lebens (1.Thess. 4,9-11) und des Lebens von Mitmenschen (Eph. 4,28). Wer arbeitet, braucht keinen Mangel zu leiden, sondern hat genug Lebensmittel und materielle Güter. Die Faulheit kann in die Armut treiben (Spr. 6,6-11;10,4;12,11). Der arbeitende Mensch hat Anrecht auf einen Lohn (Jer. 22,13; Lk. 10,7; 1.Tim. 5,17f.), sei es in Form von Geld oder natürlicher Ernte. Die Güter, die erarbeitet werden, dürfen und sollen auch genutzt und genoßen werden (Ps. 128,2). Arbeit dient neben der Versorgung des Lebens auch dazu, ein freies, unabhängiges Leben zu führen (2.Thess. 3,10-12; Apg. 20,33-35). Sie ist Dienst am eigenen Leben und am Leben der Mitmenschen. Mit diesem sachlichen Ton ist auch gesagt, daß wir arbeiten um zu leben und nicht etwa leben um zu arbeiten. Wir leben zum Lobpreis des Herrn, und daß wir das tun können, dazu ist Arbeit vonnöten. Auf den ersten Seiten der Bibel wird der Mensch von Gott zum Herrscher, zum Hüter und Pfleger seiner Umwelt und Mitwelt eingesetzt (1.Mose 1,26-28). Nach dem Sündenfall wird´s zweideutig: "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." (3.Mose 3,17-19). Ist es aber nicht so, dass es dann auch am besten schmeckt?

Der weise Prediger Salomo (1,3.13;2,11) sieht die Arbeit gar als ein vergebliches Tun, das nichts Neues hervorbringt, keinen wirklichen Gewinn; sie ist vergebliche Mühe. Diese Einstellung sollte man nicht als blanken Pessimismus abtun. Es steckt die Erkenntnis dahinter, daß Arbeit das Leben nicht garantieren kann. Immerhin lesen wir in den Psalmen (127,2) ja auch den gutbekannten Satz "Den Seinen gibt´s der Herr im Schlaf." Im Grunde der Dinge vermag also nicht die Arbeit das Leben sicherzustellen, sondern etwas ganz anderes, nämlich nur die Güte und die Gnade Gottes. Darum hat die Arbeit in Verantwortung vor Gott zu geschehen (Pred. 3,23f.). Das Einbinden der Sklavenarbeit in die Verantwortung vor Gott hat beispielsweise zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen. Und die Propheten haben sich für ein gerechtes Verteilen von Kapital und Arbeit eingesetzt (Neh. 5,9-12). Vor Gott verantwortete Arbeit führt auch zu einem rücksichtsvollen Umgang in Bezug auf die Mitwelt. Arbeit ist also auch Dienst an der als Gottes Schöpfung verstandenen Welt und geschieht in Verantwortung vor Gott. Die Bibel betont auch den Rhytmus von Ruhe und Arbeit. Das eine ist ohne das andere nicht auszudenken. Schon nur in den Büchern Mose begegnet uns das Ruhegebot 15mal. Weil Gott in seinem Schöpfungswerk am siebten Tag geruht hat (1.Mose 2,1-3), soll das auch der Mensch tun (2.Mose 20,8-11; 5.Mose 5,12-14). Gott sei Lob und Dank, haben wir heute noch den Sonntag. Wir hätten ihn ohne die Bibel nicht. Denn "der Mensch lebt nicht vom Brot allein" (5.Mose 8,3; Mt. 4,4). Wiederum ist gesagt, daß der Mensch das Leben durch Arbeit nicht sicherstellen kann. Ruhe kann Zuhören - Hören auf das Wort des Herrn - bedeuten, im Gegensatz zu fehlgeleiteter Überaktivität, wie es in der Begebenheit von Maria und Martha (Lk. 10,38-42) zum Ausdruck kommt. Ruhe kann auch aktives Betrachten heissen, wie es der Hinweis Jesu auf die Lilien im Felde nahelegt (Mt. 6,28-42). So gesehen hat die Ruhe - das Schöpfen aus der unerschöpflichen Kraftquelle Gottes - eine große Bedeutung für die Arbeit. Sie bewahrt uns davor, arbeitssüchtig (work-aholic) zu werden, und sie gibt uns den Zugang zur Kraft Gottes. 

