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Mann und Kirche
Sag mir, wo die Männer sind Entwicklungen bei den Männern als Herausforderung an unsere Kirche - Eine Problemanzeige Der Mann ist zum Thema geworden. Nicht nur für Fachleute, sondern für eine breite Öffentlichkeit, wie das Interesse der Medien für Männerfragen, die wachsende Zahl von Männerbüchern oder Männertage - und Männergruppen beweisen. Auch in den Kirchengemeinden ist in den letzten fünf Jahren die Bereitschaft, sich mit Fragen der Männer zu befassen oder ein eigenes Angebot für Männer zu entwickeln, spürbar gewachsen. Entwicklungen bei den Männern Über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg war die Rolle des Mannes [Image] etwas vom Sichersten und Klarsten, was man sich vorstellen konnte: Der Mann als Oberhaupt, Führer, Patriarch, der an der Spitze von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Familie und natürlich auch der Kirche stand und das Sagen hatte außer in die unmittelbare Umgebung des heimischen Herdes. Männer dachten über alles nach, über Gott und die Welt, Wissenschaft, Technik, Kultur, Natur und natürlich auch über Frauen und Kinder. Nur nicht über sich selbst, das eigene Mannsein. Seit Anfang der 70er Jahre ist's mit dieser Gemütlichkeit vorbei. Die Frauenbewegung hat den Mann in seiner Position nachhaltig in Frage gestellt, eine Männer-Bastion nach der anderen zunächst beansprucht und dann auch faktisch erobert. Sie hat den Männern nicht nur Positionen und Macht abgerungen, sondern das ganze männliche Denken in Frage gestellt, den Mann als biologischen Abkömmling der Frau oder gar als Fehlentwicklung der Natur gebrandmarkt. Männer und männliches Denken wurde als gewalttätig und als für Mensch und Natur gleichermaßen destruktiv angeprangert. Männer sind in der Öffentlichkeit ziemlich in die Defensive beraten. Aber nicht nur der von vielen Männern als antimännlicher empfundene Geschlechterkampf hat seine Spuren hinterlassen. Anders geworden sind auch die Geschlechterverhältnisse in Partnerschaften und Familien: Die jungen Frauen, die heute eine dauerhafte Partnerschaft eingehen, haben ein anderes Selbstverständnis und andere Erwartungen als ihre Mütter oder Großmütter. Sie artikulieren ihre Erwartungen an den Mann direkt, offen, selbstbewußt. Nicht selten wird das als lieblos empfunden. Sie können das, weil sie mehr Bildung und Ausbildung mitbringen und daher ökonomisch unabhängiger sind als frühere Frauengenerationen. Alles in allem: Männer sind wohl zum ersten Mal in der Geschichte gezwungen, über sich selbst und ihre Rolle nachzudenken. Die Verunsicherung des Mannes macht sich auf Schritt und Tritt bemerkbar. Die Frage Herbert Grönemeyers "Wann ist ein Mann ein Mann?" ist keine theoretische Frage einiger Männerbewegter oder Intellektueller, sondern eine höchst praktische und durchzieht alle Schichten von Männern, auch wenn sie vor allem von Männern aus der gebildeten, sozial engagierten Mittelschicht diskutiert wird. Walter Hollstein, einer der profiliertesten Vertreter der deutschen Männerforschung, beziffert die Zahl der Männer, die für ein intensives Nachdenken über sich und ihre Rolle offen und zu Veränderungen bereit sind, auf rund ein Drittel. Sinnstiftende Arbeitswelt? Männer definierten sich in de Neuzeit zunehmend über ihre Arbeit und Beruf. Das Selbstverständnis und Selbstwertgefühl neuzeitlicher Männer, daher auch die Männlichkeit, sind zusammengewachsen mit dem Bild des "Homo Faber", der Welt, Natur, Gesellschaft und Kultur gestaltet, die Zivilisation aufbaut und so der Menschheit Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit bringt. Der Berliner Soziologe Georg Simmel sagte Anfang des Jahrhunderts, "Männlichkeit ist kein Sein, sondern vornehmlich