DIE 500-JAHR-FEIER DER KIRCHE SERNEUS IM
JAHRE 1979
Die Kirche St. Sebastian im Frühling 2003
Foto: Stana Vetsch
Ein idyllischer Tag
"Die würdige Feier zum 500-Jahr-Jubiläum der Kirche Serneus
wurde zur Idylle", berichtete die Klosterser Zeitung in ihrer Ausgabe
nach dem Reformationssonntag, dem 4. November 1979, und fuhr fort: "Ein
wolkenloser, tiefblauer Himmel wölbte sich am Sonntagmorgen
über das Tal. Im Kranz der verschneiten Berge zeigte sich die
Landschaft in satten Herbstfarben. In dieser Pracht leuchtete die
Jubilarin - innen und aussen von der Serneuser Jugend reich
bekränzt - in den warmen Strahlen der Sonne auf ihrem Hügel,
wie wenn sie sich der Feierlichkeit dieses Tages bewusst gewesen
wäre.
Die Musikgesellschaft Serneus gab auf dem Dorfplatz
mit ihren Klängen den Auftakt zur Feier, die ihre Fortsetzung im
zum Bersten gefüllten Kirchlein fand. Zu den feiernden Serneusern
hatten sich auch viele Besucher aus der übrigen Gemeinde und von
auswärts gesellt. In den Festgottesdienst, der einerseits dem
Kirchenjubiläum und andererseits dem Reformationssonntag galt,
teilten sich gleich drei Pfarrherren - zwei ehemalige und der
amtierende Serneuser Pfarrer.
Nach dem Eingangsspiel von Prof. Anton Ebnöther
auf der Orgel, dem neuesten Teil der 500jährigen Kirche, richtete
Pfr. K. O. Sulzbach besinnliche Worte an die Gemeinde. Das Lied 272
("Von Gott will ich nicht lassen", Anm.) leitete über zum Psalm
111, der von Kirchgemeindepräsident H. R. Klucker verlesen wurde.
Eingerahmt von zwei Vorträgen des Kirchenchores Klosters hielt
Pfarrer J. Vetsch seine Predigt, die diesem Bericht im Wortlaut folgt.
Pfarrer Dr. K. Otte, der trotz seiner grossen
Beanspruchung in mehreren hohen Ämtern immer noch gerne
zurück nach Serneus kommt, setzte das Abendmahl ein und
zelebrierte dessen Austeilung.
Nachdem die Festgemeinde derart erbaut das
Gotteshaus verlassen hatte, wurde sie im Schulhaus bei einem vom
Frauenverein gestifteten Aperitif auch noch leiblich erlabt. - h"
Die Feier in der Kirche St.
Sebastian
Volles Geläut zum Eingang (Sigristin Barbara Caviezel)
Eingangsspiel der Orgel (Prof. Anton Ebnöther)
Grusswort (Pfr. K.-O. Sulzbach)
Lied 272;1.4.5.6 ("Von Gott will ich nicht lassen")
Lesung: Psalm 111 (Kirchgemeindepräsident Hs. R. Klucker)
Gebet
Kirchenchor (unter der Leitung von Frau E. Meisser): "Jauchzet dem
Herrn alle Welt" (Psalm 100)
Predigt: Mat.24,35 (Pfr. Jak. Vetsch)
Kirchenchor: "Grosser Gott, wir loben dich"
Einsetzung des Abendmahls (Pfr. Dr. Klaus Otte)
Lied 125;4.5 ("Gott ist im Fleische...", aus "Jauchzet, ihr Himmel")
Abendmahlsansprache
Gebet
Austeilung des Abendmahles
Lobpreis (Dankgebet)
Lied 44;1-2 ("Nun danket alle Gott")
Mitteilungen
Segen
Ausgangsspiel der Orgel
Volles Geläut zum Ausgang
Meine Worte werden nicht vergehen
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unsrem Vater, und dem Herrn
Jesus Christus!
Meiner Predigt zur 500-Jahr-Feier des Gotteshauses Serneus und dem
Reformationsfest des Jahres 1979 ist das Wort des
gekreuzigt-auferstanden Herrn zugrundegelegt: "Der Himmel und die Erde
werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen."
(Matthäus 24,35)
Im Herrn geliebte Gemeinde von Klosters-Serneus!
Eigenartig gerührt und von mannigfaltigen heiligen Gefühlen
getrieben steht heute Euer Prediger auf seiner Kanzel. Er sieht sich in
der halbtausendjährigen Tradition der Verkündigung des Wortes
Gottes an dieser Stätte des Herrn. Innerhalb jener
Verkündigung der Frohen Botschaft erkennt er sein Bestreben, von
der sich so manches Gemeindeglied und so manche Gemeinde im Flusse der
Zeit Erleichterung, Trost, Halt und christliche Freude erhofft und auch
empfangen haben; innerhalb jener Verkündigung findet er sich vor,
in der so viele Seelsorger von der Wahrheit des Evangeliums Zeugnis
abgelegt haben, in der so viele Diener des Wortes um die Gemeinde in
Serneus gebangt, ja um sie gezittert und für sie gebetet haben,
dass sie echte und wahre, lebendige Gemeinde Jesu Christi sei, sein
Leib mit den vielen Gliedern; dass sie dies sei zur Ehre Gottes,
unseres Schöpfers und Behüters, unseres Erlöser und
Heilandes, und des Heiligen Geistes, der die Gemeinschaft der
Gläubigen gestiftet hat und stiftet durch die Zeit in die Ewigkeit
hinein.