Deshalb wohl erzählt man sich vom alten Apostel Johannes, er habe gerne mit seinem zahmen Rebhuhn gespielt. Und eines Tages verwunderte sich ein vorüberziehender Jäger sehr über diese Angewohnheit des Gottesmannes. Es schien ihm, der Apostel könnte seine kostbare Zeit für wichtigere Dinge einsetzen. Deshalb fragte er ihn: "Warum vertust du deine Zeit mit einem nutzlosen Tier?" Johannes hielt erstaunt inne und gab zurück: "Weshalb ist der Bogen in deiner Hand nicht gespannt?" "Das darf ich nicht", erwiderte der Jäger, "sonst würde der Bogen an Spannkraft verlieren, und wenn ich einen Pfeil abschießen wollte, hätte er keine Kraft mehr." - "Junger Mann", belehrte ihn alsdann der bejahrte Apostel, "so wie du deinen Bogen immer wieder entspannst, so mußt du auch dich selbst immer wieder erholen. Sonst fehlt dir die Kraft für eine große Anspannung und du kannst nicht mehr tun, was notwendig ist." 

So also sieht die Bibel die Arbeit: Sie ist Dienst am eigenen und am Leben anderer; sie ist Dienst an der Schöpfung und geschieht in Verantwortung vor Gott; und sie stellt den Gegenpol zur Ruhe dar, mit der zusammen sie dem Lobpreis des Herrn dient.

Nun zur zweiten Frage: Wie hat sich das in der Geschichte der Kirche ausgewirkt? Da darf ein Wort zum protestantischen Arbeitsethos gesagt werden. Die Reformatoren haben eine neue Bewertung des Alltags vorgenommen, indem sie nicht nur die Meße und das Klosterleben als Gottesdienst ansahen, sondern das alltägliche Tun jedes Menschen als Dienst an Gott bezeichneten. Selbstverständlich ist der Mensch nur im Glauben an Gott gerechtfertigt, aber durch seinen guten Einsatz im Leben kann er die innere Gewißheit erlangen, zu den Geretteten zu gehören (Calvin). Er ist auch in seiner alltäglichen Arbeit ein Berufener Gottes, deshalb stammt das Wort "Beruf" aus jener Zeit (Luther). Was immer und wo immer wir etwas tun, wir tun es zur Verherrlichung und zum Lobpreis und zum Dienste des Herrn. Diese hohe, protestantische Arbeitsmoral bildete eine der Voraussetzungen für den Geist des Kapitalismus und den Aufschwung des Wirtschaftslebens. Wir wollen aber nicht vergeßen, daß Arbeit in der Bibel nie Selbstzweck, sondern vor Gott verantworteter Dienst am wahren Leben ist, an dem alle teilhaben. Und daß Ruhe vor Gott den Gegenpol zur Arbeit bildet. Wenn das vergeßen geht, dann kommt´s so heraus, wie wir in einem Gedicht aus der heutigen Zeit lesen, das Dieter Meier publiziert hat:

"In meinem Garten könnt ich sitzen Und lächelnd eine Flöte schnitzen. Am Tanz der Wolken mich erbau´n Und abends auf die Pauke hau´n. - Ich schaff es nicht, ich armer Knecht. Schon bald beschleicht mich Schuld. Und so ist´s Meister Zwingli recht, Wenn mich packt die Ungeduld. - Irgend etwas muß man schustern, Nicht nur, um sich aufzuplustern. Ein Zwerg im Leib, der mir befiehlt, Daß man dem Herrn den Tag nicht stiehlt. - Meierchen, du armer Tropf, Hast den Knast im eignen Kopf."

Nun, Zwingli ist der Reformator, welcher mit der Entwicklung des protestantischen Arbeitsethos am wenigsten zu tun hatte. Und sobald uns die Arbeit gefangen nimmt, ist unser Verhältnis zu ihr mißlungen. Dann müßen wir den "Zwerg" aus dem "Leib" verbannen, tief Luft holen und die Freiheit Christi atmen - und so verschwindet auch der "Knast" aus dem "eignen Kopf". Der gesunde Rhytmus von Muße und Arbeit ist das Entscheidende, und ob beide auf Gott ausgerichtet sind. Darauf kommt´s an. 

