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DAS VIERFACHE ACKERFELD Predigt vom 31. Juli 2005, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch zum Regional-Gottesdienst in der Matthäuskirche "Jesus fing abermals an, am See zu
lehren. Und es versammelte sich bei ihm sehr viel Volk, sodass er in
ein Schiff stieg und auf dem See sich setzte; und alles Volk war am See
auf dem Lande. Und er lehrte sie in Gleichnissen vieles und sagte zu
ihnen in seiner Lehre: Höret zu! Siehe, der Sämann ging aus,
um zu säen. Und es begab sich, indem er säte, fiel etliches
auf den Weg, und die Vögel kamen und frassen es auf. Andres fiel
auf den felsigen Boden, wo es nicht viel Erde fand, und es ging
sogleich auf, weil es nicht tiefe Erde fand; und als die Sonne aufging,
wurde es verbrannt, und weil es nicht Wurzel hatte, verdorrte es.
Andres fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten es,
und es brachte keine Frucht. Noch andres fiel auf den guten Boden und
brachte Frucht, indem es aufging und wuchs; und eins trug
dreissigfältig und eins sechzigfältig und eins
hundertfältig. Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der
höre!"
Markus 4,1-9 Eine Schülerdarstellung Und wieder bin ich darauf hereingefallen und hatte Ohren, die nicht hören, und habe mich ängstlich gefragt: Darf ich mich zum guten Land zählen, welches das Wort aufnimmt und vielfältige Frucht bringt? Oder bin ich bei den Dornen, wo das Wort durch Sorgen und Irrtümer erstickt wird? Bin ich etwa beim Felsen, wo das Wort keine Wurzeln schlagen kann und verdorrt, ein Mensch des Augenblicks? Oder bin ich gar ein harter Weg, habe ich ein hartes Herz, von dem der Teufel das Wort wegnimmt? Und wenn ich mich zum guten Lande zählen dürfte, so habe ich mich gekümmert, wie ist es dann mit anderen Menschen, welche dieses Glück nicht haben und dort stehen müssen, wo das Wort Gottes erstickt wird von den Dornen, an der Sonne versengt und vom Teufel weggenommen wird? Dies würde mich auch nicht glücklich machen; ich würde trauern um jene, denen es so erginge. Ich bin darauf hereingefallen und hatte Ohren, die nicht hören. Ich habe das Gleichnis von unten nach oben gehört und nicht von oben nach unten! Dabei ertönt der Weckruf Jesu ja zwei (!) Mal: Am Anfang der Erzählung des Gleichnisses: "Höret zu!", und am Schluss: "Wer Ohren hat zu hören, der höre!" Ich habe es moralisch aufgefasst und nicht als gute Botschaft, als Evangelium. Ich durfte merken: Jesus will etwas ganz Anderes. Er will vom Handeln Gottes erzählen. Er sagt: Hört zu, ich rede davon, wie es im Reich Gottes zu und her geht. Er will uns gleichsam auf einen Weg mitnehmen, bis zum schönen Schluss, und dann sagt er noch einmal: "Wer Ohren hat zu hören, der höre!" Er will uns die rechte Entscheidung ermöglichen; und er will sie uns leicht machen und uns fröhlich stimmen, damit Gottes Handeln an uns lebendig werden kann. Das Bild des Sämanns, das Jesus hier verwendet, ist keineswegs originell und einzigartig, das haben seit Plato viele benutzt. Das Besondere liegt nicht am Bild, sondern am Weg, auf den Jesus uns mitnehmen möchte; das Besondere liegt am Handeln Gottes, also daran, wie es im Reich Gottes zu und her geht. Das Spezielle ist die sehr ausführliche Beschreibung der Misserfolge: Das Saatgut auf dem hart getretenen Weg, auf dem felsigen Boden und unter den garstigen Dornen. Und dann ganz kräftig der in einem einzigen Vers fast übertrieben geschilderte, aber durchaus mögliche Erfolg der Samen, die auf guten Boden fielen, aufgingen und Frucht trugen, eins dreissigfältig, eins sechzigfältig und eins hundertfältig. Von andauerndem, wiederholtem Fruchtbringen ist die Rede. Die Ernte ist wunderbar! Gott hat sein Ziel erreicht, und es besteht aus Segen und Fülle. Eine herrliche Ernte, die Freude, Frucht und Leben bringt. Das also ist phantastisch: Wie mühsam sich die Arbeit der Aussaat auch gestaltet hat, wie viele Missgeschicke, Verluste und Widerstände auch in Kauf genommen werden mussten, die Ernte ist prima! Auf diesen Weg will Jesus uns mitnehmen, in dieses Reich möchte er uns führen. Und er möchte uns die