Wieviel mehr aber muss jene Gemeinde im Innersten
bewegt und vor dem Angesichte Gottes freudig und zugleich wehmütig
dankerfüllt sein, die solche Geschichte an ihrem eigenen Leibe
erfahren hat, die solche Geschichte in sich trägt und weiterreicht!
Was liegt da näher, als jetzt, in dieser Stunde
des hohen Jubiläums Besinnung zu suchen in dem Wort unseres Herrn:
"Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht
vergehen."
Wenn wir an diesem Tage fröhlich jubilieren,
zurückdenken und Ausschau halten, so sind es ja nicht die Mauern
dieses Gotteshauses, deren Bestand und Entwicklung wir alleine preisen.
Nein, es sind diese bedachtsam aneinandergefügten Steine als ein
sichtbares Zeichen des erbauenden und heilenden Wortes aus Gottes
Munde, derer wir gedenken als ein Gedächtnis, das der Herr seinen
Wundertaten gestiftet hat. Mit diesem Wort hat Er aus dem Nichts unsere
Kirche werden lassen.
Sein Wort gilt es denn auch hier zu hören und
zu preisen, in unsere Herzen zu schreiben und sie unseren Kindern
einzuprägen. Sein Wort, das aus der Sünde und der tragischen
Verstrickung in Schuld zu befreien vermag, gilt es hier heilig zu
halten, um Gott die Ehre zu erweisen, aus Dem alles Leben seinen Atem
gewinnt, Ihm die Ehre zu geben, der uns in allem Schönen das
Vermögen zur Einsicht, zur Besonnenheit und zur ergebenen
Dankbarkeit verleiht, der seinen Geschöpfen durch alles Schwere
hindurch die Kraft zur Reifung daran schenkt, dass sie der Tiefe der
Wahrheit in ihren Herzen Raum gewähren und Kinder Gottes seien.
Liebe Serneuser!
So haben es Eure Vorfahren in unzähligen Stunden der
Betrübnis gehalten, wenn sie schmerzerfüllt von der
Gräbern Eurer Ahnen herkommend im bergenden Hort des Gotteshauses
Schutz und Trost gesucht und die letzte Frage nach dem Sinn des
menschlichen Daseins gestellt haben und sie auch stellen mussten.
So haben es Eure Vorfahren an diesem Orte
unzählige Male gehalten, wenn sie ergriffen und voller Freude,
mitunter auch wissentlich vor ungewissem Schicksal stehend, am
Traualtar im Vertrauen auf den Beistand des Herrn den Bund fürs
Leben geschlossen haben.
So haben es Eure Vorfahren gehalten, wenn sie in
Dankbarkeit und Hoffnung hier ihre Kinder in die Hand Gottes gelegt
haben, dass Seine Gnade, Seine Barmherzigkeit und reiche Güte
über ihnen walte.
So haben es Eure Vorfahren gehalten, wenn sie in
dieser Kirche am Sonntag die geistliche Wegzehrung für die
Mühsal des Werktages in Empfang zu nehmen bereit waren.
So haben es Eure Vorfahren gehalten, wenn sie an
Festtagen im sichtbaren Zeichen des Wortes - in Brot und Wein -
Stärkung für ihre Seelen erfahren haben.
So halten wir es denn auch an diesem Tage, die
Gemeinde Serneus mit ihren Vorstehern, Seelsorgern und Dienern. Und zum
Zeichen dafür, dass Gemeinde Gottes unterwegs Gefährten
kennt, die mitsingen und mitbeten, ist auch die Klosterser Gemeinde zu
uns gekommen um mit uns zu feiern.
Wenn wir heute um Jahrhunderte zurückblicken,
vermag unser wachsames Auge die Vergänglichkeit des hiesigen
Daseins zu erkennen. Die Stimmen der Prediger aus alten Zeiten sind
verhallt, Generationen haben einander die Hand zu Willkomm und Abschied
gereicht, unwillkürlich wandern unsere Gedanken zu jenen
zurück, die nicht mehr unter uns weilen, und das Läuten der
ersten Glocken, der Klang alter Orgeln ist nicht mehr.
Unsere Frage ist jetzt aber nichtsdestotrotz
diejenige: Was bleibt? Und wenn unser Vers aussagt: "Der Himmel und die
Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen", so
wollen wir diese Worte kennen, die da bleiben in Ewigkeit! Was sagt,
der so spricht, für Worte, die bleiben?
