Jakob
Vetsch
Glückliches Menschenherz!
NACHPREDIGTEN
ZU
HEINRICH LANG
Inhalt
Was heisst Busse?
Im Lichte Christi
Gibt es Gerechtigkeit?
Jesu Worte am Kreuz
Vom Weizenkorn
Das neue Leben
Die Wiedergeburt
Das Ewige im
Vergänglichen
***
Literatur
Heinrich
Lang (1826-1876)
Ein Flüchtling
bietet Heimat
In ihrer ersten freien Pfarrwahl bestimmte die
Werdenberger
Gemeinde
Wartau-Gretschins (Schweiz) am 26. November 1848 den
württembergischen
Flüchtling Heinrich Lang zu ihrem neuen Prediger und
Seelsorger.
Der glühende
Vertreter einer fortschrittlichen Theologie und Kirche bot sodann als
Pfarrer
und Schriftsteller in der Schweiz unzähligen Zeitgenossen eine
religiöse
Heimat. Seine Seelsorgetaetigkeit führte ihn auch nach Meilen
am
Zürichsee
und schliesslich in die Stadt Zürich an die Peterskirche, wo
er
als Nachfolger
Heinrich Hirzels am 13. Januar 1876 sein Leben beschloss.
Im Pfarrhaus zu Frommern, einem kleinen
Dörfchen auf der
schwäbischen
Alb, erblickte am 14. November 1826 Heinrich Lang das Licht der Welt.
Er
entstammte einer jener württembergischen Familien, in denen
sich
der geistliche
Beruf durch die Jahrhunderte hin von einem Geschlecht auf das andere
vererbte.
Pfarrhausluft
gewöhnt
Seinen Vater, der ursprünglich aus
Nürtingen
stammte, schilderte er
als "ernste, einsame, meditierende Natur. Wir sahen ihn selten anders
als
in Gedankenarbeit begriffen. Sei es, dass er seinen täglichen
Spaziergang
weit über das Dorf hinaus machte, oder stundenlang im
Schlafrock
mit der
langen Tabakpfeife im Garten auf- und abging, oder abends beim Krug
Bier
am Fenster sass, wir sahen ihn fast immer lesen oder über
etwas
nachsinnen."
So lag die Erziehung der Kinder völlig in den Händen
der
Mutter,
welche mit ihrer Lebenslust, dem Frohmut und der Offenheit das
wohltuende
Gegenstück zum in sich gekehrten Vater bildete. Goethes Wort
scheint hier
angebracht: "Vom Vater hab ich die Statur, Des Lebens ernstes
Führen;
Vom Mütterchen die Frohnatur, Und Lust zu fabulieren."
Von der
Schweiz beeindruckt
Während seinen theologischen Studien in
Tübingen -
wo er 1848 ordiniert
wurde - kam Heinrich Lang mit Schweizern in Kontakt, welche dem zum
Königreich
Württemberg gehörenden, an zeitgenössischen
Fragen sehr
interessierten
Intellektuellen die demokratischen Vorzüge von Staat und
Kirche in
der
Schweiz schilderten.
Im Laufe des Septembers im Umbruchsjahr 1848 hielt Lang als vom
Tübinger
Volksverein bestellter Redner einen Vortrag in Reutlingen, wo er mit
allem
Feuereifer für die Abberufung des Parlaments in Frankfurt
plädierte
und zur Wahl eines neuen aufrief, das umgehend die deutsche Republik
einzuführen
hätte. Die Rede brachte ihm viel Beifall, aber auch eine
scharfe
Rüge
im "Schwäbischen Merkur" ein, wo zu lesen war, der Urheber
solcher
Behauptungen
gehörte eigentlich hinter Schloss und Riegel...
Mit zwei
Talern das Weite gesucht
Als ihn besorgte Freunde warnten und sich in Stuttgart
und
Tübingen
schliesslich noch die Gendarmerie nach seinem Verbleiben erkundigte,
schlug
er mit zwei Talern in der Tasche (was etwa einem kargen Wochenlohn
entsprochen
haben mag), mit ein paar Hemden und einer Pistole in der
Botanisierbüchse
kurzentschlossen den Weg in die Schweiz ein.
Von Konstanz aus meldete sich ein ermüdeter Heinrich Lang ohne
jegliche
Ausweispapiere beim Grenzposten Tägerwilen, wo er
formgemäss
zurückgewiesen
ward. In einer Konstanzer Schenke, wo er bei einem Bier seine Not
klagte,
wurde ihm angeraten, es in Rorschach zu versuchen. Da bestieg er das
nächste
Schiff in die Schweiz und schlüpfte, in Rorschach angekommen,
tatsächlich
durch!
Noch gleichentags meldete sich der Flüchtling beim
sanktgallischen
Regierungsrat Dr. Erpf, der auf vorgebrachte Empfehlung hin versprach,
ihm den Weg bei der kantonalen Kirchenbehörde zu ebnen. Als
Lang
wenige
Tage später in einer Zeitung die Ausschreibung der offenen
Pfarrstelle
von Wartau-Gretschins las, schrieb er in lakonischer Kürze
seine
Anmeldung
wie folgt: "Auf die erledigte Pfarrstelle meldet sich Heinrich Lang,
Kandidat
der Theologie, aus Württemberg." Nachdem die Papiere aus der
Heimat eingetroffen
und die beiden vorgeschriebenen Examen mit Erfolg bestanden waren,
wanderte
der Kandidat durchs spätherbstliche Rheintal ins St.Galler
Oberland, wo
er die erste Nacht auf einer Bank im Unterrichtszimmer des Pfarrhauses
von Wartau-Gretschins zugebracht haben soll.