ein Tun." Männer, die wegen Krankheit nicht "schaffen" können oder wegen Arbeitslosigkeit nicht dürfen, kommen damit in der Regel schwerer zurecht als Frauen. Wenn sie ihre Funktion als Ernährer der Familie nicht mehr ausfüllen können, bricht eine Welt zusammen. Dies trifft viele Männer völlig unvorbereitet. Die meisten haben keine Alternative, Sinn zu finden. Zudem treffen junge Männer auf eine immer bessere Konkurrenz von gut ausgebildeten Frauen. Der traditionelle Vorteil des Mannes, Muskelkraft und Körpergröße, schrumpft dank Maschinen und Computer auf nur noch wenige Bereiche. Männer haben sich hier durch ihre Technik faktisch selbst entmachtet. Frauen sind in vielen Bereichen überlegen: Ausdauer, Fingerfertigkeit, Pünktlichkeit ... Dazu kommt: Arbeitsabläufe werden immer mehr durchrationalisiert. Bisherige Frei- und Spielräume zur eigenen Gestaltung fallen weg. Einzelkämpfer und Helden sind nicht mehr gefragt. Teamfähigkeit im Großraumbüro wird zum zentralen Merkmal. Die Arbeitslust nimmt ab, die Sehnsucht nach sinnstiftendem Freizeiterlebnis zu. Partnerschaft, Emotionalität und Sexualität Der Rückzug ins Private ist heute für viele Männer und Frauen eine der wenigen Hoffnungen für Lebenserfüllung. Männer aber, die sich erhoffen, zu Hause eine "heile Welt" anzutreffen, werden in der Regel enttäuscht. Auch zu Hause gibt es die alte Männerherrlichkeit nicht mehr. Frauen erwarten von ihren Männern "Geschlechterdemokratie": Rechte und Pflichten im Haushalt und in der Erziehung sollen partnerschaftlich geteilt, Entscheidungen und Planungen gemeinsam getroffen werden. Auf der tieferen Beziehungsebene werden Offenheit und die Fähigkeit erwartet. Männer besitzen auf diesem Gebiet im allgemeinen eine geringe Kompetenz ("emotionale Amateure"). Die übliche Sozialisation fördert andere Fähigkeiten. Eine eigenständige, vom Mann unabhängige weibliche Sexualität ist entstanden. Frauen formulieren ihre Bedürfnisse selbstbewußt und wünschen sich eine ganzheitliche, nicht allein Penis und Koitus zentrierte Sexualität. Viele Männer fühlen sich überfordert, die Versagensängste und der Bedarf an Beratung nehmen zu. Vaterschaft und Erziehung Spätestens seit Alexander Mitscherlichs Buch "Die vaterlose Gesellschaft" (1962) ist die Krise eines der wichtigsten Elemente des Patriarchats, der Vaterschaft, offenkundig. Durch die Trennung von Wohnen und Arbeiten im Zuge der Industrialisierung ist der Mann vollends aus dem Haus ausgewandert und wurde immer mehr zum bloßen Zahlvater. Dort, wo Kinder und Jugendliche leben, wo alltägliche menschliche Probleme zu lösen oder Freude zu erleben sind, wo Menschen geboren werden oder leiden und sterben, ist der Mann in der Regel nicht anwesend. Der Vater wurde fast überflüssig. Wenn sich heute immer mehr Frauen von ihren Männern scheiden lassen, dann drückt sich darin auch das Unbehagen über mangelnde Unterstützung durch die Väter aus. Dennoch ist in den letzten Jahrzehnten das Bewußtsein der Väter für die Mitverantwortung und die Bereitschaft zum bewußten Engagement für die eigenen Kinder deutlich gestiegen. Nach einer neueren Umfrage des Deutschen Jugend-Institutes beziehen rund 38 % der Väter ihre Identität aus der Familie, nur 24 % aus dem Beruf. Viele Männer würden gern mehr tun für und mit ihren Kindern. Aus vielerlei Gründen stoßen solche Wünsche rasch an ihre Grenzen: Arbeitszeiten sind zu unflexibel, die meisten Arbeitgeber interpretieren den Wunsch eines Mannes nach Arbeitszeitreduzierung als Desinteresse am Beruf oder gar als Arbeitsverweigerung. Auch die Unterschiedlichkeit der Erwartungen in Beruf und häuslicher Welt macht Männern zu schaffen. Sind in der Erwerbsarbeit "harte Werte" gefragt: Rationalität, Erfolg, Durchsetzungsfähigkeit, werden zu