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Sonntag
Sonntagsgottesdienst, Sonntagsfeier

Gemäss weltlichem Lexikon ist der Sonntag der siebte Tag der Woche, der gesetzliche Ruhetag. Als christlicher Tag der Auferstehung von Jesus Christus ist er auch der Tag des Herrn, ein Feiertag mit Gottesdienst.

Demgegenüber heben 1. Korinther 16,2 und Apostelgeschichte 20,7 den ersten Tag der Woche (nicht mehr den letzten, den Samstag, wie im Alten Testament!) als den regelmässigen Versammlungstag der christlichen Gemeinde hervor.
Entgegen unserer Sprache hat sich in den romanischen Sprachen die Bezeichnung "Tag des Herrn" für den "Sonntag" durchgesetzt: dies dominica (lat.), domenica (ital.), dimanche (franz.), domingo (span. und port.). Unser Wort "Sonntag" (dies solis, lat.) entstammt der heidnisch-römischen Tradition, wie auch in anderen Wochentagsnamen die altheidnischen Götter weiterleben.
Der bekannte und berühmte 400-m-Läufer Eric Lydell sollte an einem Sonntag zu einem Rennen antreten. Alle Welt war sich klar, dass er, der kurz vorher Olympiasieger und Weltrekordler geworden war, den Lauf problemlos gewinnen werde. Doch was geschah? Welch eine Überraschung! Der Student weigerte sich entschieden, am Sonntag, den er heilig hielt, zu starten. Am Sonntag stand der Theologiestudent in der schottischen Kirche in Paris auf der Kanzel statt auf der Rennbahn. Und im Jahr darauf ging der Weltrekordmann als Missionar nach China. Einer, der auf seine eigene Ehre verzichtete und das "Ehre sei Gott in der Höhe" hoch hielt und lebte.
Schweizer Sonntagsfreund 1/1995

Der Mensch kann nicht immer arbeiten, er muss auch seine Ruhe haben.
Martin Luther

Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es.
Gottfried Keller

Die zehn Gebote enthalten kein Gebot zu arbeiten, aber ein Gebot, von der Arbeit zu ruhen. Das ist die Umkehrung von dem, was wir zu denken gewohnt sind.
Dietrich Bonhoeffer

Gib der Seele einen Sonntag und dem Sonntag eine Seele!
Peter Rosegger



Predigt vom 1. Oktober 2006, gehalten von Pfr. Jakob Vetsch in der Kirche von Zürich-Matthäus

Und der Sonntag?

"Achte darauf, den Sabbat zu heiligen! Sechs Tage magst du arbeiten und alle deine Geschäfte verrichten! Aber der siebte Tag ist ein Ruhetag zu Ehren des Herrn, deines Gottes. Da darfst du keinerlei Arbeit tun, weder du noch dein Sohn oder deine Tochter, weder dein Knecht noch deine Magd noch dein Vieh noch der Fremdling, der bei dir innerhalb deiner Tore weilt! Denn in sechs Tagen schuf der Herr Himmel und Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, aber am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbat gesegnet und geheiligt."
2. Mose 20,8-11

"Der Sonntag ist ein uralter Baum, in dessen Schatten wir uns jeden siebten Tag ausruhen dürfen. Dieser Baum kann nicht gegen andere Bäume eingetauscht werden. Es ist ein einzigartiger Baum, für dessen Rettung uns nichts zu schade und nichts zu teuer sein sollte. Denn wenn er gefällt wird, wächst die Wüste um uns herum in einem unheimlichen Ausmaß."
Mit diesen Worten beschrieb der Heidelberger Theologe Christian Möller das Wesen des Sonntags. Er verglich den Sonntag mit einem Baum, der Leben spendet. Aber er erkannte auch, wie gefährdet dieser Baum ist. Der Ruhetag mit seinem feierlichen Charakter ist zum Weekend verkommen, dessen Höhepunkte die Nächte auf den Samstag und auf den Sonntag darstellen. In der übrigen Zeit schlafen viele einfach nur aus.
Den Ton geben nicht mehr die innere Ruhe und das vergnügte Zufriedensein oder die geselligen Sonntagsbesuche an, die man früher kannte, sondern es herrscht der unbarmherzige Sound einer oft kalten Freizeitindustrie. So ist das Weekend eigentlich nur die Kehrseite des Alltagslebens. Es wird gleichermaßen durch die Gesetze des Geschäftslebens beherrscht.

Die Bedeutung des Sonntags für die ganze Gesellschaft und für den Einzelnen darf nicht unterschätzt werden. Ein Weiser sagte einst: "Mehr noch als dass Israel den Sabbat gehalten hat, hat der Sabbat Israel erhalten." Wir dürfen diesen Satz auf unser Leben umformulieren: "Mehr noch als dass die christlich geprägten Länder den Sonntag eingehalten haben, hat der Sonntag die christlich geprägten Länder aufrechterhalten."
Wenn Gott sein Schöpfungswerk mit dem siebten Tag als dem Ruhetag vollendet, dann ist die Ruhe nicht einfach etwas, das auch noch sein muss, sondern sie gehört dazu. Sie krönt das Werk. Sie gibt dem Werk die Schönheit. Und wenn der Sonntag bei uns Christen als Erinnerungstag an die Auferstehung des Herrn der erste Tag der Woche ist, dann ist er nochmals nichts Beiläufiges, sondern sogar die Basis unserer Arbeitswoche, der Ausgangspunkt unseres Handelns!

