Matthias Claudius
Es gibt Freundschaften, die im Himmel beschloßen sind und auf Erden vollzogen werden.
Der Mond ist aufgegangen
Seht ihr den Mond dort
stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.
So legt euch denn, ihr
Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
und lass uns ruhig schlafen
und unsern kranken Nachbarn auch.
Täglich zu singen
Ich danke Gott, und freue
mich
Wie’s Kind zur Weihnachtsgabe,
Daß ich bin, bin!
Und daß ich dich,
Schön menschlich Antlitz! habe.
Gott gebe mir nur jeden
Tag,
Soviel ich darf zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach;
Wie sollt er’s mir nicht geben!
BOTE ZWISCHEN DIESSEITS UND JENSEITS
"Claudius, Matthias, geboren 1740 in Reinfeld bei Lübeck (Schleswig-Holstein), gestorben 1815 in Hamburg. Ev. Theologe, Jurist, Bankrevisor, Schriftsteller, Herausgeber, Dichter, Texte der Lieder 540, 599, 749." Mit diesen Worten ist Matthias Claudius im Liederdichterverzeichnis des Gesangbuches der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz vermerkt. In seiner früheren Ausgabe war Claudius mit gar nur einem Lied, aber einem sehr berühmten und beliebten, vertreten: "Der Mond ist aufgegangen..." Wer war Matthias Claudius?
Beschreibungen von Leben und Werk des Matthias Claudius
beginnen
meistens
mit Zitaten, welche darlegen, wie ihn Zeitgenossen und andere gesehen
haben.
Goethe etwa bezeichnete ihn als "Fussboten, der gerne Evangelist
geworden
wäre", oder als "Narr, der voller
Einfaltsprätensionen
steckt".
Humboldt liess Schiller wissen, "von Claudius wisse er durchaus nichts
zu sagen, er sey eine völlige Null". Noch 1970 schrieb ein
theologischer
Autor, Claudius propagiere einen jeglicher Kreuzestheologie baren
Heilsegoismus,
rede der Leistungsfrömmigkeit das Wort, halte eine Harmonie
von
Glauben
und Vernunft für möglich und blende alles Tragische
aus
(Helmut
Burgert). Demgegenüber nannte ihn sein Zeitgenosse Lavater ein
"Genie
des Herzens", für Friedrich Jacobi war er ein wahrer "Bote
Gottes",
Eichendorff sprach von ihm als dem "wackeren Wandsbecker Boten, der
zwischen
Diesseits und Jenseits unermüdlich auf- und abgeht und von
allem,
was er dort erfahren, mit schlichten und treuen Worten
fröhliche
Botschaft
bringt", und Hermann Hesse charakterisierte ihn als "fromm in tiefster
Seele, mit einer gegen das Alter wachsenden Neigung zu einer
herzlichen,
doch engen Pietisterei, in den Wissenschaften nicht unbewandert, voll
Bedürfnis
nach beständigem Umgang mit Büchern, mit Kunst, mit
geistigen
Menschen. Und aus den beiden auseinanderstrebenden Elementen dieser
beweglichen
Seele, aus dem Streit zwischen Schönheitssinn und
Grobfädigkeit,
zwischen Bildungsdrang und Naturburschentum, zwischen Lehrhaftigkeit
und
Poesie entstand ein typisch deutscher Humor."
Die Zitate zeigen die Widersprüchlichkeit der Meinungen
über
diesen hervorragenden Geist, der in der Geschliffenheit und
Gelehrsamkeit
seiner Zeit geradezu als Unikum dastehen musste. Solche
Widersprüchlichkeit
der Beurteilung hat ihren Grund vielleicht in seinem besonderen Wesen,
in "den beiden auseinanderstrebenden Elementen dieser beweglichen
Seele",
wie Hesse es trefflich bemerkte.
Claudius selber beschrieb seine Person und sein Werk in einem "Valet" an seine Leser mit aller Bescheidenheit: "Ich bin kein Gelehrter und habe mich nie für etwas ausgegeben; und ich habe als einfältiger Bote nichts Grosses bringen wollen, sondern nur etwas Kleines, das den Gelehrten zu wenig und zu geringe ist. Das aber habe ich nach meinem besten Gewissen gebracht; und ich sage in allen Treuen, dass ich nichts Besseres bringen konnte." Matthias Claudius schrieb das als Herausgeber des Wandsbecker Boten. Er hatte es nicht nötig, sich für mehr auszugeben, als er war, denn er wusste darum, dass alles Grosse im Kleinen beschlossen liegt, und er durfte auf die Wirksamkeit seiner unmittelbaren und einprägsamen Sprache sowie auf die Klarheit seiner Gedanken, welche der Erfahrung entsprangen, vertrauen.