Hause eher "weiche Werte" Einfühlungsvermögen, Wärme, Verständnis, Zärtlichkeit gebraucht. Männer empfinden das als Zerreißprobe. Gesundheit und Körperlichkeit Männer waren lange darauf stolz, als starkes Geschlecht zu gelten. Das lag nicht nur an der überlegenen Muskelkraft und Körpergröße, sondern auch an männlichen Tugenden wie Tapferkeit, Unerschrockenheit, Furchtlosigkeit, Disziplin ... Frauen galten als weinerlich, weich, wehleidig, nachgiebig .. Inzwischen ist klargeworden, daß diese Gegenüberstellung nicht stimmt. Biologisch gesehen sind die Frauen eigentlich die zäheren ausdauernden, belastbareren Menschen. Im Durchschnitt ist die Lebenserwartung der Frauen rund sechs Jahre höher. Nach Statistiken der WHO "führen" die Männer bei fast allen (chronischen) Krankheiten wie Krebs, Herz- und Kreislaufleiden, einschließlich der psychischen Krankheiten. Das liegt nicht nur an einer anderen biologischen Grundausstattung, sondern hängt vor allem mit der Lebensweise der Männer zusammen. Der Körper wird wie eine Maschine benutzt, die ohne besondere Pflege funktionieren muß, bis sie verschlissen ist. Männer halten es für höchst unmännlich, in sich hineinzuhören und zu fragen, welche Bedürfnisse der Körper hat, etwa nach Ruhe und Ausspannen. Der amerikanische Männerforscher Herb Goldberg hat diese Einstellung sicherlich sehr zugespitzt, dafür aber um so plastischer beschrieben: Ein Mann gelte als um so männlicher, 1. je weniger Schlaf er benötigt, 2. je mehr Schmerzen er ertragen kann, 3. je mehr Alkohol er verträgt, 4. je weniger er sich darum kümmert, was er isst, 5. je weniger er jemanden um Hilfe bittet und von jemandem abhängig ist, 6. je mehr er seine Gefühle kontrolliert bzw. unterdrückt, 7. je weniger er auf seinen Körper achtet. Goldberg nennt das die "sieben maskulinen Imperative". Eine zunehmende Zahl von Männern findet sich mit dieser einseitigen, destruktiven Lebensweise nicht mehr ab. Sie erkennen darin eine schädliche Überforderung. Die Körper-, Fitneß- und Schönheitswelle, die derzeit zu beobachten ist, hat nicht zuletzt darin ihren Grund. Lebenssinn Im Frühjahr 1993 war in vielen Zeitungen eine dpa-Meldung mit der Überschrift abgedruckt: "Männer ab 40 verrotten vor dem Fernseher". Diese etwas reißerische Schlagzeile stützt sich auf die Erkenntnis der Psychotherapeutin Anna Schoch, daß viele Männer nach Erreichen ihrer beruflichen Ziele in der Mitte des Lebens nicht die Kreativität zu einem neuen Anfang und zu neuen, nichtmateriellen Werten aufbringen. Vielfach lebten älter werdende Männer in reiner Nostalgie im Rückblick auf die Aufstiegsphase der ersten Lebenshälfte. Das schlage sich in Lethargie vor dem Fernseher und in einem übersteigerten Alkoholkonsum nieder. Zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen ist Janice Halper bei der Auswertung ihrer Beratungsarbeit amerikanischer Manager gekommen. Sie sieht gerade bei erfolgreichen Männern aus der Wirtschaft hinter dem äußeren Erfolg in erheblichem Maße eine "stille Verzweiflung", das heißt, innere Leere, Ausgebranntsein, zunehmende Zweifel gegenüber dem eigenen Lebensstil und den von der Industrie vertretenen materiellen Werten. Sam Keen, Verfasser des Bestsellers "Feuer im Bauch" fordert daher die Männer auf, die Flamme im eigenen Herzen zu entzünden, um wieder zu einem echten humanitären und ökologischen Engagement fähig zu werden. Auch wenn dies wenige Männer so formulieren würden, spüren doch viele diese lähmende innere Leere und Kraftlosigkeit. Die Brenn- oder Krisenpunkte heutiger Männlichkeit machen deutlich: Männer befinden sich derzeit mitten in einer großen Verunsicherung und einem fundamentalen Umbruch, der unterschiedlichste, ja konträre Reaktionen zur Folge hat: Während die einen eine wie