Die Frage "Und der Sonntag?" oder "Ist der Sonntag noch zu retten?", wie der heutige Basler Bischof Kurt Koch im Jahre 1991 in einem Buchtitel gefragt hat, wird also zur Frage „Rettet uns der Sonntag noch - oder hat er seine Kraft verloren?“

Beim Blick auf die zehn Gebote fällt schon rein optisch auf, dass dem Sabbat-Gebot der Platz in der Mitte zukommt und dass es am ausführlichsten beschrieben wird. Es nimmt - noch vor dem Bilderverbot - am meisten Raum ein. Vielleicht ist das deshalb der Fall, weil es damals wie heute am schnellsten auf die leichte Schulter genommen wird und doch so wichtig ist?
Sodann fällt auf, dass es multifunktional begründet wird. Da gibt’s den "Wellness-Aspekt": "Sechs Tage sollst du dein Werk tun, aber der siebte Tag ist ein Ruhetag." Drei mal "Tag" in diesem Satz. Vergiss diesen Tag nicht! Du brauchst ihn. Du musst zur Ruhe kommen. Du musst dich erholen können.
Da gibt’s den "Credo-Aspekt": "Aber der siebte Tag ist dem Herrn, deinem Gott, geweiht." Ein geweihter Tag also. Ein gesegneter Tag und ein geheiligter Tag auch. Ein Tag für Gott. Wenn wir ausgeruht sind, wenn es uns gut geht und wir uns wohl fühlen, entfaltet sich das Gotteslob eindrücklicher, ausgeprägter und wirkungsvoller!
Da gibt’s den "Sozial-Aspekt": "Da sollst du keine Arbeit tun, auch dein Sohn und die Tochter nicht, weder Sklave noch Sklavin, nicht mal dein Vieh, und der Ausländer auch nicht." An alle wird gedacht. Ein dichtes, gleichsam juristisches Netz, in dem es keine Schlupflöcher geben soll. Die Sabbat-Heiligung gilt für dich. Aber unterstehe dich jemand Anderen einzuspannen, weder jüngere Familienangehörige (Schutz der Kinder und Jugendlichen) noch irgendwelche Angestellte (Arbeiterschutz) noch das Vieh (Tierschutz) noch Fremdlinge (Ausländerschutz)! Gott gibt dir einen Tag zu deiner Ruhe und seinem Lob. Du sollst dieses Geschenk nehmen für dich. Du sollst es aber auch allen Anderen weitergeben.
Und da gibt’s schließlich den "Öko-Aspekt" mit Hinweis auf das Schöpfungswerk: "Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag." Ja, er ruhte, und sein Werk mit ihm. Das ließ er auch in Ruhe. So sollen wir es eben auch machen. Die Schöpfung muss sich mit uns erholen. Sie muss mit uns atmen können. Sie braucht auch ihren Geist für das Lob Gottes, dass sie von seiner Größe, von seiner Kreativität und von seinem Ideenreichtum Zeugnis ablegen kann.

An alle und an alles wird gedacht: An den Menschen jeden Alters, beiderlei Geschlechts und jeden Standes, an die Tierwelt und an die ganze Schöpfung. Eine runde Sache. Und erst dann ist es eine runde Sache, wenn der Feiertag für alle gilt, und wenn das Lob aller Gott zukommt. Es geht um die Ganzheit, um das Heil.
Ein unerhörtes Programm entwirft hier das Alte Testament für unser gesellschaftliches und religiöses Leben. Ein umfassendes Plädoyer nicht nur für den freien Tag, sondern für den Feiertag: Steig aus, sagt es dem Einzelnen, entheb dich aller Verflechtungen, fühle dich als freier Mensch, sei Mensch vor Gott, tanke Kräfte, bevor du dich wieder an die Arbeit machst! Gib dem Einzelnen und jedem Schöpfungsteil die Würde, sagt es der Gesellschaft, gönne ihnen die Freiheit zur Entfaltung und zum schönen Miteinander, spann sie erst nachher wieder ein in den Arbeitsprozess zum Aufbau einer Welt, wie sie Gott gedacht hat!

Es geht nicht nur ums Sein, sondern ums So-Sein. Es geht nicht nur ums Leben, sondern um die Lebensqualität. Es geht nicht nur um die Existenz, sondern um die volle Anwesenheit. Sie kennen die Frage, die wir als Kinder am Anfang von jedem Kasperli-Theater zu beantworten hatten, wenn die Hauptfigur rief: "Seid ihr alle da?" Und die Kinderschar wie aus einem Munde zur Antwort gab: "Ja!" Erst dann konnte es losgehen mit dem Spiel. Erst dann konnte man sich ins Spiel versenken und im Spiel leben. Das war ja keine Informationsfrage. Der Kasperli wollte etwas Tieferes wissen: Seid ihr alle ganz da, seid ihr mit allem da, was dazu gehört? Seid ihr bereit?
So ist es mit dem Sabbat-Gebot gemeint. Ist alles da, was es für ein gutes Leben braucht? Ist alles vorhanden und wird alles getan, um dem Leben die Fülle zu geben? Oder fehlen wichtige Dinge? Diese Fragen können nur beantwortet werden, wenn wir den Sonntag nehmen und ihn anderen auch gönnen. Sonst geht zu vieles unter und kommt zu vieles unter die Räder.
Das hat mit Würde und Respekt vor dem Leben zu tun. Mit Liebe und Freiheit. Mit Gott, der uns das alles gibt.

Ich schließe mit dem Wort von Christian Möller, das wir eingangs gehört haben:

"Der Sonntag ist ein uralter Baum, in dessen Schatten wir uns jeden siebten Tag ausruhen dürfen. Dieser Baum kann nicht gegen andere Bäume eingetauscht werden. Es ist ein einzigartiger Baum, für dessen Rettung uns nichts zu schade und nichts zu teuer sein sollte. Denn wenn er gefällt wird, wächst die Wüste um uns herum in einem unheimlichen Ausmaß."




Predigt: Ährenrupfen am Sabbat



last update: 07.03.2015