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Predigt 5. Oktober 2008, gehalten in der St. Anna-Kapelle Zürich durch Pfarrer Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche Nachfolge und Lebensgewinn Predigttext (Matthäus 16,24-26): "Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wenn einer mir auf meinem Weg folgen will, verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich, und so folge er mir. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden. Denn was hilf es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seinem Leben? Was kann einer dann geben als Gegenwert für sein Leben?" Liebe Gemeinde! Letzthin hat ein betagter Mann im Gespräch erwähnt: "Im Alter werden die Schatten länger – ich kann über meinen nicht mehr springen!" Das kam bei mir als ein hartes und auch verfängliches Bild an. Auf der einen Seite mögen wir es vom Menschlichen her verstehen, auf der anderen Seite möchten wir gegen Resignation und Bequemlichkeit ankämpfen und diesem Mann – und damit auch seinen Nächsten – echte Lebensqualität gönnen, die immer mit Bewegung – und nicht mit Erstarren – verbunden ist. Wenn wir nämlich über seine Aussage, über seinen langen Schatten könne er nicht mehr springen, nachdenken und sie mit den Zeugnissen der Bibel vergleichen, entdecken wir ein anderes Menschenbild und ungeahnte Möglichkeiten! So hat sich etwa Abraham auf Gottes Geheiss auch in hohem Alter noch aufgemacht und neues Lebensland betreten: "Der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde." Verbunden damit ist ein wundervoller Zuspruch: "Ich will dich zu einem grossen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen gross machen, und du wirst ein Segen sein." (1. Mose 12,1-2) Einfach wunderbar! Nichts da von im Alter länger gewordenen Schatten, die man halt nicht mehr überspringen kann! Auch seine Frau Sara lachte, dass sie noch ein Kind bekommen sollte: "Nun, da ich verbraucht bin, soll ich noch Liebeslust empfinden, und auch mein Herr ist alt." Und sie hören das Wort: "Warum lacht Sara? Ist denn irgend etwas unmöglich für den Herrn?" Darauf nimmt Sara zurück: "Ich habe nicht gelacht." Und ihr wird widersprochen: "Doch, du hast gelacht." (1. Mose 18,9-15) Als eine richtige Neckerei liest sich das – mit doch so grossem Ernst, mit doch so grosser Tiefe und von so bedeutender Tragweite. Beides – was Gott zu Abraham und später zu Sara sagte – hat mit Zukunft und auch mit einschneidenden Lebensveränderungen zu tun. Da nimmt man – ungeachtet des Alters und der Situation – Abschied von eingefleischten Vorstellung, Abschied auch von Resignation. Weil Gott es so haben will; und weil die Gnade gegeben ist, darauf zu hören und danach zu tun. Wie ein Kommentar zu dem allem liest sich das Gespräch des Auferstandenen mit Simon Petrus: "Hast du mich lieb?" Nach der dritten Bejahung und der dritten Aufforderung durch den Herrn: "Weide meine Schafe!" lesen wir: "Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selber gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber älter wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst." Auch hier ist von der Nachfolge die Rede: "Folge mir!" (Johannes 21,15-19) Und auch das wird kurz nachher wiederholt und betont: "Folge du mir!" Wir haben einen gütigen und geduldigen Gott, und wir haben immer wieder die Chance, seiner Einladung nachzukommen – und er wird sich freuen, wenn wir ihr Folge leisten, immer wieder von Neuem. Ja: "Wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden." Der Satz Jesu wollte mir in dieser Woche nicht mehr aus dem Kopf gehen. Er ist im selben Matthäus-Evangelium (10,39) weiter vorne gleich nochmals anzutreffen: "Wer sein Leben findet, wird es verlieren; wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden." Auch da ist der Satz vorgelagert: "Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und hinter mir hergeht, ist meiner nicht wert." Es geht um die Nachfolge Jesu. Unser Predigtwort stellt eine Wiederholung in der gleichen Evangeliumsschrift des Neuen Testamentes dar. Wir hören eine Bekräftigung. Das zentrale Thema von Kreuzigung und Auferstehung ist angesprochen. Auf den Satz Jesu bin ich gestossen wegen einem Wort von Franz Werfel (1890-1945), dem österreichischen Schriftsteller mit deutschböhmisch-jüdischen Wurzeln. Diese seine Zeilen schätze ich, und ich bewege sie bereits seit Jahrzehnten in meinem Herzen: "So reich bist du, als du tränenreich bist. So frei bist du, als du dich selbst überspringst. So wahr bist du, als du dich kannst verwerfen. So gross bist du, als klein