Drittens, zum Schluß: Was haben wir heute zu tun? Arbeit gehört zum Wesen des Menschen. Er hat von Gott den Auftrag, sich der Erde und allem, was lebt, anzunehmen. Ob der heute propagierte Freizeitmensch ein glücklicher Mensch sein wird, ist daher fraglich. In der Arbeit finden wir Kontakt mit der Mitwelt, ein Stück eigener Identität und Befriedigung sowie Selbstbestätigung. Sie beschert uns das Einkommen und eine gewiße Unabhängigkeit. Wir arbeiten in Berufen, d.h. wir sind zur Arbeit berufen, wir dienen im Alltag Gott. Möglichst viele Menschen sollten deshalb eine gute, menschenwürdige Arbeit haben. Das wird heute nur durch Arbeitsverteilung möglich sein; sie schützt vor der Überarbeitung weniger und der Wesensentfremdung vieler. Arbeitsverweigerung ist Behinderung der Lebensentfaltung, und Jugendarbeitslosigkeit stellt ein Vergehen an der nächsten Generation dar. Da Arbeit Dienst bedeutet, steht sie in einem Zusammenhang. Sie ist eingebettet in die Schöpfung, und sie ist immer auch Zusammen-arbeit. Ihr Gemeinschaftscharakter gewinnt immer mehr an Bedeutung. Was früher einzelne für sich geleistet haben, wird jetzt im Team zusammen bewältigt. Das ist manchmal schwer vorstellbar.

Vielleicht können wir diese Situation mit einer Schraube vergleichen, die in einem riesigen Panzerschiff mit tausend anderen Schrauben sitzt und zwei Stahlplatten zusammenhält. Eines Tages sagt die Schraube: "Ich will es mir ein bißchen bequem machen; das ist ja meine eigene Sache und geht niemand etwas an!" Aber als die anderen Schrauben hören, daß da eine etwas locker werden will, da protestieren sie und rufen: "Bist du verrückt? Wenn du herausfällst, dann wird es nicht lange dauern, bis auch wir herausfallen." Zwei größere eiserne Rippen schlagen auch Alarm: "Um Gottes willen, haltet die Platten zusammen, denn sonst ist es auch um uns geschehen." In Windeseile geht das Gerücht durch das ganze Schiff: "Die kleine Schraube hat was vor!" Alles ist entsetzt. Der riesige Körper des Schiffes ächzt und bebt in allen Fugen. Und alle Rippen, Platten und Schrauben senden eine gemeinsame Botschaft an die kleine Schraube und bitten sie, nur ja an ihrer Stelle zu bleiben, sonst werde das ganze Schiff untergehen, und keiner werde den Hafen erreichen.

Wir leben und arbeiten also immer in einem Ganzen. Jeder trägt seine Gnadengabe bei zu dem einen Haushalt, der letztlich dem Aufbau des Reiches Gottes dient. Schließlich bildet der zentrale Grundgedanke des biblischen Redens von Arbeit die Verbindung von Arbeit und Ruhe. Das sollten wir nicht vergeßen. Der Theologe Karl Barth hat in seiner "Kirchlichen Dogmatik" (Bd.III,4) mehr als 50 Seiten zur Ruhe verfasst und als Ausdruck des tätigen Daseins des Menschen vor Gott Worte gebraucht wie: Besinnlichkeit, Zerstreuung, Betrachtung, Beschaulichkeit. Wir dürfen und sollen wieder ein Gespür dafür entwickeln, daß Ruhe alles andere als unproduktive Zeit darstellt. In den Mußestunden, in denen der Mensch ausruht, ein Buch liest, ein Musikstück hört, wandert, sich an der Natur erfreut, Geselligkeit pflegt, sich entspannt - in solchen Stunden leistet der Mensch innere Arbeit, er wird sich selber gegenüber frei. Der übermächtige Kreislauf der Arbeit wird unterbrochen, und nur dadurch ist eine Öffnung gegenüber Gott und der Welt möglich. Dadurch ist es möglich, daß wir unser Leben einordnen, zu uns selbst finden und Gott treu dienen. Und das darf unser Leben sein: Dienst für Gott, Lobpreis Gottes, Freude in Gott, Nachfolge Christi. In allem dürfen wir auf ihn schauen, der uns vorausgegangen ist. Sein Wort leuchtet uns den Weg.


Die Arbeiter im Weinberg - Predigten - Im Schweiss deines Angesichts ...


last update: 03.08.2015