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Predigtgedanken zu einer Legende, gehalten in der Kirche von Zürich-Matthäus
an Auffahrt, den 25. Mai 2006, von Pfr. Jakob Vetsch


Wo Himmel und Erde sich berühren,
oder: Können wir uns den Weg sparen?


"Es waren zwei Mönche, die lasen miteinander in einem alten Buch, am Ende der Welt gebe es einen Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren. Sie beschlossen, ihn zu suchen und nicht umzukehren, bevor sie ihn gefunden hätten.
Sie durchwanderten die Welt, bestanden zahlreiche Gefahren, erlitten alle Entbehrungen, die eine Wanderung durch die ganze Welt fordert, und alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem Ziel abbringen können. Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen, man brauche nur anzuklopfen und befinde sich bei Gott. Schließlich fanden sie, was sie suchten. Sie klopften an die Tür, bebenden Herzens sahen sie, wie sie sich öffnete, und als sie eintraten, standen sie zu Hause in ihrer Klosterzelle. Da begriffen sie: Der Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren, befindet sich auf dieser Erde an der Stelle, die uns Gott zugewiesen hat."

Wir mögen denken, aha, das ist die Pointe dieser Legende von den zwei Mönchen: Ihr Weg war umsonst! Da bleiben wir gescheiter zu Hause und genießen es hier, dass sich der Himmel und die Erde berühren!
Ich glaube nicht, dass dies der Clou der Geschichte ist. Die beiden Mönche wussten vorher nicht, was sie nach dem riskanten Weg buchstäblich in Erfahrung gebracht hatten. Erst nach all den Strapazen war ihnen klar: Himmel und Erde berühren sich an dem Platz, wo Gott uns hingestellt hat. Hier im gläubigen Herzen wohnt Gott, der sich uns in Jesus Christus gezeigt hat, bei uns.
Der Weg mit all seinen Risiken und Chancen, mit all seinen Versuchungen und Gefahren ist zur Reifung unseres Glaubens also nötig. Das Leben ist ein einziger Weg, eine Be-weg-ung. Und dieser Weg ermöglicht es uns, dass wir uns verändern, wandeln, und dass wir als andere Menschen am Ziel ankommen, wie wir das auf jeder Reise im Kleinen erleben.

Werfen wir einen Blick auf das apostolische Glaubensbekenntnis:

"Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden.
Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
der empfangen ist von dem Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
niedergefahren zur Hölle,
am dritten Tag wieder auferstanden von den Toten,
aufgefahren gen Himmel,
sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
eine heilige, allgemeine christliche Kirche,
die Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben."


Im zweiten Artikel, wo es um Jesus Christus geht, fallen die Verben auf, die Bewegung auch: Empfangen ist, geboren von, gelitten unter, gekreuzigt, gestorben und begraben, niedergefahren, auferstanden, aufgefahren gen Himmel, sitzet zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird zu richten.
Da ist ganz erhebliche "action" drin, in die wir als Glaubende auch mit hinein genommen sind in der Nachfolge Jesu. Da gehören wir dazu. Da berühren sich Himmel und Erde!
Wir sind aber nicht einfach hinaus geschickt auf irgend einen Weg. Wir dürfen ihn als Gesegnete gehen. Wir haben den Schutz des Höchsten zugesagt. Wir sind nicht allein. Wir sind geborgen, was uns auch zustoßen mag. Und wenn wir auch mal in die Irre gelaufen sind, die Freude über unsere Rückkehr ist groß.
Auffahrt zeigt uns, dass Himmel und Erde sich berühren, und sie zeigt uns, dass unser Herr, Meister und Bruder Jesus Christus, der selber gelitten hat, nun zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters sitzt. Wir dürfen darauf zählen, dass unser Anwalt im Himmel lebt. Und wir dürfen wissen, dass dort oben ein Interesse an uns besteht, sonst wäre Gott nicht Mensch geworden, sonst wäre er nicht zu uns auf die Erde gekommen und wieder aufgefahren gen Himmel. 

Ich schliesse mit einem Wort von Angelus Silesius:

"Halt an, wo läufst du hin,
der Himmel ist in dir:
Suchst du Gott anderswo,
du fehlst ihn für und für."


last update: 03.08.2015