CHRISTENtum.ch Ein Portal für das Christentum in der Schweiz |
|||
L e b e n
Es ist im Menschenleben wie bei meinen Immi (Bienen): Ich
stelle ihnen im Frühling die Rähmli in den Kasten, bauen
müssen sie selber. Es ist mir, Gott gebe und bestimme
jedem Menschen seinen Lebensrahmen, ausfüllen muss ihn der
Mensch selber. Das Rähmli zeigt den Immi, wo sie anfangen
sollen und aufhören müssen. Die Rähmli aber können sie
nicht selber machen. Leben, Gouache-Malerei ©
Claudia Meier, Zürich
Eine gute Herkunft hat ihm geschenkt: die Anlage zur
Freundlichkeit, zum Vertrauen. Seine gute Sehnsucht ist
gewesen: das barbarische Verlangen nach Ungleichheit,
höchster Vernunft und Einsicht. Hinzuerworben hat er nur
die Erfahrung, dass die Menschen sich an einem verginge,
dass man selbst sich auch an ihnen verging und dass es
Augenblickte gibt, in denen man grau wird vor Kränkung -
dass jeder gekränkt wird bis in den Tod von den anderen.
Und dass sich alle vor dem Tod fürchten, in den allein sie
sich retten können vor der ungeheuerlichen Kränkung, die
das Leben ist. Am Beginn seines Filmes "Annie Hall" erscheint Woody
Allen auf der Leinwand und sagt, das Leben erinnere ihn an
das Gespräch von zwei jüdischen Frauen. Frage nicht mehr nach dem Wert des Lebens, sondern nach
dem Werte, den du deinem Leben geben kannst! Reiss keine Blume, kein Blatt ab! Siehst du ein
Pflänzchen, auch das gewöhnlichste, vor dir auf deinem
Pfade, tritt so, dass du es nicht zertrittst, wenn du es
vermeiden kannst! Gehst du mit Kindern in die Natur, lass
sie nicht gedankenlos Blumen brechen, schon in der ersten
Stunde, die dann in den heissen Händchen welken und die
sie dann, weil sie ihnen unbequem werden, achtlos
wegwerfen, sondern wage, sie von den ersten Jahren an zur
Ehrfurcht vor dem Leben zu erziehen! Mache dich
meinetwegen vor gedankenlosen Menschen lächerlich, die
über solche Marotten spotten. Aber die Kinder werden von
dem Schauer des Geheimnisses ergriffen werden und dir
einmal danken, dass du die grosse Melodie der Ehrfurcht
vor dem Leben in ihnen geweckt hast. Die Spottenden selbst
aber werden von der elementaren Wahrheit in dem, was sie
ungewohnt berührt, mehr bewegt, als sie zugestehen werden. Schafft euch ein Nebenamt, ein unscheinbares, womöglich
ein geheimes Nebenamt! Tut die Augen auf und suchet, wo
ein Mensch ein bisschen Zeit, ein bisschen Teilnahme, ein
bisschen Gesellschaft, ein bisschen Fürsorge braucht.
Vielleicht ist es ein Einsamer, ein Verbitterter, ein
Kranker, ein Ungeschickter, dem du etwas sein kannst.
Vielleicht ist's ein Greis, vielleicht ein Kind. Wer kann
die Verwendungen alle aufzählen, die das kostbare
Betriebskapital, Mensch genannt, haben kann! An ihm fehlt
es an allen Ecken und Enden. Darum suche, ob sich nicht
eine Anlage für dein Menschentum findet. Lass dich nicht
abschrecken, wenn du warten oder experimentieren musst.
Auch auf Enttäuschungen sei gefasst. Aber lass dir ein
Nebenamt, in dem du dich als Mensch an Menschen ausgibst,
nicht entgehen. Es ist dir eines bestimmt, wenn du nur
richtig willst. Vollkommenes Glück und Zufriedenheit freilich dürfen wir
in diesem Leben nicht erhoffen. Es muss immer etwas geben,
das uns auch inmitten der Freuden daran erinnert, dass wir
für eine vollkommenere Freude geschaffen sind, die wir
nicht hier auf Erden finden werden. Einem Mann in Frankreich starben Frau und Kinder. Wofür
sollte er noch leben? So lässt er seinen Bauernhof in
einer fruchtbaren Ebene zurück und zieht mit seinen
Schafen in eine trostlose Gegend, in die Cevennen, fast
eine Wüstenlandschaft. Dörfer mit zerfallenen Häusern, mit
unglücklichen Menschen. Der Mann erkennt: Diese Landschaft
wird sterben, wenn keine Bäume wachsen. So besorgt er sich
Eicheln. Die guten legt er in einen Eimer Wasser, damit
sie sich vollsaugen. Dann zieht er los, stößt mit einem
Eisenstab in die Erde, legt Eicheln hinein, da und dort.
Nach drei Jahren hat er mehr als hunderttausend Eicheln in
die Erde gesetzt. Wenn nur zehntausend aufgehen, denkt er.
So verbringt er den Rest seiner Jahre. Zu neuem Leben erwecken,
Gouache-Malerei © Claudia Meier, Zürich
Quo vadis? Heute bin ich einem Idioten begegnet, einem freundlichen,
unbeschwerten. "Wohin gehst du?" fragte er mich. Ich
nannte ein Nachbardorf. "Wohin gehst du?" fragte er
nochmals. Ich lachte - er lächelte auch. Ich nannte
nochmals das Dorf. "Wohin gehst du?" fragte er
abermals. Du wagst es der Mensch zu sein, der Du bist: unfertig, aber doch glücklich, unsicher im Neuen und doch wissbegierig, manchmal ängstlich in Entscheidungen, verwirrt im Überangebot der Ideen, doch auch begeistert von Kleinigkeiten. Zweifelnd und zögernd, dann wieder mutig und ernst, verzaubert von Worten oder schweigsam zurückgezogen. Manchmal zerrissen und voller Widersprüche, aber auch einseitig und naiv. Und noch vieles mehr bist Du, oft nicht genau zu beschreiben. Du wagst es, dich selbst so anzusehen, so zu lieben, wie Du bist und dich auch so zu zeigen, ob Du nun dafür geliebt wirst oder nicht. Schaffer last update: 25.10.2022
|
|||