CHRISTentum.ch
Ein Portal für das Christentum in der Schweiz

Waldgottesdienst 28.08.2005 zum Thema "Baum"
Kirchgemeinden Allerheiligen / Zürich-Matthäus - Eine Predigt von Pfarrer Jakob Vetsch

"Ein Baum stand mitten auf der Erde; der war sehr hoch. Der Baum wuchs und wurde stark, sein Wipfel reichte bis an den Himmel, seine Krone bis ans Ende der ganzen Erde. Sein Laubwerk war schön, und er trug Früchte die Fülle, Nahrung für alle war an ihm. Unter ihm fanden Schatten die Tiere des Feldes, in seinen Zweigen wohnten die Vögel des Himmels, und von ihm nährte sich alles Lebende."
Daniel 4,7b-9

Das Holz des Baumes umgibt uns alle dermaßen, dass es uns auch sprachlich ganz nahe ist. Das Bild für die menschliche Herkunft ist der Stammbaum, der Auskunft gibt über die Abstammung. Im Restaurant kehren wir ein beim Stammtisch, wo wir uns ein bisschen wie zu Hause fühlen. Von einem sympathischen, charakterfesten Menschen sagen wir, er sei aus gutem Holz. Wenn wir das Glück behalten wollen, heißt es: „Holz aalänge!“ Und wer sich irrt, befindet sich auf dem Holzweg; das ist der Weg, der nur dem Holztransport dient, also im Unterholz endet  ;-)

Der Mensch lebt mit dem Holz des Baumes von der Wiege bis zur Bahre, es umgibt ihn jederzeit; er wohnt darin, er läuft darauf, er arbeitet damit, er weiß es für sich zu nutzen: fürs Bauen, fürs Licht, für die Wärme, für die Kunst.
Und er sieht im aufstrebenden, blühenden, dem Sonnenlicht entgegen wachsenden, aber auch im verletzten, leidenden und sterbenden Baum sich selber, sein Leben, seine Verletzungen, sein Leiden und seinen Tod.

baeume.jpg

Foto: Stana Vetsch, 2005

Er sieht in den guten und schlechten Früchten des Baumes die gelungenen oder misslungenen Resultate seiner Bemühungen. Er fühlt sich dem Wind ähnlich, wenn er unterwegs ist und Reisen macht; und er fühlt sich dem Baum nahe, wenn er Rast macht und wohnt. So sehr, dass Baumsein, Eichesein seine Sprache für Treusein geworden ist; das Wort Treue kommt vom indogermanischen Deru, d.h. Eiche. Treusein heißt feststehen. Beides braucht der Mensch, das Weiterziehen und das Wohnen. Hilde Domin (geb. 1909) versteht das in ihrem Gedicht "Ziehende Landschaft" so:

"Man muss weggehen können
und doch sein wie ein Baum;
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft
und wir ständen fest."

Da geht es um Wandlung, Veränderung, aber auch um Verwurzelung, innere Gewissheit. Um das, was Werner Bergengruen (1892-1964) in seinem Gedicht "Wandlung" originell "Baum im Wanderschuh" genannt hat.
Der Mensch sieht sein Leben im Baum. Und er setzt den Baum zum Zeichen für sein Leben. Er pflanzt Freiheitsbäume und Friedensbäume. Bäumige Menschen stehen für Frieden, Freiheit und Menschenwürde. Das strahlt aus.

Der Prophet Daniel, von dem unser Predigttext herrührt, sieht im Traum einen Lebensbaum mit kosmischen Strukturen: Dieser steht auf der Erde, aber sein Wipfel reicht bis an den Himmel. Er ist voll von Früchten, so dass alle genug Nahrung haben. Die Tiere finden Schatten unter ihm, die Vögel wohnen in seinen Zweigen. Alles, was lebt, nährt sich von ihm. So sollte es sein. Und so könnte es auch sein, denn auf der Erde ist genug Nahrung für alle Menschen. Nur Missgunst, Habgier und Dummheit verursachen den Hunger auf Erden. Es gäbe keinen Hunger, wenn wir auf das Wort Gottes hören und es auch tun würden.
Es gibt aber eine Gerechtigkeit. Der Prophet Ezechiel (17,22-24) berichtet, Gott werde ein zartes Reis aus dem hohen Wipfel einer Zeder brechen und es selbst zu einer herrlichen Zeder machen, wo viele Tiere wohnen können. "Dann werden alle Bäume des Feldes erkennen, dass ich, der Herr, den hohen Baum erniedrigt und den niedrigen Baum erhöht habe, dass ich den grünen Baum dürre gemacht und den dürren Baum zum Blühen gebracht habe." Gott ist dynamisch. Er tut etwas. Er macht Hohe niedrig, und Niedrige macht er hoch. Solches geschieht in Jesus Christus. Da ist Gott selber niedrig geworden, und das ist ganz groß. Das ist das Geheimnis unseres Glaubens.

Der schreibende Pfarrer William Wolfensberger hat Bäume und Wald gut beobachtet, und er rät uns:

"Sei schlicht und wahr, und glaube nie anders zu sein als alle andern. Der Wald ist von Bäumen voll. Jeder hat andere Art, und anders ist jeder von Gestalt und Ansehen. Aber aller Wurzeln gieren mit zähen Fingern nach Nahrung und Halt. Gleich sind sie alle und keiner dem andern verwandt. Welche Gemeinschaft der Verschiedenen und Verschiedensten! Ist eine Krone gleich der andern? Ward je ein Zweig dem andern gleich? Gleich sind sie nur in der Ähnlichkeit und ähnlich nur im Unterschied!"


last update: 09.10.2015