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Beichte


Ich selber erteile auch "Beichtunterricht", wir nennen es aber Religionsunterricht zur Vorbereitung auf die Versöhnungsfeier. Schon in diesem Wortwandel zeigt sich deutlich, dass hier eine Neuorientierung geschehen ist, gerade auch aus einigen unguten Erfahrungen früherer Kinder, die heute Erwachsene sind. In der sogenannten Beichte geht es nicht darum, dass wir nur unsere Schlechtigkeit herausstellen oder danach suchen. Sondern die Beichte ist ein freiwilliges Angebot Gottes an die Menschen. Es ist eine Tatsache: je älter und reifer der Mensch wird, um so bewusster wird ihm mehr und mehr sein Tun und Reden. Dabei kommt es vor, dass er sich schuldig macht oder fühlt. Ich weiss, dass ich mit diesem Thema nicht gerade im Trend der heutigen Gesellschaft liege, die sich weniger und weniger einer Schuld bewusst ist. In diesem Zusammenhang spricht man heute von der sogenannten "Unschuldsgesellschaft". Interessanterweise treffen die Psychologen und Therapeuten immer mehr auf dieses Thema Schuld bei ihren Patienten, ja müssen z.T. sehr oft feststellen, dass unaufgearbeitete und daher verdrängte Schuld - d.h. fehlende Verarbeitung und Versöhnung - oft zu psychosomatischen Störungen führt. Hier setzt das Sakrament der Beichte an. Sie will dem Menschen helfen, begangene Schuld zu verarbeiten und schliesslich zu einem versöhnten Leben zu finden. Es muss eingestanden werden ,dass die Kirche hier früher viele Fehler begangen hat, indem sie zu oft nur den Finger auf die Schuld und Sünde gelegt hat und das Ziel der Versöhnung aus den Augen verloren hat. So nach dem Slogan: ein gebeugter Mensch ist viel demütiger und weniger fähig nochmals eine Sünde zu begehen. 
Heut sieht es hier ganz anders aus. Die Kirche hat sich zurückbesonnen, wie wertvoll dieses Sakrament ist, gerade auch aus den Erkenntnissen der Psychologie heraus und auf die Rückbesinnung auf das Tun von Jesus. Denn er ist Massstab und Richtschnur, wie das Sakrament der Versöhnung auszusehen hat. Es ist nämlich ungeheuer interessant, wie Jesus mit dem Thema Schuld umgegangen ist. Und es ist beileibe kein Nebenthema. Nur am Range gesagt: seine Lösung der Schuldfrage und sein Umgang damit waren einer der Hauptgründe, die ihm sein Leben gekostet haben. Wir denken immer, dass wir zuerst brav sein müssen, damit wir etwas erhalten. Und so vermuten wir es auch bei Gott. Jesus kehrte dies radikal um. Er lädt einmal zuerst ein und vergibt, verschenkt Liebe ist gut ohne dies an weitere Bedingungen zu knüpfen. Nehmen Sie die altbekannte Geschichte von Zachäus (Lukas 19,1-10), dem von vielen Gläubigen verachteten und verhassten Zöllner, der Jesus von einem Baum aus beobachten wollte: Jesus tritt an ihn heran und lädt sich selber zu ihm ein (Zöllner galten damals als Kollaborateure mit der römischen Besatzungsmacht, waren verhasst und galten als Verräter am eigenen Volk). Total überrascht von einer nicht erwarteten Verhaltensweise Jesu erklärt er, sein Unrecht wiedergutzumachen. Jesus hat überhaupt nichts von ihm gefordert. Allein die Erfahrung, dass jemand ihn trotz allem mag, liess ihn so viel Freude erleben, die zu der oben genannten Änderung führte. Ich denke, wir machen mit unseren Kindern eine ähnliche Erfahrung. Durch das bedingungslose in die Arme nehmen des Kindes und es spüren lassen, dass es trotz allem geliebt ist, vermag das Kind viel leichter begonnenes Unrecht zuzugeben und ein Verhalten zu ändern als durch die Drohung von Liebesentzug oder heute abend kein Essen mehr oder in den nächsten Tagen nicht mehr zu den Freunden zu dürfen. Und wenn das Kind aufgrund der Drohung sein Verhalten ändert, dann tut es es nur aus Angst vor der Strafe aber nicht aus Liebe zu mir. Die Geschichte mit dem verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32) geht genau gleich: Der in die Fremde abgezogene jüngere Bruder merkt, dass sein Vater ihn immer zuvorkommend behandelt hat, ja es ihm zu Hause an nichts fehlen liess. Gegenüber dieser Güte des Vaters merkt er, dass er einen Blödsinn getan und er bereut und kehrt heim mit dem Vorsatz sich als Diener seinem Vater anzubieten. In Sichtweite des elterlichen Hauses kommt ihm der Vater entgegen, umarmt ihn und lässt sofort ein Fest organisieren, während der Sohn nicht einmal dazukommt sein Fehlverhalten vor seinem Vater einzugestehen. Kein Wort davon. Also kein Verharren auf Schuld und Sünde. Sondern die Tat allein zeigt ja schon die Änderung. 
Und es gäbe noch ein paar Geschichten, die zeigen, wie wir mit der Schuld umgehen sollten. Und immer geht es gleich. Gott bietet von vornherein ein Geschenk an ohne Bedingungen (ein Bankkonto ohne Limit), d.h. er liebt uns ungeheuer. Er erwartet allein, dass wir unser Leben als eine Antwort auf diese Verzeihung hin leben und auch andere so behandeln.