Entscheidung dafür leicht machen. Es erstaunt uns, wie "ungeschickt" der Bauer gesät hat. Das hat einen einfachen Grund: In Palästina säte man eben noch vor dem Pflügen. Das änderte man später, weil auf diese Weise zu vieles vom Winde verweht werden kann. Damals aber säte man über den festgetretenen Pfad hinweg, manchmal in die Dornen hinein, und man erkannte die Stellen mit dünner Erdschicht nicht, denn umgepflügt wurde ja erst später. Gerade dadurch aber wird das Wirken Gottes klar: Oft sehen wir nur Steine, Disteln und freche Vögel, die das Saatgut wegschnappen. Der Weg ist lang. Das Ziel, die schöne Ernte, aber ist schon da, wenn auch noch nicht erreicht. Und es ist hier nicht einmal von der Vernichtung dessen die Rede, was uns das Leben unwirtlich, das Ziel schier unerreichbar machen kann. Die Stationen des Weges aber werden durchlaufen, wenn wir wirklich hören und uns mitnehmen lassen, und das schöne Ziel der Ernte ist gesetzt und gewiss. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen, da wollen wir mit dabei sein! Wenn wir auf alle diese Punkte hören, uns den Hindernissen im Wissen auf das Heil stellen, dann sind unsere Herzen auch gut vorbereitet, wenn es später um die volle Botschaft Jesu Christi, um den Passionsweg, um Karfreitag, aber auch um die Auferstehungsfreude von Ostern geht! Auf diesen Weg will uns Jesus mitnehmen, an dessen Ende wiederholtes, andauerndes Fruchtbringen, ja, an dessen Ende das ewige Leben wartet! Ich möchte noch einen kleinen Blick in die literarische Wirkungsgeschichte unserer Bibelstelle werfen. Das Wort ist auch bei den Schriftstellern auf guten Boden gefallen und hat Frucht getragen. Johann Wolfgang von Goethe (Aus: Ilmenau, am 3. September 1783, Werke 1, Band Gedichte, S. 154 f.) benützt das Bild vom Sämann zum Aufruf an uns, klug zu streuen:
"So wandle du - der Lohn ist nicht gering -
Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging, Dass bald ein Korn, des Zufalls leichtes Spiel, Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel; Nein! Streue klug wie reich, mit männlich steter Hand, Den Segen aus auf ein geackert Land; Dann lass es ruhn: Die Ernte wird erscheinen Und Dich beglücken und die Deinen." Verinnerlicht hat die Worte Jesu die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (Am fünften Sonntage nach Heilige Drei Könige, Aus: Das Geistliche Jahr, Gesammelte Werke, S. 25-27), die gegen seelische Widerstände ankämpft:
"In die Dornen ist dein Wort gefallen,
In die Dornen, die mein Herz zerrissen; Du, mein Gott, nur du allein kannst wissen, Wie sie schmerzlich sind vor andern allen; In die Dornen meiner bittern Reue, Die noch keine Tröstung will empfangen; So verbarg ich es in finstrer Scheue, Und so ist es trübe aufgegangen." In seinem Spielmannslied (Gedichte Band I, S. 3-5) geht Gottfried Keller in sich:
"Ich bin kein Dornbusch und kein Stein
Und auch kein fetter Weizengrund; Ich glaub, ich bin der offne Weg, Wo’s rauscht und fliegt zu jeder Stund." Ganz vom Weg Jesu mitgenommen, dichtete Werner Bergengruen in seinem Sämannslied (Aus: "Die Rose von Jericho" in "Figur und Schatten", S. 48):
"Herr Christ will Ostern auferstehn,
Heut wollen wir auf den Acker gehn. Wir säen, wir säen auf viererlei Feld. Morgen ist Ostern in aller Welt." Ich schliesse mit dem Dialog zwischen einem Bauern und seinem Kind (nach einer Predigt von Andrea Klimt vom 27. April 2003): "Was siehst Du?" fragt ein Bauer sein Kind, nachdem er Saatkörner auf das Feld ausgestreut hat. "Nichts", sagt das Kind. Im Sommer zeigt der Bauer dem Kind ein Feld voller Ähren, die aus toten Samen ihr Leben geschöpft haben. "Was siehst Du?", fragt der Bauer sein Kind ein Jahr später am frisch bestellten Feld. "Das Brot für dich, für mich und für uns alle", antwortet das Kind. Wir haben einen Samen sterbend in die Erde fallen und zu einem anderen Leben verwandelt aus der Erde herauskommen sehen. Wir zeigen es unseren Kindern und unseren Kindeskindern, und immer mehr Menschen verstehen: "Das Brot für dich, für mich und für uns alle."
last update: 03.08.2015 |
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