Hugenottenkreuz
Eine Predigt von Pfarrer Jakob Vetsch zu Apg.
5,29-30
gehalten am 23. Juni 2002 in
Zürich-Matthäus
Vielleicht haben sie es auch schon mal jemanden als Schmuck tragen sehen: Das Hugenottenkreuz. Viele aber wissen wenig darüber, und deshalb bin ich der Sache mal nachgegangen.
Schauen wir es genauer an: Wir entdecken ein Grundkreuz, das Malteserkreuz aus dem Johanniterorden. Mit Tupfen, Perlen an den Enden ist es schön abgerundet. Auf dem Untergrund sehen wir eine Lilienkrone. Und schliesslich verfügt es meistens oben über eine Vorrichtung zum Anhängen, und unten über eine Taube, das Zeichen des Heiligen Geistes.
Es ist ein verträumtes, ja verspieltes Kreuz! Aber es zeigt sehr schön, wie sich der Glaube in alle Himmelsrichtungen fortbewegt, wie Kirche dynamisch zu sein hat, und wie der Glaube an den Gekreuzigt-Auferstandenen fruchtbar wird, wie er blüht wie die Lilien auf dem Felde, und wie Gott die Seinen mit der Schönheit der Perlen versieht! In allem aber braucht es den rechten Geist, die richtige Kraft dazu, wie es die Taube andeutet, den Heiligen Geist!
Als biblische Anklänge hören wir die Worte
Jesu aus der Bergpredigt:
"Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht
und spinnen nicht; ich sage euch aber, dass auch Salomo in all seiner
Pracht
nicht gekleidet war wie eine von diesen." (Matthäus 6,28-29)
Oder das Gleichnis von der Perle: "Wiederum ist das Reich der Himmel
gleich einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er aber eine
kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin, verkaufte alles, was er
hatte,
und kaufte sie." (Matthäus 13,45-46) Und aus dem Buch der
Offenbarung
(21,21) ein Bild für die himmlische Stadt, deren
"zwölf Tore
zwölf Perlen waren, je eins der Tore bestand aus einer
einzigen Perle."
Ein sehr schönes Kreuz also, das Hugenottenkreuz, ein
Schmuck für
die Glaubensrichtung der französischen Protestanten, ein
starkes eigenes
Zeichen! Das Kreuz bliebe ein Schmuck, ein unverbindliches
Schmuckstück,
wenn nicht Leben daran hinge. Und am Hugenottenkreuz hängt
tatsächlich
viel gelebter Glaube. Dieses Kreuz bekommt Gewicht durch das grosse
Leid,
das damit verbunden ist. Die Hugenotten wurden wie kaum eine zweite
reformierte
Glaubensgemeinschaft verfolgt, besonders seit der Aufhebung des Ediktes
von Nantes um 1685 im Zuge der Gegenreformation. Trotz
Auswanderungsverbot
flohen viele Gläubige aus Frankreich nach Deutschland, der
Schweiz,
den Niederlanden und nach England. Darum gibt es auch heute noch etwa
in
St.Gallen, Winterthur und Zürich die Église
française.
Viele Hugenotten liessen für ihren Glauben und die
Glaubensfreiheit
alles andere. Viele standen vor der Wahl: Unterwerfung unter eine
Ideologie,
ein ihrer Überzeugung entgegengesetztes System, oder Exil,
Elend,
Torturen, Tod. Sie haben sich für ihre Überzeugung
entschieden,
für das Leiden, für den Weg mit Jesus Christus,
für das
Leben!
Das hat ihrem Kreuz eine andere Bedeutung verliehen. Schauen wir es nochmals an: Die Lilienkrone wurde zur Dornenkrone. Die Tupfen, Perlen an den Kreuzenden wurden zu den Tränen, die sie vergossen haben ... Aus dem verspielten Kreuz wurde ein ernstes Kreuz. Der Kampf für die Freiheit ist immer ernst. Denn Freiheit, auch GLaubensfreiheit, ist nie selbstverständlich, auch bei uns und heute nicht ...
So ist heute das Hugenottenkreuz eine Herausforderung an alle Christen: Würden wir für unseren Glauben alles lassen? Sind wir so überzeugt, dass er unser wahres Leben ist, dass wir dafür Leiden auf uns nehmen würden? Oder ist der Glaube für uns ein Luxus, den wir uns vielleicht gerade noch leisten, wenn er uns etwas Sicherheit bietet, aber wenig Engagement und Bekenntnis abverlangt? Dann wäre er wie ein Teig, der nicht aufgeht.
Glaube will unser ganzes Herz und unseren ganzen Verstand und alle Kraft. Er wird dies nur erhalten, wenn wir geisterfüllt sind, ja wenn der Geist Gottes in uns wohnt! Dann nur sind wir bereit, für den Glauben das Leben zu lassen, um es unvergänglich wieder zu erhalten.
"Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und umgebracht habt." Diese Worte rief Petrus dem Hohen Rat zu (Apg. 5,29-30). Wir erhalten die Kraft dazu, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen und uns am Bekenntnis, an der Verkündigung und der tätigen Liebe nicht hindern zu lassen, wenn wir vom Geist des Herrn erfüllt sind. Und es macht uns frei und glücklich, denn wir dürfen unseren Weg zu Gott gehen, unseren Weg zu Gott!
Amen.