Zunächst sagt er dir: Menschenkind, du hast
einen Vater im Himmel. Du mühst dich nicht sinnlos und alleine ab.
Freude am Fest oder Schmerz im Leben mag dich bewegen, Kummer im Herzen
oder Lust an dieser schönen Welt, du hast einen Anwalt, der
über allem steht, der mächtiger und höher als alle
Gewalten ist. Dieser verwaltet deine Anliegen, lege sie Ihm in den
Schoss. Gott ist dein Vater, er ist dir nahe und steht als dein
Verehrter und Gepriesener doch so über allem, dass Er dir zu
helfen vermag und dein Halt sein kann.
Als zweites sagt er dir: Menschenbild, deinem Vater
im Himmel bist du Kind. Gott hat seinen Sohn auf diese Erde, auf
welcher du stehst, gesandt, auf die gleiche Ebene hat er ihn gestellt,
auf der du bist. Und dieser hat dich zu seinem Bruder und zu seiner
Schwester gemacht. Und dadurch bist auch du Kind Gottes. Trachte
danach, dass du deinen Frieden mit ihm zurzeit geschlossen hast, und es
wird dir wohl ergehen, was dich auch anfechten mag. Es ist dir
möglich, in Frieden mit ihm zu leben, Der dein Leben
begründet.
Und als drittes sagt er dir: Alle Menschen sind
deine Geschwister, sind Kinder deines Vaters so gut wie du. Du wirst in
deinem Dorf wie auf der ganzen Welt Menschen finden, die deine Sprache
reden, die in dem gleichen Geiste ihr Leben an die Hand nehmen wie du,
die zum selben Vater beten auch für dich. Wie im vorbildhaften
Haushalt nimmt jedes Kind die Arbeit auf sich, zu der es mit seinen
Gaben befähigt ist und zu der es berufen ist. In gegenseitiger
Achtung und Wertschätzung, in geschwisterlicher Ermahnung und
Geduld arbeiten wir uns im Weinberg des Vaters zur Glückseligkeit
empor.
Meine Lieben! Das Vatersein Gottes, unser Kind- und
Geschwistersein könnte als moralischer Druck missverstanden
werden. Es könnte als idealistisch angezweifelt und als
unrealistisch abgetan werden. Wir hätten dazu allen Grund, wenn
wir 500 Jahre zurückblicken und auch in unsere Reihen sehen.
Und dennoch will und muss ich es predigen, ich kann
nicht anders. Dass wir dies sind und sein dürfen, ist nicht unsere
Leistung und nicht unser Verdienst, nicht unsere Auszeichnung und unser
Wollen, sondern allein die Gnade Gottes und sein Ratschluss. Auch wenn
wir Zwietracht in Familien und Gemeinde sehen, auch dann und gerade
dann bleibt dieses Wort bestehen, dieses Wort, das Jesus Christus
selber ist, der durch allen Streit und durch allen Tod hindurch zur
Auferstehung gelangte, um uns zu sagen: "Siehe, ich bin bei euch alle
Tage, bis an der Welt Ende." Darum kann das gepredigt werden, was die
Gemeinde auch erkannt und deshalb an den Pfarrstuhl geschrieben hat:
"Predige das wort, Halt an, Es sey zu rechter Zeit, oder zur unzeit,
Straffe, drüwe, ermahne mit aller Gedult u. Lehre."
Und allenthalben, wo ich hinblicke, sehe ich auch,
dass Gott als der Vater erkannt wurde, dass unter Menschen gelebt wird
wie unter Kindern Gottes als Brüder und Schwestern. Wir sehen das
aufleuchten, was hier in diesem Leben beginnt und seinen Anfang nimmt,
was aber dort in der Ewigkeit zur Vollendung gelangt.
Und das, liebe Serneuser und Klosterser
Gemeindeglieder, das wünsche ich Euch jetzt: Dass Ihr aus Gottes
Munde die Frohe Botschaft hören möget, dass Ihr aus Seiner
Hand im Abendmahl Stärkung erfahret, denn Gott ist unser Vater.
Das wünsche ich Euch jetzt und in Zukunft, dass Ihr als Gottes
Kinder Seiner Güte und Seinem Schutz überlassen seid. Und ich
kann Euch nichts Besseres wünschen, als dass Ihr als Brüder
und Schwestern einander von Herzen lieb habt.
Möge es uns Gott verleihen, diese Gnade zu
erfahren und diese Verantwortung in Gottesdienst und Alltag auf uns zu
nehmen, dass wir unserer Seele, unserem Körper und dem Land, auf
dem wir leben, Sorge tragen!
Ich schliesse mit der Bitte, die von der Weisheit
unserer Gemeinde an diese Kanzel geschrieben wurde: O HER GOT ERHALTE
VNS DAS WIR DINE KINDER SEIGEND HIE UND DORT EWIG, AMEN.
last update: 06.06.2015
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