auch immer geartete Männerfrage leugnen oder sich - insgeheim oder offen - die Geschlechterordnung des 19. Jahrhunderts zurückwünschen, haben sich andere zu einer Art Männerbewegung zusammengeschlossen. Diese versteht sich als Suchbewegung auf dem Weg zu einer erneuerten, ganzheitlich definierten, partnerschaftlichen Männlichkeit. Einen Konsens über ein neues Männerbild gibt es dabei nicht. Klar scheint dabei nur zu sein, daß es eine Rückkehr zum traditionellen Bild weder geben kann noch geben darf. Walter Hollstein hat mit seiner Formulierung "Nicht Herrscher, aber kräftig" viel Zustimmung gefunden. Sie besagt, daß der künftige Mann durch und durch Partner der Frau ist, aber gerade deshalb keine Kopie der Frau sein kann. Er lebt seine spezifische männliche Kraft. Es muß den Männern nicht schaden, wenn sie die derzeitige Unsicherheit über ihr Selbstbild aushalten und die Suche nicht vorschnell beenden. Es wird nur darauf ankommen, daß sie bei der Suche die nötige Unterstützung finden, von anderen Männern, von seiten der Frauen, aber auch von einer Kirche, die etwa in dem Mann Jesus von Nazareth ein enormes Innovationspotential und im Heiligen Geist eine starke Triebkraft besitzt. Christoph Rau, Landesmännerpfarrer Männer, Religion und Kirche Dass Männer mit Kirche wenig im Sinn haben, ist offenkundig. Die meisten Männer sind zwar noch Kirchenmitglieder, aber praktisch tauchen sie bei uns kaum mehr auf, sieht man einmal von Kirchen- und Gemeindeleitung ab. Ein paar Zahlen sollen genügen: EKD-weit gesehen sind unter den sonntäglichen Gottesdienstbesuchern durchschnittlich nur 20-30 % Männer, ähnlich sieht es bei den Ehrenamtlichen aus. Etwa zwei Drittel der aus der Kirche Austretenden sind Männer (nicht nur wegen der Kirchensteuer). In der Gruppe der 30 bis 50jährigen Männer in Westdeutschland gehören bereits über 20 Prozent keiner Religionsgemeinschaft an. Solche Zahlen sind nicht neu, ebensowenig der "stille Auszug" der Männer aus der Kirche. Er hat schon im letzten Jahrhundert begonnen, spätestens mit der Industrialisierung. In unseren Gemeinden praktizieren wir so etwas wie eine von Männern geleitetete Frauenkirche. Inzwischen wird darüber wieder diskutiert oder gar Rezepte verlangt, wie man die Männer wieder in die Kirche bekommt. Wahrscheinlich sind das freilich eher die Ausnahmen, die die Regel [Image] oder Normalform männlicher Religiosität bestätigen, nämlich: Nüchternheit, Rationalität und Logik, also eher gefühlskontrollierte Formen: Männer diskutieren und streiten mit größter Leidenschaft über Gott, über das Absolute und Letzte, über Wahrheit und Lüge. Sie konstruieren Systeme: und postulieren Prinzipien, um sie dann in ihrem Leben kompromißlos zu praktizieren. Sie fordern Logik und Beweise. "Faulen Zauber" lehnen sie ab. Männer neigen dazu, solches Nachdenken für sich alleine mit sich selbst abzumachen, ohne Gruppe, gewissermaßen auf einem Waldspaziergang, wo man, ohne gestört zu sein mit der Natur und Gott alleine ist. Männliche Religiosität äußert sich auch oft in der Tat, ohne viel Worte. Es muß nicht gleich so explizit formuliert sein, wie ich das von einem Chefarzt hörte: "Am Sonntag sehen Sie mich kaum in der Kirche. Mein Gottesdienst besteht darin, daß ich am Sonntag morgen bei meinen Patienten im Krankenhaus bin und mich. um sie kümmere." Derartiges bestätigt sich auch in der Hilfsaktion des Männerwerkes für die "Kinder von Tschernobyl", im Rahmen derer jährlich zwei bis drei Konvois organisiert werden. Das bedeutet für die, die da mitmachen: Jedesmal eine Woche Urlaub nehmen, dann zweimal 48 Stunden mit dem LKW 2000 Kilometer fahren, oft auf eisglatten Straßen fast ohne Pause, dann drei bis vier Tage ausladen. Kein Pfennig Bezahlung. An Fahrern und Helfern hat