Das Jahr 1685 war ein schwarzes Jahr in der Geschichte des
französischen
Protestantismus. Mit dem Edikt von Nantes hob König Ludwig
XIV. alle
politischen, bürgerlichen und religiösen Rechte der
Hugenotten
auf. Mittels brutaler Militäreinsätze wurden viele
Protestanten
"bekehrt", aber gerade aus den gebildeten Schichten flohen die
Protestanten
zu Hunderttausenden ins Ausland. Mit ihnen verbreitete sich auch
ihr spezifischer Schmuck über große Teile Europas
und war
bald nicht mehr nur das Erkennungszeichen der französischen
Hugenotten,
sondern das reformierte Symbol überhaupt: das Hugenottenkreuz.
Wann und wo dieser Schmuck entstanden ist, liegt im Dunkel einer bewegten und leidvollen Geschichte. Einer Legende zufolge wurde ein katholischer Künstler einige Jahre nach der Aufhebung des Edikts von Nantes in Lyon Zeuge des Verhörs und der Hinrichtung von vier reformierten Pfarrern. Beeindruckt durch ihre Standhaftigkeit und Glaubenstreue, begann er sich mit dem hugenottischen Gedankengut auseinanderzusetzen, konnte für die Reformation gewonnen werden und entwarf unter dem Eindruck der Geschehnisse von Lyon und seiner neu gewonnenen religiösen Erkenntnisse das Hugenottenkreuz in seiner Urform: Vier doppelte Flammen, die von einem gemeinsamen Mittelpunkt (Christus) ausgehen und eine Art Malteserkreuz bilden. Die Kreuzesarme sind durch eine Krone verbunden, und um dem Ganzen ein wenig Eleganz zu geben, wurden die Spitzen des Kreuzes mit "Perlen" verziert.
Verbürgt ist allerdings nur der Name des Goldschmiedes Maistre aus Nîmes, der immer wieder in den Quellen mit dem Entwurf oder zumindest mit der Herstellung des Hugenottenkreuzes in Verbindung gebracht wird.
Sicher ist auch, dass um das Jahr 1688 das Hugenottenkreuz
bereits bekannt
und auch verbreitet war, bald auch in verschiedenen Variationen.
Ziemlich
bald nach seinem
Entstehen in der bereits genannten Urform wurde das Hugenottenkreuz
durch einen Anhänger erweitert. Es stellt dieser
Anhänger entweder
eine Taube oder einen
tropfenförmigen Gegenstand, auch "Träne" genannt,
dar. Der
Ausdruck "Träne" lässt an die Situation der
Verfolgung der Reformierten
in Frankreich denken und wird auch
dahingehend gedeutet. Allerdings handelt es sich bei der
"Träne"
um einen relativ neuen Fachausdruck, so dass er für die
Interpretation
dieser doch recht frühen Form des Kreuzes nicht
zulässig zu sein
scheint.
Eine andere Deutung spricht davon, dass es sich bei dem tropfen- oder birnenförmigen Anhänger um einen Gegenstand handelt, der in Südfrankreich, wo das Hugenottenkreuz ja entstanden sein dürfte, als "tisson" ("Stössel") bezeichnet wurde. Dieser Stössel wurde zum Vermahlen von Salz in einem Mörser verwendet. Man kann also den Anhänger so interpretieren, dass man sagt: die Reformation ist in Frankreich zerstoßen worden wie das Salz in seiner Schale, aber dennoch hat sie ihren Geschmack, ihre Würze nicht verloren.
Und noch eine dritte Art der Interpretation ist bekannt. In einigen Quellen wird der Tropfen auch als "Feuerzunge" gedeutet. Damit wird ein Zusammenhang hergestellt mit der Herabkunft des heiligen Geistes auf die Apostel während des Pfingstwunders (Apg. 2, 3). Die "Feuerzunge" findet ein ziemlich genaues Pendant in der zweiten Form von Anhängern an Hugenottenkreuzen, nämlich in der Taube. Auch sie ist Sinnbild für die Herabkunft des Geistes und in Anlehnung an das Taufevangelium Jesu (Mk. 1, 9-11) wird sie als das Symbol des Gottesgeistes schlechthin bezeichnet. Viele französische Reformierte nannten ihr Kreuz auch einfach nur "Saint Esprit" (Heiliger Geist).
Das Hugenottenkreuz entwickelte sich bald zu einem Zeichen der Zugehörigkeit zur Reformierten Kirche. Hier sei allerdings erwähnt, dass auf katholischer Seite das lateinische Kreuz dieselbe Funktion erfüllte. So geht aus einer Trauungsvorschrift aus dem Jahr 1739 hervor, dass alle zum Katholizismus Neubekehrten ihr Hugenottenkreuz einem Juwelier verkaufen mussten, dieser Verkauf bestätigt wurde und der oder die Betreffende vier Monate vor der Hochzeit ein lateinisches Kreuz zu tragen hatte. Dies wurde von den Hugenotten hauptsächlich deshalb abgelehnt, weil "man dem Kreuz Verdienste und Tugenden zuschreibt, die allein dem Gekreuzigten gehören" (G. Farel).
Als sich das Hugenottenkreuz bedingt durch die Emigration der französischen Reformierten auch im übrigen Europa ausbreitete, fand es eine spontane Aufnahme in den protestantischen Kirchen und wurde so zu einem sehr beliebten Schmuckstück, wird aber auch zum Beispiel auf Münzen immer wieder dargestellt. So auch auf jener Gedenkmünze, die anlässlich des 200jährigen Jubiläums des Toleranzpatents von Joseph II. im Jahr 1984 von der Reformierten Stadtkirche Wien herausgebracht wurde.
last update: 06.06.2015