Der Pfarrerssohn erblickte das Licht der Welt am 15. August
1740 in
Reinfeld in Holstein. Er besuchte die Lateinschule in der kleinen Stadt
Plön und studierte in Jena Theologie und Staatswissenschaften.
Dort
war er Mitglied der "Teutschen Gesellschaft", die sich mit Sprache und
Literatur beschäftigte. Angeregt durch Vorbilder,
veröffentlichte
er bereits als Neunzehnjähriger "Tändeleien und
Erzählungen".
Nach Beendigung seines Studiums kehrte er für ein Jahr ins
elterliche
Pfarrhaus zurück. Im Jahre 1764 nahm er eine
Sekretärsstelle
in Kopenhagen an, wo er sich mit dem von ihm bewunderten Klopstock
befreundete.
Es hielt Claudius aber nicht lange in der geschäftigen
Grossstadt;
nach anderthalb Jahren schon suchte er nochmals sein Vaterhaus auf,
bevor
er als Achtundzwanzigjähriger endlich den Posten eines
schlechtbezahlten
Redaktors bei den "Hamburger Adress-Comptoir-Nachrichten" antrat. Er
schrieb
Gedichte und fingierte Briefe, Glossen und Betrachtungen, Rezensionen
und
Kritiken, Anektoten und Satiren, Polemiken, Parabeln, und er wurde in
dieser
Zeit in Hamburg mit Lessing bekannt.
1771 wurde Matthias Claudius als Leiter der viermal
wöchentlich
erscheinenden Zeitung "Wandsbecker Boten" berufen. Er zog also nach
Wandsbeck,
damals ein dänisches Dorf, eine Fussstunde von Hamburg
entfernt.
Seine
Aufgabe versah er - wie hätte es anders sein können!
- in
sehr
eigenwilliger und subjektiver Art, in dem er über alles und
jedes,
Gott und die Welt schrieb. Aber er war erfolgreich: Nach viereinhalb
Jahren
Leitung des "Wandsbecker Boten" konnte er es ab 1775 als einer der
ersten
wagen, als freier Schriftsteller zu leben.
In Wandsbeck fand Matthias Claudius seine Frau Rebekka, die Tochter
eines Tischlermeisters. Trotz ständiger Geldknappheit lebte er
mit ihr und zwölf Kindern fröhlich und zufrieden, wie
seine Briefe und Gedichte bezeugen. Wie
glücklich
die Verbindung war, lässt das Gedicht "An Frau Rebekka"
erahnen,
das
Claudius am Tag der silbernen Hochzeit vom 15. März 1797
schrieb
und
das so beginnt:
"Ich habe dich geliebet und will dich lieben,
So lang du goldener Engel bist,
In diesem wüsten Lande hier, und drüben,
Im Lande wo es besser ist."
In den 37 Jahren als freier Schriftsteller gab Claudius seine Werke in Form einer Zeitschrift heraus, deren acht Teile in sieben Bänden erschienen sind, und zwar unter dem Titel "Asmus omnia sua secum portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten". Drei Jahre später, am 21. Januar 1815, ist Matthias Claudius in Hamburg als betagter Mann gestorben.
Das ganze, langfädige Werk von Matthias Claudius werden wohl nur wenige Literaturwissenschaftler lesen. Es ist bei Winkler in München aufgrund von Erstausgaben und mit allen Illustrationen des "Asmus" sorgfältig ediert. Aber seine zahlreichen Perlen bleiben unvergessen. Ich denke an Lebensweisheiten aus seinem ergreifenden Brief "An meinen Sohn Johannes" aus dem Jahr 1799. Oder an den berühmten Sechszeiler:
"Der Mensch lebt und bestehet
nur eine kurze Zeit
und alle Welt vergehet
mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur Einer ewig und an allen Enden
und wir in seinen Händen."
Jakob Vetsch, in: Kirchenbote Kanton St. Gallen 1990/10
Matthias Claudius,
1799
AN MEINEN SOHN JOHANNES
Lieber Johannes!
Die Zeit kommt allgemach heran, dass ich den Weg gehen muss,
den man
nicht wieder kommt. Ich kann dich nicht mitnehmen; und lasse dich in
einer
Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig
ist.
Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier,
und fegen die Tenne.
Ich habe die Welt länger gesehen als du.
Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich
habe
manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich
verliess,
brechen sehen.
Darum will ich dir einigen Rat geben und dir sagen, was ich gefunden
habe, und was die Zeit mich gelehret hat.
Es ist nichts gross, was nicht gut ist und ist nichts wahr,
was
nicht
bestehet.
Der Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von
ungefähr
in dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andren Dinge hier,
mit
und neben ihm, sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist
sich bewusst ...
Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts
oder
links gehe.