noch nie ein Mangel geherrscht. Auf die Frage angesprochen, warum man das macht, antworten sie mir: "Das ist mir wichtig. Helfen macht Spaß. Und wir sind eine tolle Mannschaft." Wichtige Stichworte sind für mich in diesem Zusammenhang: praktisches Tun, humanitäre Einstellung, Ethik ... Ich denke, das .Genannte spielt sich in jeder Gemeinde ab: Wenn es was "Vernünftiges" zu tun gibt, herrscht an Männern kein Mangel, vorausgesetzt, man läßt die Männer selbständig handeln. Ausdruck m¨nnlicher Religiosität ist häufig das Tun. In der EKD-Studie "Die Frau in Familie, Kirche und Gesellschaft" (1979) heißt es, es habe sich eine Art "weltliche Berufsfrömmigkeit" entwickelt. Die Männer, zunehmend aber auch die be- rufstätigen Frauen, glaubten, ihre Christlichkeit dadurch zu praktizieren, indem sie redlich ihre Aufgaben erfüllen, die ihnen durch ihre Erwerbsarbeit bzw. ihren Beruf gestellt sind. Die Arbeit bekomme den "Charakter eines Gottesdienstes', sozusagen im Alltag der Welt. Konsequente Säkulariserung. Säkularisierung Kirche und christlicher Glaube haben in der Neuzeit einen ungeheuren Bedeutungsverlust erlebt und erlitten. Früher war die Kirche Teil der Obrigkeit, heute sind die Kirchen ein Teil einer pluralistischen Gesellschaft und müssen zunehmend um ihren Einfluß kämpfen. Für Männer, die nach wie vor an den Schalthebeln von Öffentlichkeit, Wirtschaft und Kultur sitzen, kommt es nicht mehr wesentlich darauf an, in der Kirche präsent zu sein (Gottesdienst) oder gar in ihr ein Amt (zB Kirchengemeinderat) zu bekleiden. Bedeutungsverlust der Religion Die Religionssoziologie spricht von einem rapiden Bedeutungsverlust der Religion für die Gesamtheit des Lebens. Die Teilbereiche des Lebens -- Ökonomie, Wissenschaft, Technik, Politik, Medizin, Kultur -- sind immer zahlreicher und komplexer geworden, die Wissensbestände immer größer. “So wird die Religion zunehmend als abstrakt empfunden" (Daiber). Sie wird als weniger handlungsanweisend und daseinsbewältigend erlebt. Für die Praxis eines Mannes in einem Büro, einem Entwicklungszentrum oder an einem CNC-Drehautomaten hat das, was in einem Gottesdienst gepredigt wird, kaum Bedeutung, nicht zuletzt, weil Pfarrern die Kompetenz für viele Bereiche fehlt. Streben nach Mündigkeit Die Neuzeit ist bestimmt von der Suche des Individuums nach Freiheit und der Verwirklichung seiner individuellen Möglichkeiten. Gerade die Männer, mehr und mehr auch die Frauen, haben sich dabei von der Kirche gelöst. Kirche wurde und wird als Fessel erlebt, die Autonomie und Mündigkeit behindert. Das zeigt sich nicht nur am traditionellen kirchlichen Sprachgebrauch (Lehre, Unterweisung, Hören, Gehorsam... ), sondern auch daran, daß unsere Hauptkommunikationsform nach wie vor der Monolog ist. Sicherlich spielt bei den Männern vielfach auch der ungelöste Vater-Sohn-Konflikt eine Rolle: Der Pfarrer wird -- unbewußt -- mit dem eigenen Vater, der unnahbar und streng regierte, identifiziert. Pluralismus Mit der fortschreitenden Demokratisierung unserer Gesellschaft und der Universalisierung unseres Lebens durch Kommunikation und Verkehrsmittel hat die christliche Religion ihr weltanschauliches Monopol verloren. Angebote für Religiosität und Spiritualität gibt es im Supermarkt der Religionen und Weltanschauungen in Hülle und Fülle. Das Neue und Ungewohnte ist oft attraktiver als eine eigene Tradition, die man zu kennen glaubt. Bemerkenswert ist allerdings, daß auch in esoterischen und neureligiösen Zirkeln die Männer ebenso unterrepräsentiert sind wie in den Kirchen. Auch dort dominieren bei den Anhängern die Frauen. Männliches Selbstverständnis Was als männlich oder als weiblich gilt, ist dem geschichtlichen Wandel unterworfen. Geschlecht ist nur zum geringeren Teil eine