Pfarrhaus und Kirche Gretschins, mit
der Gauschla
im
Hintergrund
Foto: Jakob Vetsch, 1993
"Ojeh,
Chlina!" - "Ojeh, Kleiner!"
Bald war er einer von zwei Bewerbern, die
anlässlich der
ersten freien
Pfarrwahl der eben von der glarnerischen Kollatur gelösten
Kirchgemeinde
Wartau-Gretschins eine Probepredigt zu halten hatten. Klein von
Gestalt,
sah er sich einem Kontrahenten von stattlichem Wuchs
gegenüber,
der
eine so vortreffliche Predigt hielt, dass einem der anwesenden
Vorsteher
halblaut - aber für beide Bewerber vernehmbar - die Bemerkung
entfuhr:
"Ojeh, Chlina!" - "Ojeh, Kleiner!"
Hierauf bestieg der "kleine" Lang die Kanzel und predigte aus tiefster
Lebens- und Glaubenserfahrung über das Pauluswort "Uns ist
bange,
aber
wir verzagen nicht!" (2. Korintherbrief 4,8). Der gleiche Wartauer
meinte
nun, als Heinrich Lang von der Kanzel stieg: "Ojeh, Groassa!" - "Ojeh,
Grosser!" So kam es denn auch: Gewählt wurde der
württembergische Flüchtling,
der sich in der Folge als überaus geistreicher, scharfsinniger
Diener
am Wort und eifriger Wahrheitssucher entpuppte. Seine nicht gerade
pfarrherrliche,
leutselige Art lieferte sogar in den umstehenden Gemeinden
Gesprächsstoff,
doch in Wartau wurden seine freiheitlich ausgerichteten, erfrischenden
Predigten sowie seine Volksnähe, der schlagfertige Witz und
sein
Einsatz
im Garten- und Weinbau sehr geschätzt.
Ein
Kraftausdruck mit Folgen
Weil Heinrich Lang wegen seinen Ansichten in allerlei
bösen Gerüchten
stand, musste er denn auch längere Zeit um seine
Auserwählte
werben.
In der Heimat von Ulrich Zwingli gab er einst seinem Unmut
über
den
Ausbruch eines Gewitters, das eine beabsichtigte Wanderung
verunmöglichte,
mit einem derben Kraftausdruck Luft - und wurde prompt durch ein
schlankes
Mädchen mit feinen Zügen und dunklen Augen
zurechtgewiesen!
In der festen
Überzeugung, dass er einer solchen Mahnerin zu Zeiten wohl
bedürfe,
fasste er den Entschluss, um ihre Hand anzuhalten. Nach langem Werben
wurde
Constantia Suter, Tochter des früheren Pfarrers von Wildhaus
und
Schwester
eines seiner Tübinger Studienkollegen seine
Lebensgefährtin,
die in Wartau
einem Sohn und drei Töchtern und in Meilen nochmals einem Sohn
das
Leben
schenkte.
Heinrich Lang entfaltete eine reiche schriftstellerische
Tätigkeit,
die ihn weit über die Landesgrenze hinaus bekannt machte.
Durch
zahlreiche
Buchveröffentlichungen zu christlichen Themen und die Arbeit
als
Redaktor
der neugegründeten Reformschrift "Zeitstimmen aus
der
reformierten
Kirche der Schweiz" (von 1859 bis 1871, ab 1872 der "Reform") sowie als
erster Präsident des Schweizer Vereins für freies
Christentum
trat
er entschieden, vehement und kampfeslustig für eine
Öffnung
der Kirche
und eine lebensnahe Auslegung des Wortes ein, wobei ihm der
Schriftsteller
und Pfarrer Albert Bitzius, Sohn des Erzählers Jeremias
Gotthelf,
tatkräftig
zur Seite stand.
Weil seine Freunde ihn näher bei Zürich haben
wollten, folgte
Lang
an Ostern 1863 einem Ruf nach Meilen. Die Berufung war nicht ohne
Widerstände
über die Bühne gegangen. Etliche Zweifler mussten
zuvor noch
überzeugt
werden, da man ihn für zu wenig gläubig hielt. Doch
bereits
nach
einem Jahr erhielt Lang das Bürgerrecht der renommierten
Seegemeinde.
Nach seiner Meilemer Zeit wurde Heinrich Lang 1871 als Nachfolger
Heinrich
Hirzels nach Zürich ins Pfarramt der Peterskirche gewaehlt, wo
er
bald
zu einer beliebten, stadtbekannten Grösse wurde. Von 1872 an
diente er
auch als kantonaler Kirchenrat.
Erbauung
will er geben
Prof. Alois Emanuel Biedermann schildert in seinem
Lebensbeschrieb von
Heinrich Lang (erschienen in seinem Todesjahr in Zürich 1876)
das
Anliegen
des zeitgemässen Predigers mit den Worten: "Religiöse
Erbauung will er
der Gemeinde geben, christliche Erbauung, Erbauung im wahren
christlichen
Geiste; aber in der Sprache und Form, in welcher sie dieselbe von ihrem
natürlichen Bildungsstand aus verstehen und sich aneignen
kann,
und nicht
in der Form einer auf allen übrigen Lebensgebieten
entwurzelten
Anschauungsweise."
Und so hat der einstige deutsche Flüchtling Heinrich Lang es
verstanden,
unzähligen Menschen in der Schweiz und darüber hinaus
eine
Heimat zu
zeigen, die an keine geografischen und zeitlichen Grenzen gebunden ist;
eine religiöse Heimat hat er ihnen erklärt. Noch
heute
trägt eine im
Mai 1876 in St.Gallen ihm zu Ehren gegründete
Stipendien-Stiftung
zur
Ausbildung von Theologen seinen Namen.
last update: 02.03.2016
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