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Mond - Geheimnisvolle Mondin

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"Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn."

Irgendwie ist er ein Glückspilz, dieser Matthias Claudius (1740-1815). Im alten Kirchengesangbuch der Schweiz befand sich nur ein einziges Lied mit einem seiner zahlreichen Texte, jene Nummer 92. Aber es war einfach so eingängig, dass es alle kannten: "Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar ..." Mit der bedenkenswerten dritten Strophe, die wir oben gelesen haben.
Noch grösser sein Glück im neuen Kirchengesangbuch: Da sind es wenigstens drei Lieder mit Texten aus seiner Feder. Schon etwas besser, wenn auch noch nicht überwältigend von der Anzahl her. Aber: sicher zwei dieser drei Lieder kennen eben wieder alle! Richtig geraten: "Der Mond ist" auch hier "aufgegangen" (599), und dann noch die Worte (749), bei denen es mich vor Ergriffenheit immer leicht friert:

"Der Mensch lebt und bestehet
nur eine kleine Zeit,
und alle Welt vergehet
mit ihrer Herrlichkeit.
Nur Einer, Einer, der ist ewig
und an allen Enden,
und wir in seinen Händen."

Packend, wie der Mann von Sichtbarem und Unsichtbarem, von Zeit und Ewigkeit spricht. Und damit Dimensionen in unsere Gedankenwelt hineinbringt, die sonst verloren gingen. Durch die Jahrhunderte ruft er uns zu: Bedenke, dass du nicht alles sehen kannst! Vergiss nicht, der Mensch lebt nur kurz auf Erden! Es ist aber "Einer ewig und an allen Enden, und wir in seinen Händen."
Wenn ich den Halbmond sehe, denke ich immer an die Worte von Matthias Claudius: "Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn." Bewahrt mich vor schnellem Urteil. Hält mich dazu an, behutsam mit dem Leben umzugehen. Und dem Leben das Geheimnisvolle zu lassen. Einer, der das auch gut konnte, war Franz von Assisi (1182-1226). In seinem Sonnengesang lesen wir den köstlichen Vers:

"Lob sei dir mein Herr
durch Schwester Mond und die Sterne
Am Himmel formtest du sie
glänzend kostbar und schön"

... "Schwester Mond" also. Franz ordnet dem Mond das weibliche Prinzip zu. Hier irrt die deutsche Sprache. "La lune" heisst es im französischen. Die feine Mondsichel erscheint nach der dunklen Leermondzeit und kündigt den Fortgang des Lebens an. Der Mond ist das kleine Licht, das die Nacht beherrscht (l.Mose 1,16). Er empfängt das Licht von den starken Sonnenstrahlen und gibt es gemildert an die Erde weiter. Die Bedeutungskette Mond - Monat - Monatsregel - Frau - Fruchtbarkeit - Leben ist uralt. Daher findet sich auf Darstellungen von Maria mit dem Jesuskind oft ein Mond zu ihren Füssen.
Wir entdecken den Mond auch im Wappen der Türken. Sie haben nicht nur das "Türkengetränk", den Kaffee bis vor Wien gebracht, sondern auch die Beilage dazu, das beliebte Gebäck "Gipfeli". Diese sind nichts anderes als Möndchen, kleine Lebens- und Fruchtbarkeitszeichen, die wir in uns aufnehmen und uns zusammen mit den Kaffee-Bohnen zur Fruchtbarkeit gereichen sollen... Das in Vergessenheit geratene Mysterium des Café-Hauses.
Noch etwas zum Schluss: Claudius nennt den Mond schön, Franz nennt ihn schön. Wer ihn genau ansieht, wird enttäuscht sein: Ein unwirtliches, trostloses Objekt mit grossen geologischen Extremen, Gebirgszüge mit hohen Gipfeln ragen gespenstisch über die umliegenden Ebenen. Es fehlt das Wasser, es fehlen Grün und Leben. Weil die schützende Atmosphäre fehlt, bewirkt der Sonnenuntergang einen Temperatursturz von 132 Grad Celsius, was das Bersten von Felsen zur Folge hat. - Trotzdem finden sie die Dichter schön, die geheimnisvolle Mondin.
Da sieht man, wie wichtig das Licht ist, mit dem man etwas ansieht. Mit dem Licht der Liebe betrachtet, wird das Bucklige, Widerwärtige, Kantige in unserem Leben kostbar und schön.


Literatur:
Jakob Vetsch, Staunend sah er den Sternenbogen, Predigten über Sonne, Mond und Sterne, Zürich 1987, S.26-30
Jakob Vetsch, Das Geheimnis der Kirche von Gretschins, Symbolik im alten Kirchenbau,
dargestellt an der St.Martinskirche Wartau-Gretschins, Buchs SG 1991, S.21


last update: 03.11.2015