biologische Größe. In den Geschlechterrollen erleben wir derzeit einen riesigen Umbruch. Untersuchungen der US-Psychologen Mark Stevens und Bernie Hershberger haben in den 80er Jahren herauszuarbeiten versucht, welche Eigenschaften Männer als typisch männlich oder als typisch weiblich einstufen (Rollenstereotypen). Sie offenbaren einen ausgesprochen traditionellen, fast anachronistischen Trend. Als typisch männlich gilt demnach: konkurrierend, stark, kontrolliert, verantwortungsvoll, fasziniert von Großtaten, intelligent, gefühlsreduziert, weint nicht, technisch veranlagt, dominant, logisch, beschützend, kompetent, viril, Familienernährer, initiativ im Sex, unabhängig, Autorität, Sex = Leistung. Dagegen gilt als typisch weiblich: passiv, abhängig, emotional, unlogisch, natürlich, arglos, schön, sensibel, fürsorglich, gepflegt, sanft, warm, geduldig, gute Mutter, launisch, romantisch, verführerisch, künstlerisch, psychisch nicht belastbar, Sex als Liebe und Hingabe. Es liegt auf der Hand, daß diese Prinzipien bzw. Rollenstereotype Folgen für die Einstellung von Männern zu Religion und Glaube haben. Konkret: Im Rahmen des bei uns derzeit überwiegenden Männerbildes hat es Religion schwer, jedenfalls Religion im Sinne unserer biblisch-christlichen Tradition. Wenn im Mittelpunkt unserer Verkündigung und Praxis Begriffe und Werte stehen wie Liebe, Gnade, Vertrauen, Gemeinschaft, Geborgenheit, Hingabe usw., dann steht das im offensichtlichen Gegensatz zum Selbstverständnis der meisten Männer. Religion im christlich-kirchlichen Sinne paßt eher zu den als typisch weiblich eingestuften Eigenschaften, ist "Frauensache". Manfred Josuttis vermutet hinter der einseitigen Orientierung des Mannes an Äußerlichem und an der Aktivität eine "neurotische Flucht" aus der Ohnmacht in die Illusion narzistischer Allmacht: Die (mittelalterliche) Furcht, von Gott verlassen zu werden, verwandelt sich (in der Neuzeit) in die Sorge um den Verlust der absoluten Selbstgewißheit und der absoluten Beherrschung der Umwelt. Die vorgebliche Stärke, die der Mann im Verhältnis zur Natur und gegenüber der Frau darzustellen versucht, basiert auf einer elementaren, aber nicht zugelassenen, unbewußten Existenzangst- und führt dazu, daß die eigene Schwäche in keiner Weise mehr wahrgenommen werden darf. Alles, was den an der Machbarkeit glaubenden Mann an die eigene Bedrohtheit erinnern könnte, muß deshalb verdrängt werden." Sichtbar werde das an der männlichen Krankheit, nicht leiden, dh schwach sein zu können. Dazu gehöre auch die Unfähigkeit zur Passivität und Emotionalität, zu der Josuttis auch Glück und Angst, Träume und Trauer rechnet. Männliche Religiösität spielt sich hauptsächlich außerhalb der Kirchen ab. Sie ist geprägt von Nüchternheit, Sachlichkeit und einer Abwehr des Gefühlsmäßig-Irrationalen. Bei Männern ist die religiöse Motivierung stark verweltlicht. Siegfried Dunde: “Männern ist ihr Beruf heilig.3 Männliche Religiosität - Herausforderung für unsere Kirche Die geschilderte Situation kann uns als Kirche nicht ruhen lassen. Sie ist weder vom Evangelium her zu verantworten, noch ist sie den Männern zuträglich. Sam Keen, ein bekannter Vertreter der säkularen Männerbewegung in Amerika schreibt in seinem Buch "Feuer im Bauch": "Unser Verlust ist nicht psychologischer Natur, sondern existentieller Art. Unser Leben hat an Ursprünglichkeit und Sinn verloren. Wir verleugnen das Wesentliche... Wir neigen dazu, uns hinter Arbeit und Karriere zu verschanzen oder uns in den Kokon des Privatlebens zurückzuziehen und uns ans Konsumieren zu halten. Wenn wir so weitermachen, werden wir auch weiterhin eine innere Leere spüren, ein selbstentfremdetes und sinnentleertes Leben." Für die Kirche sind vier Dinge wichtig: Erstens sollten