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Predigt zum Gottesdienst
am Sonntag, 13. Januar 2013
um 18:00 Uhr, gehalten in der Wasserkirche, Zürich, durch Pfarrer Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche Quelle des Lebens Predigtwort: "Bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht." Psalm 36,10 Liebe Gemeinde! Wie Sie es halten beim Lesen entzieht sich meiner Kenntnis. Bei mir ist es so: Etliche Kugelschreiber, Blei- und Farbstifte zieren mein Lesepult. Dann geht es los mit Unterstreichen, Anstreichen, Hervorheben. Auch Notizen werden hinzugeschrieben. Manchmal findet ein weiterer, aus einer Zeitung herausgeschnittener Text oder ein Bild den Weg ins Buch, lose hineingelegt oder fest hineingeklebt. Das ist also eine richtige kleine Lese- und Arbeitswerkstatt. Werden solche Dinge aufbewahrt, sind spätere reizvolle Wiederentdeckungen möglich. Sie kommen zuweilen spannend nahe an Neuentdeckungen heran. So kam es, dass mein Blick letzthin wieder einmal auf die Abbildung eines ganz speziellen Kreuzes aus der Antike fiel, aufgeklebt in der nunmehr gerade vier Jahrzehnte alten Studienbibel. Fast möchte man meinen, es handle sich um eine normale, gefällige Darstellung dieses gleichschenkligen Zeichens des Christentums. Doch es stehen da ineinander verschränkt in griechischer Schrift und Sprache die Worte "Phos" für LICHT in der Vertikalen und "Zoe" für LEBEN in der Horizontalen. Deshalb heisst das Kreuz "Phos-Zoe-Kreuz". Der gemeinsame Buchstaben o steht im Zentrum als o-mikron (kleines o) oder O-mega (grosses O). Das betrachten wir nun näher. Es sind ja nur zwei Worte in einem Zeichen, doch es spricht so viel daraus wenn wir uns die Zeit nehmen, es zu erkunden und auf uns wirken zu lassen. Im senkrechten Balken des Kreuzes können wir die Verbindung des Himmels zur Erde und umgekehrt sehen oder auch die Beziehung von Gott zum Menschen und vom Menschen zu Gott. Darin lesen wir das Wort "Licht". Lichtvoll soll die Verbindung des grossen Himmelslichtes zum kleinen Seelenlicht des Menschen sein. Durch Jesus Christus wissen wir das. Im waagrechten Balken des Kreuzes kann die Verbindung von Mensch zu Mensch oder das Bestehen der Gemeinschaft erkannt werden. Da steht das Wort "Leben" drin. Auch unser ganz persönliches Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen, ja die Schöpfung als Ganzes sollen durchdrungen sein vom Licht Gottes und immer wieder zur Harmonie und zum Frieden in ihm finden. Das geht tief. "Alles Gute kommt von oben" will einem in den Sinn kommen. Und: Es will Fuss fassen auf Erden, möchte man dazu sagen. Licht und Leben bilden die beiden zentralen Begriffe des zehnten Verses vom Psalm 36. Dort lesen wir: "Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht." Mit diesen zwei Worten wird buchstäblich ein Kreuzwort gebildet, das aber kein Rätsel bleiben soll, sondern erhellend wirken möchte. Das Kreuz mit seiner klaren Mitte und zugleich mit seiner Offenheit auf alle Seiten wirft ein ganz besonderes Licht auf das Leben. Es kündet von dem, über welchen im Prolog des Johannes-Evangeliums 1,4 geschrieben steht: "In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen." Als Glaubende, Vertrauende dürfen wir sagen: Ja, wir glauben, in ihm ist das Leben, und es ist das Licht für uns Menschen! An jenem Tag, als die Elektriker die Adventsbeleuchtung in Sihlcity installierten, wünschte ich ihnen alles Gute zum Tag und zu ihrem Werk. Dabei erwähnte ich auch, dass sie bevorzugt von allen Berufsgruppen seien, denn sie wiederholten eigentlich immer die erste Schöpfungstat Gottes: "Es werde Licht!" (1. Mose 1,3) Ein Leuchten ging über das Gesicht der Arbeiter, und sie bestätigten: "Ja genau, das machen wir!" Das ist gar nicht immer so einfach im täglichen Leben. Bei den geflügelten Bibelworten gibt es den Ausdruck "Die Kinder des Lichts". Damit sind die guten Menschen gemeint, die oft verhöhnt und gedemütigt werden. Der Apostel Paulus hat sie in seinem Epheserbrief 5,8ff. ausdrücklich erwähnt: "Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn! Lebt als Kinder des Lichts – das Licht bringt nichts als Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor –, indem ihr prüft, was dem Herrn gefällt, und beteiligt euch nicht an den fruchtlosen Werken der Finsternis, sondern deckt sie auf!" Eindringlich veranschaulicht der Apostel den Zusammenhang von Licht und Leben, indem er ruft: "Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird Christus dein Licht sein." Das ist ein alter Weckruf, der dann einmündet in die Ermahnung: "Achtet nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Toren, sondern als Weise! Kauft die Zeit aus; denn die Tage sind böse." Das hallt im Herzen nach: "Kauft die Zeit aus." Das Opensource Bibel Experiment "Die Volxbibel" sagt: "Nutzt jede Minute eures Lebens voll aus, denn wir leben in einer üblen Zeit." Ein weiteres geflügeltes Bibelwort drängt sich auf: "Wirket solange es Tag!" nach dem Jesuswort im Johannes-Evangelium 9,4: "Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann." Wir sind also "Kinder des Lichts". Der Ausdruck findet sich häufig in den Schriftrollen der Höhlen von Qumran am Toten Meer. Die Anhänger jener Gemeinde bezeichneten sich gerne als "Söhne des Lichts" und hoben sich damit ab von den "Söhnen der Finsternis". Dahinter steckt die uralte Vorstellung, die Welt werde von zwei Mächten oder Engeln beherrscht, nämlich dem Fürsten des Lichts und dem Fürsten der Finsternis. Christus-Gläubige lieben das Prophetenwort, weil sie es immer wieder erfahren, jenes Wort aus Jesaja 60,1: "Mache dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn ist aufgestrahlt über dir." Christusgläubige wissen aus eigener Erfahrung: Das Licht hat über die Finsternis gesiegt. Es ist ein Sieg ein für alle Mal. Wir kennen auch die Odyssee von der das Lied "Ich will dich lieben, meine Stärke" in der vierten Strophe erzählt: "Ich lief verirrt und war
verblendet,
ich suchte dich und fand dich nicht; ich hatte mich von dir gewendet und liebte das geschaffne Licht. Nun aber ist's durch dich geschehn, dass ich dich hab ersehn." Licht und Leben, Phos und Zoe, und der gemeinsame Buchstabe in der Mitte des Licht-und-Leben-Kreuzes, das O – will er uns sagen, dass es dort, an jenem Kreuz, wo Licht und Leben sich treffen, letzten Endes "eine runde Sache" ist? Ist die Liebe Gottes damit gemeint, die aus dieser Zeit in die Ewigkeit hineinträgt? Das O ist ein Kreis ohne Anfang und Ende, hier in der Mitte des Kreuzes. Daran können wir uns immer wieder halten; daran können wir uns orientieren. Amen.
last update: 15.11.2015 |