Freiheit
Möwen am Bodensee
Foto: Jakob Vetsch, 1991
Als ich Gefangener war in deinem Haus und die Türen noch
verschlossen
waren, plante mein Herz ständig zu fliehen. Jetzt, da du die Türen
und Fenster geöffnet hast, bleibe ich. Mit meiner Freiheit hältst
du mich gebunden. - Tagore
Vom Umgang mit Träumen
Gott pflegt sich selten deutlich und sofort erkennbar zu
artikulieren;
er wird oft erst im nachhinein erkannt (2. Mose 33,22). Er erscheint
dem
Elia eben nicht in Sturm, Erdbeben oder Feuer, sondern im "stillen,
sanften
Sausen" (1. Kön 19,11ff.).
Mein Arbeitsziel im seelsorgerlichen Umgang mit religiösen Erfahrungen
und Träumen ist es, die Wünsche der Ratsuchenden nach klarer
Wegweisung zu verstehen und ihre Befriedigung offen zu halten,
vorschnelle
Entscheidungen zu verhindern und Gott, wenn er sich denn offenbart hat,
herauszufordern, dies wie bei Samuel nochmals zu tun (1. Sam 3,10).
Denn
laut und klar artikuliert sich mit himmlischem Gehabe eher der Teufel,
d.h. in unserem Zusammenhang: die täuschende Seite Gottes. Gott selbst,
der Herr über Heil und Unheil, aber auch der Erretter in all der
Ambivalenz
unseres Daseins, schweigt meistens. Er verweigert die autoritäre
Führung,
die wir so gerne hätten. Er läßt uns frei. Es ist die grösste
Chance unseres Lebens, trotzdem und gerade deshalb auf Ihn zu
vertrauen.
- Dieter Stollberg
Eine alte Legende aus Israel
Als Gott, der Vater, am sechsten Tag seines Schöpfungswerkes
noch
einmal mit sich zu Rate ging, ob er den Menschen schaffen und wie er
ihn
schaffen sollte, da waren seine drei liebsten Töchter bei ihm: die
Weisheit, die Gerechtigkeit und die barmherzige Liebe. Zuerst trat die
Weisheit auf und sagte: "Vater, schaffe den Menschen nicht. Er wird
deiner
Weisheit nicht folgen. Die Menschen werden sich selbst zu Narren
machen.
Dafür ist deine Schöpfung zu gut! Gib sie dem Wahnsinn der Menschen
nicht preis." Gott schwieg.
Dann kam die zweite Tochter, die Gerechtigkeit, zu Wort und sagte:
"Vater, schaffe den Menschen nicht. Denn er wird deine Gerechtigkeit
verwerfen.
Es wird eine Schwester die andere verleumden vor dir und vor den
Menschen.
Es wird ein Bruder den anderen hassen, ja sogar töten. Die Menschen
werden sich um Gerechtigkeit nicht scheren. Sie werden in ihrer
Ungerechtigkeit
und in Angst und Hass die Hölle aus deiner Welt machen!" Und Gott
schwieg.
Da trat die dritte Tochter, die barmherzige Liebe, vor und sagte:
"Vater, was meine Schwestern vorbrachten, trifft zu. Es wird das
eintreten,
was sie vorausgesagt haben. Aber schaffe den Menschen doch! Schenke ihm
als einziger Kreatur Freiheit und Liebe. Zwar ist Freiheit
missbrauchbar
und Liebe verletzlich. Aber sie beide machen die Würde des Menschen
und deines Schöpfungswerkes aus. Ich will zu den Menschen hinabsteigen
und will sie Liebe und Freiheit lehren. Ich will sie selber lieben so,
wie sie sind. Dann erst wird deine Schöpfung vollendet sein. Denn
die Krone deiner ganzen Schöpfung wird Liebe sein. Ich gehe zu den
Menschen, und wenn es mich das Leben kostet." Da nahm Gott, der Vater,
diese seine Tochter in die Arme, küsste sie, und danach schuf er den
Menschen.
last update: 28.09.2015
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