wir mit großer Energie an der überfälligen Erweiterung des Männerbildes in Richtung Ganzheitlichkeit arbeiten. Die tiefsitzende Überzeugung "Selbst ist der Mann!" und der daraus resultierende Machbarkeitswahn (H. E. Richter) macht es Männern schwer, Passivität und Rezeptivität zu leben. Ohne die Versöhnung des Mannes aber mit seinen “weichen3 Seiten, ohne daß Männer auch ihre Ängste und Schwächen aktzeptieren, also ohne eine "Enthärtung", wird Männlichkeit nicht nur-bedrohlich für alle Schwächeren, sondern auch für die Männer selbst: Der Mann verarmt und wird -- oft genug auch körperlich -- krank. Die Männerforschung macht darauf aufmerksam, daß besonders individuelle Lebenskrisen und Notsituationen (Partnerschaftskrisen, Scheidung, Tod eines Kollegen oder nahen Angehörigen, Arbeitslosigkeit oder Krankheit) die Routine aufbricht, Hemmungen mindert und Männer nach dem Sinn des Lebens fragen läßt. Die Kirche sollte Zuhörer und Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen bieten und sich mit fertigen Antworten zurückhalten. Niederschwellige, nicht vereinnahmende und zeitlich befristete Angebote haben hier große Chancen. Gefragt sind insbesondere Seelsorge und Beratung durch kompetente Fachleute oder Männergruppen, die sich als Selbsthilfegruppen verstehen. Zum zweiten: Wichtige Impulse gehen auch von biblischen Männerbildern aus. In der praktischen Arbeit mit Männern zeigt sich, daß sie nützliche und sinnvolle Identifikations- und Abgrenzungsmöglichkeiten bieten. In der Auseinandersetzung mit ihnen brechen nicht nur zahlreiche Fragen grundsätzlicher und lebenspraktischer Art auf, sondern es wird auch sichtbar, woher Männer Kraft zur Lebensbewältigung beziehen können. Drittens: Die Erweiterung der Männlichkeit in Richtung Innerlichkeit und Emotionalität ist notwendig, aber nicht ausreichend. Zur Männlichkeit gehören wesentlich auch “harte3 Eigenschaften wie Entschlossenheit, Initiative, Vorwärtsstreben, Entschiedenheit, Urteilskraft, Verantwortlichkeit, Gerechtigkeitsstreben usw... Beispiele in der Bibel dafür sind der voller Wagemut, seine Heimat verlassende und Neuland suchende Pilger Abraham; ein Eiferer und Kämpfer wie Petrus; ein knallharter, wahrheitsliebender Bußprediger wie Johannes der Täufer... Diese “harten3 Werte gehören zum Mannsein und müssen zusammen mit den “weichen3 in ein neues Männerbild integriert werden. Viertens: Neben einer größeren Sensibilität für die sich häufenden Krisenerfahrungen von Männern wird es daher auch darum gehen müssen, auf die starken Seiten der Männer: zu achten. Es kann für die Kirche nicht darum gehen, einmal mehr nur auf Krisen und Schwachstellen zu warten. Gott will "mitten im Leben" erkannt werden Vielfach lassen sich Männer nur ansprechen, wenn man ihre Qualitäten und ihre Handlungskompetenz (Organisieren, Bauen, Verwalten usw.) wahr- und ernst nimmt. Erfahrungsgemäß entwickeln sich aus gemeinsamen Aktionen nicht selten tiefergehende, existentielle Gespräche. Die Berufung des Fischers Simon durch Jesus (Lk 5,1ff) stellt ein schönes Beispiel für diesen Ansatz an der starken Seite eines Mannes dar. Die Begegnung mit den Männern ist eine große Herausforderung für die Kirche. Sie wird in vielfacher Weise guttun, insbesondere, wenn die Kirchenmänner den damit verbundenen Anfragen an sich selbst nicht entziehen. Wahrscheinlich wird dabei auch mancher Wesenszug, der die "Pfarrmänner" prägt, bewußter: Wie steht es mit der eigenen Spiritualität? Wer pflegt womit einen kirchlichen "Machbarkeits-Wahn"? In welchem Verhältnis stehen “harte und weiche3 Werte? Auf alle Fälle sollte klar sein: Die Suche von Männern nach Spiritualität war schon lange nicht mehr so ausgeprägt wie in diesen Jahren. Christoph Rau 2000 - last update: 30.08.2015 |