Spiegel
Blick in
den Spiegel
Predigt von Pfr. Thomas Ter-Nedden, Fahrweid ZH,
gehalten am 11. Juli 2004 in der Kirche von
Matthäus-Zürich
"Seid aber Täter des Worts und nicht
Hörer allein;
sonst betrügt ihr euch selbst. Denn wenn jemand ein
Hörer des
Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Mann, der
sein
leibliches Angesicht im Spiegel beschaut: nachdem er sich beschaut hat,
geht er davon und vergißt von Stund an, wie er gestaltet war.
Wer
aber durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei
beharrt und ist nicht ein vergeßlicher Hörer,
sondern ein
Täter, der wird selig sein in seiner Tat.
Jakobusbrief 1,22-25
Jeder von uns lebt mit dem Spiegel.
Je nach dem Maß der ihm zuteil gewordenen Eitelkeit - oder
auch
nur Unsicherheit - setzt sich der eine einmal morgens und einmal abends
diesem lästigen Frager und ungebetenen Antwortgeber aus. Der
andere - oder, wie die boshafte Volksmeinung will, die andere -
trägt das Spieglein als kritischen Freund bei sich, um ihn
jederzeit zu befragen und sich sogleich - wo auch immer - nach seinen
Einflüsterungen zu richten.
Was verleiht dem Spiegel, diesem undurchschaubaren Glas, das doch nur
wiedergibt, was vor ihm ist, solch zauberische Macht?
Im Spiegel vergewissere ich mich darüber, wie ich aussehe. Ich
sehe in ihm, was ich an mir tun müßte.
Der Spiegel zeigt mir mein Bild, wie andere es sehen. Er gibt mir einen
Eindruck davon, wie ich wirke.
Und schließlich - das führt auf eine tiefere Ebene:
mein
Spiegelbild bestätigt mir, daß ich wirklich da bin,
daß ich mich nicht nur träume.
Der Abschnitt aus dem Jakobusbrief, mit seinem vielumstrittenen Wort
"Seid aber Täter des Wortes, nicht Hörer allein!",
spielt mit
dem Bild vom Spiegel.
Und wir wollen heute einmal versuchen, von diesem Bild her, - wenn es
auch zunächst vom Text wegzuführen scheint
- , einen
neuen und vielleicht weniger verstellten Zugang zu dieser Aussage von
"Glauben und Handeln" und ihrem rechten Verhältnis zueinander
zu
gewinnen.
Zunächst, das sagt der Verfasser vor unserer Textstelle:
Das Wort Gottes ist zuerst da. Es ist da als eine Gabe, - als eine Saat
in uns gepflanzt. Es ermöglicht überhaupt erst unser
Reagieren.
Wer diesem Wort zuhört, sich ihm aussetzt, dem wird es - so
sagt
es der Jak. und so erfahren wir es - zum Spiegel. Ein Spiegel, der uns
sagt, wer wir in Wahrheit sind. Das Wort Gottes zeigt uns unsere
Flecken und Runzeln schonungslos und scharf, wie es ein Spiegel eben
tut, - und es ermutigt uns zu dem, was wir können und was wir
tun
sollen, so wie der Spiegel unsere Vorzüge durchaus wiedergibt
und
bestätigt, - selbst wenn wir das nicht wahrhaben wollen.
Das Wort Gottes, ob wir ihm in der Bibel, im Gottesdienst, im
Gespräch - oder in der wortlosen Zuwendung des Anderen
begegnen,
ist uns ein Spiegel: jemand, der mir zusagt, daß ich bin, mir
bestätigt, daß ich lebe. Das ist schon sehr viel!
Aber im Umgang mit dem Spiegel liegen auch Gefahren; eine davon spricht
der Text an:
das Spiegelbild ist flüchtig, es besteht nur so lange, wie ich
vor
dem Spiegel stehe. Übertragen: wir sehen die Wahrheit nur,
solange
wir uns dem Wort Gottes auch aussetzen. Wenn wir uns wieder von unseren
Alltagsgeschäften gefangennehmen lassen, wird sie wirkungslos,
wird sie 'vergessen'.
Das ist es, was der Jakobusbrief so scharf angreift: derjenige, der
zwar hört, aber eben nur hört und dann wieder um
seine
eigenen Hoffnungen, Sorgen und Aufgaben kreist, der hat nur ein
flüchtiges Spiegelbild geschaut, das nichts weiter bewirken
wird.