Lass dir nichts weismachen, dass er sich raten könne und
selbst
seinen Weg wisse.
Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare siehet er
nicht und kennet sie nicht.
Spare dir denn vergebliche Mühe, und tue dir kein Leid, und
besinne
dich dein.
Halte dich zu gut, Böses zu tun.
Hänge dein Herz an kein vergänglich Ding.
Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir
müssen uns nach ihr richten.
Was du sehen kannst, das siehe, und brauche deine Augen, und
über
das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort.
Bleibe der Religion deiner Väter getreu, und hasse die
theologischen
Kannengiesser.
Scheue niemand so viel als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der
Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr
gelegen
ist
als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und
Ägypter.
Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du
sinnest
und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat ...
Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück,
Licht,
Freiheit und Tugend etc. geredet wird, da höre fleissig zu.
Doch
traue
nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser,
und
es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass sie die Sache
hätten,
wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber
nicht,
Sohn.
Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon
redet.
Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behende dahinfahren;
da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit
Gütern
hinter
sich haben, gehen langsameren Schrittes.
Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch
auf
der Gassen ist, da gehe fürbass.
Wenn dich jemand will Weisheit lehren, da siehe in sein Angesicht.
Dünket er sich noch; und sei er noch so gelehrt und noch so
berühmt,
lass ihn und gehe seiner Kundschaft müssig. Was einer nicht
hat,
das
kann er auch nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun
können,
was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll.
Und der ist nicht weise, der sich dünket, dass er wisse;
sondern
der
ist weise, der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache
des
Dünkels genesen ist ...
Wenn es dir um Weisheit zu tun ist, so suche sie und nicht das Deine,
und brich deinen Willen, und erwarte geduldig die Folgen.
Denke oft an heilige Dinge, und sei gewiss, dass es nicht ohne Vorteil
für dich abgehe und der Sauerteig den ganzen Teig
durchsäuere.
Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint, und du
weißt
nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne.
Es ist leicht zu verachten, Sohn; und verstehen ist viel besser.
Lehre nicht andre, bis du selbst gelehrt bist.
Nimm dich der Wahrheit an, wenn du kannst, und lass dich gerne
ihretwegen
hassen; doch wisse, dass deine Sache nicht die Sache der Wahrheit ist,
und hüte, dass sie nicht ineinander fliessen, sonst hast du
deinen
Lohn dahin.
Tue das Gute vor dich hin, und bekümmre dich nicht, was daraus
werden wird.
Wolle nur einerlei, und das wolle von Herzen.
Sorge für deinen Leib, doch nicht so, als wenn er
deine Seele
wäre.
Gehorche der Obrigkeit, und lass die andern über sie streiten.
Sei rechtschaffen gegen jedermann, doch vertraue dich schwerlich.
Mische dich nicht in fremde Dinge, aber die deinigen tue mit Fleiss.
Schmeichle niemand, und lass dir nicht schmeicheln.
Ehre einen jeden nach seinem Stande, und lass ihn sich
schämen,
wenn er’s nicht verdient.
Werde niemand nichts schuldig; doch sei zuvorkommend, als ob sie alle
deine Gläubiger wären.
Wolle nicht immer grossmütig sein, aber gerecht sei immer.
Mache niemand graue Haare, doch wenn du Recht tust, hast du um die
Haare nicht zu sorgen.
Misstraue der Gestikulation, und gebärde dich schlecht und
recht.
Hilf und gib gerne, wenn du hast, und dünke dir darum nicht
mehr;
und wenn du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers zur Hand, und
dünke dir darum nicht weniger.
Tue keinem Mädchen Leides, und denke, dass deine Mutter auch
ein
Mädchen gewesen ist.
Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du
sagst.
Hänge dich an keinen Grossen.
Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die
elendesten
unter allen Kreaturen.
Nicht die frömmelnden, aber die frommen Menschen achte, und
gehe
ihnen nach. Ein Mensch, der wahre Gottesfurcht im Herzen hat, ist wie
die
Sonne, die da scheinet und wärmt, wenn sie auch nicht redet.
Tue, was des Lohnes wert ist, und begehre keinen.
Wenn du Not hast, so klage sie dir und keinem andern.
Habe immer etwas Gutes im Sinn.
Wenn ich gestorben bin, so drücke mir die Augen zu,
und beweine
mich nicht.
Stehe deiner Mutter bei, und ehre sie, so lange sie lebt, und begrabe
sie neben mir.
Und sinne täglich nach über Tod und Leben, ob du es
finden
möchtest, und habe einen freudigen Mut; und gehe nicht aus der
Welt,
ohne deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des
Christentums
durch
irgend etwas öffentlich bezeugt zu haben.
Dein treuer Vater
last update: 03.05.2015