Und trotzdem macht der Mensch sich schuldig. Er darf aber wissen, dass es vor Gott niemanden gibt, der nicht trotzdem eine Chance hätte. Jesus verzieh vielen Menschen ihre Schuld und ihre Sünden, was nach dem damaligen Glauben der Juden nur Gott konnte. Was Jesus da tat, war eigentlich Blasphemie (Gotteslästerung). Er zeigte damit, dass wir Menschen einander die angelastete Schuld verzeihen sollen und dies nicht als eine nur in die Kompetenz Gottes fallende Sache betrachten sollen. So schickte er auch seine Jünger aus, dass sie helfen den Menschen, den ersten Schritt zu machen, sich gegenseitig zu verzeihen. Die Beichte, die Versöhnung vor dem Seelsorger, will helfen, die Schwellenangst des Menschen vor dem Eingeständnis der persönlichen Schuld zu nehmen und ihn nicht noch weiter in den Teufelskreis von Schuld - Krankheit - noch mehr Schuld fallen zu lassen. Der Seelsorger ist in diesem Sinn auch eine neutrale Person, die mir auch einmal helfen kann, festzustellen, ob das, was ich persönlich als Schuld betrachte, auch überhaupt eine Schuld ist. Zweitens ist es schon ungeheuer hilfreich, wenn ich überhaupt schon einmal meine Schuld zur Rede gebracht habe. Viele Therapien gehen davon aus. Drittens spricht mir der Seelsorger zu, dass wir gemeinsam Gott darum bitten, dass er mir helfe, weitere nötige Schritte Richtung Versöhnung zu tun. Und viertens ist der Seelsorger so etwas wie eine Triage-Stelle, um mich nötigenfalls an weitere "Helfer" wie Therapeuten, Psychologen oder Ärzte weiterzuempfehlen. Denn bei allem geht es zuerst darum, dass ich ein glückliches Leben führen möge.

Jetzt habe ich sehr sehr viel geschrieben, weil es mir ein grosses Anliegen ist und weil ich darin eine riesige z.T. sehr verkannte Chance sehe, ein glückliches Leben zu erreichen. Anhängen möchte ich nur noch folgendes: Ich bin jetzt vor allem vom Thema Schuld ausgegangen. Ich sehe aber das Sakrament der Beichte in einem noch weiteren Horizont: Für mich ist die "Beichte" eine Art spirituelle Begleitung auf meinem Glaubensweg, wo ich erzähle, wie es mir so geht, was mir gut tut und mich so freut, aber auch wo ich immer wieder anecke und immer wieder über dasselbe Verhaltensmuster stolpere. Und hier komme ich erst dann auf das "Negative", das "mich in meinem Leben Störende" zu sprechen. Meine guten und weniger feinen Seiten müssen darin zur Sprache kommen und immer in dem Sinn, wie finde ich ein reiferes und glücklicheres, befreiteres und ehrliches Leben.

Bruno Schmid, 3. Januar 2000


16.09.2015