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LOB - DER KÜRZESTE PSALM 117
Predigt von Jakob Vetsch Pfarrer, Zürich-Matthäus, 13. Juli 2003

"Lobet den Herrn, alle Völker!
Rühmet ihn, alle Nationen!
Denn mächtig ist über uns seine Gnade
und ewig währt die Wahrheit des Herrn.
Hallelujah!"
Psalm 117

Der kürzeste Psalm des Alten Testamentes gleicht eher einem Stossgebet als einem Lied. Einmal ein positives Stossgebet, warum eigentlich nicht? Es ist denn auch schon bezweifelt worden, ob es sich bei ihm jemals um ein selbständiges Lied gehandelt habe. Es will aber weder recht zum Schluss des vorhergehenden, noch zum Anfang des nachfolgenden Psalmes passen. Und die in sich abgerundete Form verlangt auch gar nicht nach mehr. Wenn wir darüber hinaus an die Knappheit etwa des Kanons "Lobet und preiset ihr Völker den Herrn, freuet euch seiner und dienet ihm gern!" denken, so wollen wir das Herz haben, auch dem kürzesten Psalm der Bibel ein Eigenleben zu lassen.
Der kürzeste Psalm ist also eine Aufforderung zum Lob, die vielleicht der Priester singend an die gesamte Festgemeinde gerichtet hat. Der erste Vers stellt die eigentliche Aufforderung dar:

"Lobet den Herrn, alle Völker!
Rühmet ihn, alle Nationen!"

Während der zweite Vers die Begründung dazu ausspricht:

"Denn mächtig ist über uns seine Gnade
und ewig währt die Wahrheit des Herrn."

Wir vernehmen hier das Wort "mächtig" in einem höchst erfreulichen, wohltuenden Zusammenhang, nämlich mit Gnade und Wahrheit! Einen solchen Gott haben wir also, ist das nicht schön?
Das Volk Israel hatte beim Hören dieser Worte die Freiheit durch den Auszug aus Ägypten im Sinn; und es dachte an das Geschenk des eigenen Landes in Palästina. Das von Gott erhaltene Gesetz war ihm vor Augen; und die Bewahrung des Volksganzen und des Einzelnen durch die Gefahren der Zeit hindurch war nicht in Vergessenheit geraten.
Ohne undankbar zu sein: Ist es nicht zweifelhaft, ob wir Heutigen alle so ohne weiteres in dieses Loblied mit einstimmen können? Gebete werden nicht automatisch erhört. "Ich habe gebetet, und mir ist nicht geholfen worden", sagt einer.
Was ist mit den Kindern, die hungern? Den unterdrückten und ausgebeuteten Schwarzen? Den Familien in den Slums? Den bedrohten Menschen im Nahen Osten? Den Giftgasopfern und den Strahlenopfern von Hiroshima und Nagasaki? Den Opfern von Auschwitz, den Kranken und die ihr Leben auf den Strassen lassen?
Was ist mit jenen, die zu Gott beten und im Elend bleiben? Wo ist all da die Gnade des Herrn mächtig; wo währt da seine Wahrheit?
Hinzu kommt, dass durch die schnelle und direkte Übertragung der modernen Medien das Leid in einem Masse weiterverbreitet wird wie nie zuvor. Man weiss um die Not im eigenen und in anderen Erdteilen, und man fühlt sich mitschuldig. Wie hilft da unser Glaube weiter?

Ich müsste jetzt vom Sinn des Leidens sprechen, und ich würde schnell an eine Grenze stossen. Ich müsste vom verborgenen, unerklärlichen Sinn des Lebens reden, und damit wäre uns letztlich auch nicht geholfen.
Als Christ jedoch darf ich bezeugen, dass auch Gott in Jesus Christus gelitten hat, bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Dadurch ist Christus auch und ganz besonders gegenwärtig überall da, wo es Leid gibt, und er wäre das nicht ohne sein Leiden und seinen Tod. Wir müssten schweigen. Durch seinen Tod aber wissen wir Gott ganz besonders überall da gegenwärtig, wo Schmerz und Sinnlosigkeit einkehren.
Darum können wir uns jetzt fragen, wie wir diesen Gott, der sich auf die Seite der Benachteiligten stellt, zu loben haben. Das geschieht durch das Lied und das Gebet, durch das Bekenntnis und den Lobpreis. Aber nicht nur durch dies!
Der Apostel Paulus zitiert unseren Psalm 117 in seinem Römerbrief (15,7ff.) im Zusammenhang mit der Nachfolge Christi: "Nehmet einander an, wie Christus euch angenommen hat, zur Ehre Gottes!" Es ging damals um Zwistigkeiten zwischen Juden- und Heidenchristen. Da Gott die Gnade hatte, sich als Mensch zu opfern für alle, sollen auch wir untereinander sein Beispiel nachahmen.
So wird der Graben zwischen Armen und Reichen, Studierten und handwerklich Tätigen, Gesunden und Kranken, Freien und Gefangenen, Herrschenden und Unterdrückten im Glauben überbrückt. So finden sich all jene, die einander etwas zu geben und zu sagen haben.
Damit ist freilich noch nicht alles geklärt. Aber das Leben bekommt wieder einen Sinn, und wir dürfen eine Zukunft sehen, wenn wir glauben, dass Gott in den Schwachen mächtig ist!
Deshalb schreibt Paulus nach der Erwähnung des Psalmes 117 weiter: "Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und allem Frieden durch den Glauben, damit ihr reich seid in der Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes!" Das hagelt ja nur noch so von positiven Ausdrücken: Hoffnung, Freude, Frieden, Kraft! Durch solche Kraft aufgrund unseres Glaubens können wir Gott loben und dazu beitragen, dass Leben sich entfaltet.



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last update: 03.05.2015