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Predigt zum Gedenktag des Franziskus am 4. Oktober,
gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch am 2. Oktober 2005
Kirche Zürich-Matthäus


SONNENGESANG, oder: GUT GEMACHT!

"Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut." (1. Mose 1,31a)

Diesen Eindruck haben wir ja nicht immer, dass alles so gut gemacht sei: Die Tagesschau wird beherrscht von Terroranschlägen, Kriegsszenen, Hurrikanen und Wasserüberschwemmungen. Neid und Geiz, Machtgelüste und Missgunst, Konkurrenzdenken und Übervorteilungen dominieren das Tagesgeschehen.
Wir könnten nun sagen, dieser Satz der Bibel („Und siehe, es war sehr gut“) stehe halt noch vor dem Sündenfall; aber diese Erklärung ist mir zu einfach, auch das hätte ja nicht passieren müssen. Ich bleibe dabei: Es ist nicht immer alles perfekt, und es gibt viel Böses auf dieser Welt, auch solches, das nicht sein müsste.

Und da kommt im 13. Jahrhundert ein Franz von Assisi und dichtet den berühmt gewordenen Sonnengesang, ein herrliches Lied! Es geht so:

"Höchster allmächtiger guter Herr
Dir sei das Lied die Herrlichkeit die Ehre und aller Segen
Dir allein Höchster kommen sie zu
Kein Mensch ist würdig dich zu nennen

Lob sei dir mein Herr mit deiner ganzen Schöpfung
vor allem mit dem Herrn Bruder Sonne
Er bringt uns den Tag und spendet uns Licht
Schön ist er und strahlend mit großem Glanz
Von dir Höchster ein Zeichen

Lob sei dir mein Herr durch Schwester Mond und die Sterne
Am Himmel formtest du sie glänzend kostbar und schön

Lob sei dir mein Herr durch Bruder Wind
durch Luft und Wolken
durch heiteres und jedes Wetter
Durch sie gibst du deiner Schöpfung Leben

Lob sei dir mein Herr durch Schwester Wasser
Sehr nützlich ist sie demütig kostbar und rein

Lob sei dir mein Herr durch Bruder Feuer
Durch ihn ist die Nacht erhellt
Schön ist er fröhlich kraftvoll und stark

Lob sei dir mein Herr durch unsere Schwester Mutter Erde
Sie belebt und lenkt uns
Sie erzeugt viel Früchte farbige Blumen und Gräser

Lob sei dir mein Herr durch jene die um deiner Liebe willen vergeben
und Schwachheit und Not ertragen
Selig die ausharren in Frieden
Du Höchster wirst sie krönen

Lob sei dir mein Herr durch unsere Schwester den leiblichen Tod
Kein lebendiger Mensch kann ihr entrinnen
Weh denen die in tödlicher Schuld sterben
Selig die sie findet in deinem heiligsten Willen
Der zweite Tod tut ihnen nichts Böses

Lobt und segnet meinen Herrn
Dankt und dient ihm in großer Demut"

Dazu müsste man eigentlich gar nicht mehr viel sagen. Dieses älteste und wohl auch bekannteste Stück italienisch-sprachiger Literatur ist wie eine kleine Predigt. Franziskus war Prediger, es lag ihm daran, seinen schlichten und tiefen Christusglauben, den er als wahr erkannt hatte, aus seinem Herz in die Herzen anderer zu pflanzen.
Und dennoch gibt es einiges dazu zu sagen. Dieses schöne Lied wurde in alle erdenklichen Sprachen übersetzt, hundertfach vertont und tausendfach dargestellt. Im Laufe von acht Jahrhunderten hat es zahlreiche Menschen beglückt, ermutigt, getröstet, begleitet und gekräftigt. Aber zwei Dinge wissen nur wenige: Dass es dem Dichter dieser Zeilen schlecht ging, und dass ihnen ein ganz tiefer Sinn innewohnt, der mit Christus zu tun hat. Zu beidem will ich nun etwas sagen.

Im Winter 1224/25 machte Franziskus ein grauenhaftes Elend durch. Schwer krank kam er nach San Damiano vor den Toren Assisis, und fand bei den dortigen Schwestern Zuflucht. Malaria schüttelte ihn, Blutarmut hatte ihm die Kräfte genommen, und durch eine feurig-schmerzende Augenentzündung war er schier erblindet. Seine Augen ertrugen weder am Tag das Sonnenlicht, noch in der Nacht den Feuerschein. So hielt er sich dauernd im Dunkel der winterlich-kalten Zelle aus Holz und Matten auf. Sie war von Mäusen bevölkert, und diese raubten ihm zusätzlich den Schlaf. Das stechende Gefühl quälte ihn, er sei von Gott verlassen. Schwere Depressionen zermürbten über Wochen hinweg seine Seele.
Da betete er mit weinendem Herzen eines Nachts: "Gott, komm meiner Schwachheit und Not zu Hilfe!" Eine Stimme sagte zu ihm: "Von nun an wirst Du in solcher Klarheit leben, als ob du schon in meinem Reiche wärest!" Diese Klarheit stellte sich ein, und es entstand der "Sonnengesang". Sitzend begann er zu singen, heißt es von Franziskus.

"Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut."

Das ist scheinbar kein Zustand, und schon gar nicht ein immer währender, sondern es ist ein Geschehen, ein Tun, das sich zwischen Gott und seiner Schöpfung ereignet und an dem wir teilhaben dürfen! So weit zum Ersten, was viele nicht wissen, wie es dem Dichter dieses Liedes ging.

Und nun zum Zweiten: Es geht hier nicht um ein oberflächliches Besingen der Schöpfung, um eine „Naturburschenherrlichkeit“, sondern das Lied enthält einen inneren, tieferen Sinn, und der hat mit Christus zu tun. Ich möchte dazu einige Hinweise geben.

"Lob sei dir mein Herr", mit diesen Worten beginnen alle Strophen, von der zweiten Strophe weg. In seiner Originalfassung zählt das Lied 33 Zeilen, das ist die Zahl der Lebensjahre Jesu. Besungen wird die Dreizahl der Gestirne Sonne, Mond und Sterne, sowie die Vierzahl der Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde; das ergibt zusammen die Sieben, die Symbolzahl der gesamten Schöpfung, die in Gottes Augen gut gemacht ist.
In der italienischen Fassung herrscht in der ersten Zeile der Vokal "O" vor (Altissimo omnipotente bon signore; d.h. Höchster allmächtiger guter Herr), in der letzten Zeile der Vokal "A" (Ringratiate e serviateli cum grande umilitate; d.h. Dankt und dient ihm in großer Demut). Alpha und Omega, Anfangs- und Endbuchstabe des griechischen Alphabets, nimmt Christus gerne für sich in Anspruch, als Erster und Letzter. In ihm ist alles Leben und auch alles Erleben aufgehoben. Erst in ihm ist alles gut und schön.
Findige Deuter haben herausgefunden, dass man die Worte der ersten Zeile denjenigen der letzten Zeile zuordnen kann, und zwar wie folgt: Das erste Wort "Höchster" dem letzten Wort "Demut". Das zweite Wort "allmächtiger" dem Wort "dient". Und der dritte Begriff "guter Herr" dem ersten Wort der letzten Zeile, nämlich "Dankt". Wenn wir einen Lineal nehmen und diese Worte so verbinden, ergibt es drei Linien, die sich zu einen Stern formen, oder eben ein "X" (Chi) für Christus und ein "I" in der Mitte für Jesus. Das ist ein Christusmonogramm, ein Zeichen für Jesus Christus, das über das ganze Lied hinweg geht!

Franziskus zeigt uns: Jesus Christus ist gleichsam die innere Gravur der Schöpfung. Er schafft und befreit Leben, er heilt und erlöst. Durch ihn wird die Sonne zum Bruder, der Mond zur Schwester. Bruder Wind spielt mit der Schwester Wasser. Schwester Mutter Erde (auch die Mutter Erde wird in die Geschwisterkette eingebunden!), also Schwester Mutter Erde wird von Bruder Feuer erwärmt und erhellt. Nicht Hierarchie und Macht von Oben herrschen und bewirken das Gute, sondern die große Geschwisterlichkeit, die durch Christus initiiert ist! In Christus wird sogar der Tod noch zur Schwester, die uns nichts Böses will, wenn sie uns in seinem Willen, d.h. in seiner Liebe findet. Denn das Größte ist die Liebe:

"Lob sei dir mein Herr durch jene
die um deiner Liebe willen vergeben
und Schwachheit und Not ertragen
Selig die ausharren in Frieden
Du Höchster wirst sie krönen"

Diese Strophe hat Franziskus später hinzu gedichtet, zur Versöhnung von Bischof und Bürgermeister, die sich verkracht hatten miteinander. Ebenso ist die Strophe mit "sora morte" (Schwester Tod) erst in der letzten Zeit seines Lebens entstanden. Kein listiger Knochenmann mit schneidender Sense tritt da auf, sondern eine Schwester. Franziskus hat nach einem Leben voller Hingabe und Leiden den Tod tatsächlich heiter als seine "sorella" willkommen geheißen. Das kann nur, wer Christus in allem sieht, wie es dieses Lied sagt.

"Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut."

So lesen wir es im weisen Prediger Salomo:
"Alles hat er (Gott) gar schön gemacht zu seiner Zeit;
auch die Ewigkeit hat er ihnen (den Menschen) ins Herz gelegt."
(Prediger 3,11)

Das ist kein Zustand, sondern ein Werk, das fortdauert; ein Erlebnis, das Erlebnis der Liebe Gottes, die wir annehmen und weiter pflegen dürfen, mit der ganzen Schöpfung!


last update: 09.10.2015