Die andere Gefahr des Spiegels ist die sprichwörtliche, die
uns
sofort einfällt, wenn wir nur schon das Wort gebrauchen:
daß
wir uns im Spiegel "bespiegeln", daß wir alles um uns her
vergessen und uns nur noch mit uns selbst beschäftigen.
Wenn wir in den Spiegel schauen, besteht die Gefahr, daß alle
noch so herbe Selbstkritik schließlich der Selbstverliebtheit
weicht, ja, daß sogar die Selbstkritik eine fein versteckte
Form
der Selbstverliebtheit wird.
Wieder übertragen: das Hören des göttlichen
Wortes kann
auch zum Vorwand für einen scheinbar frommen, sich selbst
genügenden Egoismus werden, der sich nur noch mit dem eigenen
Seelenheil beschäftigt und dem darüber die immer
zwiespältige, schuldgefährdete Verantwortung
für die
Welt unwichtig wird. - Und solche "Flucht ins Hören des
Wortes"
greift der Jak. erst recht an!
Aber der Spiegel ist noch viel mehr - als nur ein objektives
Instrument, mit dem wir uns selbst begegnen.
"Spiegel" - da fallen uns all die Märchen und Geschichten ein,
die
um das Zauberische des Spiegelglases kreisen:
Im Spiegelbild blickt mich ein Anderer, Fremder an, der ich sein soll,
der ich bin! Oder auch nur teilweise bin?
Der Spiegel zeigt mir mein Leben; er zeigt es mir in den Spuren, die es
in meinem Gesicht (und an meinem Körper)
hinterläßt. Er
macht die abgelebte Zeit sichtbar und erinnert mich so an meine
Vergänglichkeit.
In modernen Dramen und Filmen ist darum der Spiegel die Pforte, durch
die der Tod eintritt, oder auch die Verbindungstür in eine
jenseitige Welt.
Der Spiegel hat also die offenbar die Macht, uns in viel tieferer Weise
zu sagen, wer wir in Wahrheit sind, als nur an der Oberfläche
der
Kosmetik. – Uns mit uns selbst und unserem Bild von uns
selbst zu
"konfrontieren".
[Ja, er zieht mich, - wenn ich mich dem Fremden ausliefere, das mir da
als mein Ich entgegentritt -, in sich hinein, in eine jenseits unserer
Realität liegende Wirklichkeit. Und damit
läßt er mich
Erfahrungen machen, die mich nicht wieder loslassen, die gar mein Leben
verändern: Erfahrungen des Erschreckens, der Angst oder auch
des
Beglücktseins.]
Mit diesen Gedanken über das Wesen des Spiegels wollen wir
jetzt
den Schluß des Textabschnitts zu verstehen versuchen. Dort
wirkt
das Bild vom Spiegel nämlich noch nach, wenn auch kaum mehr
spürbar.
"Wer aber durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darin
beharrt und ist nicht ein vergeßlicher Hörer,
sondern ein
Täter, der wird selig in seiner Tat."
Wir können das so verstehen: Das Wort Gottes ist nicht nur
unbeteiligtes Spiegel-Instrument für den, der es hört
und
sich dann wieder seinem Lebenskampf zuwendet, - "freibleibendes
Angebot"; - sondern es ist Spiegel in diesem tieferen Sinn des
Zauberisch-Mächtigen, das mich mit mir selbst konfrontiert und
in
dieser Begegnung verändert.
Wenn jemand "durchschaut in das Gesetz der Freiheit und darin beharrt",
sich hineinziehen läßt in diesen Spiegel "Wort
Gottes" und
ihn Macht über sich gewinnen lässt, - dann
beginnt er,
wirklich zu sehen, dann erlebt er es verändernd, wer er ist
und
wer er sein kann.
Denn jetzt wird die Eigenschaft des Spiegels wirksam, die wir vorhin
auch bedacht haben: er rückt mich in Distanz zu mir selbst.
Das Wort Gottes, in das ich mich hineinziehen lasse im Betrachten und
"Nachsinnen darüber", zeigt mir den Anderen, der ich bin und
sein
soll, sein könnte, - und immer wieder nicht bin!