vor dir der Tod ist. So tief bist du Wunder, als du tiefe Wunder siehst." Vielleicht haben wir uns vorher gesagt, das tun wir ja alles bereits! Wir haben unser Leben schon lange Jesus übergeben. Wir folgen ihm treu nach. Wir werden das ewige Leben gewinnen. Wir überspringen unsere Schatten mit Leichtigkeit. – Sehen Sie: Immer wenn ich die Worte von Franz Werfel lese und sie mir redlich zu Gemüte führe, bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir das mit aller Konsequenz tun, oder ob wir es manchmal nur zu tun meinen. Jedenfalls werde ich mir dann immer ganz sicher, dass wir gut daran tun, die Worte Jesu stets wieder aufs Neue zu hören und offen zu sein für sie; offen zu sein dafür, uns neu rufen zu lassen. Wie schnell ergreifen Routine und Selbstgefälligkeit Besitz von uns. Wie schnell machen wir in Selbstgerechtigkeit und schielen auf den Gewinn oder liebäugeln damit, mehr als andere zu bekommen. Wie schnell verfallen wir – auch und gerade als Gläubige – der Rechthaberei. Und wie wenig fragen wir uns, was Gott wohl für einen Plan ganz persönlich mit uns im Schilde führen mag? Wie oft halten wir am Altbekannten und an unseren weltlichen Vorstellungen fest – und wollen Sicherheit dort, wo nur Gott sie uns geben kann. Dabei werden wir hier als "Du" angesprochen, auch im Sinne des "Gebt acht auf euch" (Apostelgeschichte 20,28a). Schau, wie es bei dir steht, welche Veränderungen will Gott in deinem Leben vornehmen? Im Sinne des alten Pilgergebetes: "Gott, schenke uns die Gelassenheit, das hinzunehmen, was wir nicht ändern können. Gott, schenke uns den Mut, das zu ändern, was wir ändern können. Und schenke uns die Weisheit, guter Gott, das eine vom andern zu unterscheiden." Ich schliesse die Predigt mit Gedanken von Alphons Maria di Liguori (1696-1787). Er war ein erfolgreicher Rechtsanwalt, bis er in einer Niederlage den Ruf vernahm: "Verlass die Welt, und schenk dich mir!" Er gab seinen Degen ab, entsagte den Rechten seiner Erstgeburt und zog das geistliche Gewand an. Nun seine Gedanken: "Wer weiss? Wenn Gott uns grösseres Talent, bessere Gesundheit und mehr persönliche Ausstrahlung gegeben hätte, dann hätten wir vielleicht unsere Seelen verloren! Grosses Talent und Wissen haben viele aufgeplustert mit der Überzeugung ihrer eigenen Wichtigkeit; und in ihrer Überheblichkeit haben sie andere verachtet. Wie leicht geraten Menschen mit solchen Begabungen in die ernsthafte Gefahr ihres Seelenheils! Wie viele Leute von leiblicher Schönheit und mit robuster Gesundheit haben sich kopfüber in ein ausschweifendes Leben gestürzt! Wie viele gibt es andrerseits, die durch ihre Armut, Gebrechlichkeit oder körperliche Missbildung ihre Seelen gerettet haben und die – wenn ihnen Gesundheit, Vermögen oder körperliche Attraktivität zu eigen gewesen wären – ihre Seelen verloren hätten. Lasst uns also zufrieden sein mit dem, was Gott uns gegeben hat. 'Nur eines ist nötig', und das ist nicht Schönheit, nicht Gesundheit, nicht Talent. Das ist die Rettung der Unsterblichkeit unserer Seelen." Amen. Gebet zur Sammlung: Du bist ein wunderbarer Gott (Martin Luther) Du bist ein wunderbarer, liebevoller Gott, du regierst uns wunderbar und freundlich. Du erhöhst uns, wenn du uns erniedrigst, du machst uns gerecht, wenn du uns zu Sündern machst. Du führst uns gen Himmel, wenn du uns in die Hölle stösst, du gibst uns Sieg, wenn du uns unterliegen lässt. Du tröstest uns, wenn du uns trauern lässt, du machst uns fröhlich, wenn du uns heulen lässt. Du machst uns singen, wenn du uns weinen lässt, du machst uns stark, wenn wir leiden. Du machst uns weise, wenn du uns zu Narren machst, du machst uns reich, wenn du uns Armut schickst. Du machst uns zu Herren, wenn du uns dienen lässt. Amen. Fürbitten: Mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens (Franziskus) Herr mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens Lass mich Liebe bringen in den Hass Verzeihung in die Schuld und Einheit in die Zwietracht Lass mich Wahrheit bringen in den Irrtum Glauben in den Zweifel und Hoffnung in die Verzweiflung Lass mich Licht bringen in das Dunkel und Freude in die Traurigkeit O Herr Lass mich mehr danach trachten zu trösten als Trost zu finden zu verstehen als Verständnis zu erfahren zu lieben als Liebe zu kosten Denn im Geben empfange ich und im Mich-Vergessen finde ich mich im Verzeihen erfahre ich Verzeihung und im Sterben stehe ich auf zum ewigen Leben Um all das bitten wir dich, der du bist "Unser Vater..." last update: 12.08.2015 |
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