Damit wird auch das Wort "Freiheit" in der scheinbar
widersprüchlichen Zusammenstellung "Gesetz der Freiheit"
verständlich:
Das Wort Gottes als der machtvolle Spiegel, der uns in sich hineinzieht
und verändert, macht uns frei von all diesen scheinbaren
Notwendigkeiten und Gesetzen, denen wir uns ständig
unterwerfen,
von denen wir uns unser ureigenes Leben stehlen lassen.
Und gleichzeitig: in diesem Spiegel begegnet mir das "vollkommene
Gesetz", das Paulus das "Gesetz Christi" nennt, und zeigt mir meine
Aufgabe als Mensch mit anderen Menschen, mein Leben als 'Bruder' bzw.
Schwester Christi.
Wenn wir uns in den Spiegel "Wort Gottes" hineinziehen lassen, dann
sind die Folgen unausweichlich und selbstverständlich.
So können wir diesen Abschnitt aus dem Jakobusbrief jetzt
besser
verstehen und müssen ihn nicht mehr seiner
'anstößigen,
"katholischen" Einseitigkeit' wegen ablehnen:
Es geht ihm nicht um ein isoliertes Entschlossensein zur Tat, das zum
bloß hörenden Glauben erst noch dazutreten
müßte,
um ihn eigentlich wertvoll zu machen. - Sondern es geht ihm um ein ganz
natürliches, selbstverständliches und doch
zauberisch-machtvolles (d.h. von Gott gewirktes) Ineinander von
Hören und Tun, das den Glauben ausmacht. So wie der Spiegel
mich
in sich hineinzieht und verwandelt, wenn ich mich ihm wirklich
aussetze. - Der flüchtige Hörer des Wortes
kann solche
Erfahrung so wenig machen wie der, der nur flüchtig in den
Spiegel
blickt und sich dann anderem zuwendet.
Am Anfang von allem steht die Gabe Gottes: das Wort, das nicht
kalt-zurück- werfendes Spiegelglas bleibt, sondern uns
hineinziehen will in erfülltes Leben, in lebendiges Tun, in
das
selige 'Sein bei Gott'.
Was wir beten und singen und hören, fordert uns auf, nicht
rasch
wegzulaufen von dem Spiegel 'Wort Gottes', sondern vor ihm zu verweilen
und uns seiner verwandelnden Macht auszusetzen, - uns darin zeigen zu
lassen, wer wir sind, wer wir sein sollen! Und sein dürfen!
Das Verweilen vor diesem Spiegel ermutigt uns, unsere
Möglichkeiten, Gaben und Einsichten wahrzunehmen,
ernstzunehmen
und ihnen entsprechend zu leben, eben "Täter des Wortes" zu
sein.
Das ist die Glückseligkeit, die der letzte Vers
verheißt:
"Wer durchschaut in das Gesetz der Freiheit, darin beharrt und nicht
ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Täter
ist, der wird
selig sein in seiner Tat."
Anders als in den Dramen und Filmen: Hinter diesem Spiegel liegt das
Land der Glückseligkeit, das Paradies, - und es ist das
ungeheure
Geschenk Gottes, daß wir immer wieder durch den Spiegel
hindurchgehen dürfen in dies Land - und gekräftigt
wieder
zurückkehren in unsere Lebenswirklichkeit, um "Täter
des
Guten" zu sein.
Der Mensch im Spiegel
Wenn du hast was du willst im Kampf um dich selbst und
die
Welt dich
für einen Tag zum König macht
So stell dich vor den Spiegel und schau dich dort an und sieh was der
Mensch dir zu sagen hat
Es ist weder dein Vater deine Mutter noch deine Frau vor
deren
Urteil
du bestehen musst
Der Mensch dessen Meinung für dich am meisten zählt
ist der
der dich aus dem Spiegel anschaut
Einige Menschen halten dich für entschlossen
und aufrecht
und nennen
dich einen wundervollen Kerl
Doch der Mensch im Spiegel nennt dich einen Strolch wenn du ihm nicht
offen in die Augen sehen kannst
Auf ihn kommt es an kümmere dich nicht um den
Rest denn
er ist
bis ans Ende bei dir
Du hast die schwierigste Prüfung bestanden wenn der Mensch im
Spiegel dein Freund ist
Auf dem ganzen Lebensweg kannst du die Welt
betrügen und
dir anerkennend
auf die Schultern klopfen lassen
Doch dein Lohn werden Kummer und Tränen sein wenn du den
Mensch
im Spiegel betrogen hast
Dale Wimbrow
last update: 18.08.2015
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