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Predigt zum Gottesdienst
am Sonntag, den 3. Oktober 2010
um 18:00 Uhr, gehalten in der Wasserkirche, Zürich, durch Pfr. Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche Gebt acht auf euch Predigttext: "Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der heilige Geist als fürsorgliche Hirten eingesetzt hat, zu weiden die Kirche Gottes, die er sich erworben hat durch sein eigenes Blut." Apostelgeschichte 20,28 Blumen des Respekts:
Rosen (Red Paris und Cumbia)
Foto: Jakob Vetsch, 16. September 2010 Liebe Gemeinde! "Man müsste ihrem Herzen schenken." Diese Worte des Dichters Rainer Maria Rilke kamen mir spontan in den Sinn, als ich um eine Andacht für das Wellness-Weekend einer Firma in Sihlcity angefragt wurde. – "Man müsste ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." Ja, das hat Rilke gesagt. Als "Wellness für die Seele" war die Andacht denn auch ausgeschrieben und ins Programm "Relax & Enjoy" (Entspannung & Freude) aufgenommen. Eine halbe Stunde, eben, "Wellness für die Seele." Was ist das? So fragte ich mich. Was bringt der Seele Entspannung und Freude? Was ist Seelenpflege, und wie hat gesunde Seelennahrung auszusehen? Sehen Sie, das sind die Herausforderungen, wenn man sich dem Alltag stellt. Und das kann man im Einkaufs- und Erholungscenter Sihlcity gut. Wellness für die Seele, Seelenpflege, Seelennahrung, Seelsorge, ja, der Seele Sorge tragen, der Seele acht geben – wie geht das? Spontan kam mir in den Sinn, das ist dort der Fall, wo wir in allen Facetten des Lebens verstanden werden und verstehen können. Dort, wo wir uns zu Hause fühlen. Da, wo wir hingehören. Wellness für Körper, Geist und Seele ist eigentlich immer Heimpflege, Hausarbeit gewissermassen. Da geht es um uns und unsere Authentizität, unsere Harmonie und auch um unsere Ausstrahlung. Da geht es um uns und alle Lebewesen mit denen wir verbunden sind, um die ganze Schöpfung die uns umgibt. Da geht es um uns als Individuum und als Gemeinschaft, um unsere Herkunft, unser Dasein und Ziel. Das Rilke-Wort ist eingebettet in eine wunderbare Erzählung, die wir dem Lehrer Josef Bill verdanken und die so geht: Während seines Pariser Aufenthaltes ging Rilke täglich um die Mittagszeit in Begleitung einer jungen Französin an einer alten Bettlerin vorbei. Stumm und unbeweglich sass die Frau da und nahm die Gaben der Vorübergehenden ohne jedes Zeichen von Dankbarkeit entgegen. Der Dichter gab ihr zur Verwunderung seiner Begleiterin, die selbst immer eine Münze bereit hatte, nichts. Vorsichtig darüber befragt, sagte er: "Man müsste ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." An einem der nächsten Tage erschien Rilke mit einer wundervollen, halberblühten Rose. Ah, dachte das Mädchen, eine Blume für mich, wie schön! - Aber er legte die Rose in die Hand der Bettlerin... Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Frau stand auf, griff nach seiner Hand, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang blieb sie verschwunden. - Dann sass sie wieder auf ihrem Platz, stumm, starr wie zuvor. "Wovon mag sie die ganzen Tage gelebt haben?" fragte das Mädchen. Rilke antwortete: "Von der Rose!" Seelen-Wellness geschieht dort, wo Respekt und Achtung geübt werden. Wo man sich kennt und schätzt. "Achten die Menschen sich selbst, so achten sie gewöhnlich auch die fremde Persönlichkeit." So sagte es der englische Moralschriftsteller Samuel Smiles. Er wusste wohl um diesen Zusammenhang. Fremdverachtung ist meistens auch Eigenverachtung. – Einen anderen Menschen wirklich achten strahlt auf uns selbst zurück. Ein geflügeltes Wort sagt: "An der Hand dessen, der Rosen verschenkt, bleibt immer deren Duft haften." "Gebt acht auf euch." Das lässt der Evangelist Lukas den Paulus zum Abschied von Milet in seiner Apostelgeschichte sagen. "Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde." Tragt Sorge! Und er nennt auch die Antriebskraft, den Motor, der uns eingesetzt für unsere Aufgaben in der Gemeinde des Herrn, nämlich den Heiligen Geist. Und er sagt auch, was zu tun ist, nämlich die Kirche Gottes zu weiden (ihr also gute Nahrung zu geben!). Und er nennt den Preis, der dafür bezahlt wurde, das Blut Christi, das Leben des Herrn. Das verbindet uns, Christus, der Gekreuzigt-Auferstandene. Das ist weit und das ist gross. Und wir haben Anteil daran, wir sind ein Teil davon, wir sind da dabei, wir machen mit! – Die Mitte unseres Glaubens. "Gebt acht." Dem deutschsprachigen Wort Achtung kommt eine Doppelbedeutung zu, im Sinne von: "Pass auf! Gefahr droht!" – Aber auch im Sinne von respektieren und Sorge tragen. "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" sagt unser Herr. Wie du dich achten und respektieren wirst, so wirst du auch die Persönlichkeit des andern zu ehren wissen. Wir haben einen dynamischen Gott. Er tut immer etwas, ausser am Ruhetag. Er macht seine Schöpfung jeden Tag neu. Er erhöht Niedrige und er stürzt Hohe vom Sockel. Da geht es authentisch zu und her. Und da sind wir als seine Nachfolgerinnen und Nachfolger, als Jesus-Freaks, mit dabei. Da lebt es. "Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist." Es ist eben nicht einfältig, es ist dynamisch, reich. Lasst uns das annehmen. Lasst uns den Herbst, die Erntezeit, mit seiner Vielfalt, seinen Blumen und Bäumen, seinen Farben und Düften, seiner Fülle geniessen. Er erinnert an die Ewigkeit. An das, was bleibt. Er ist eine Frucht der Sommerarbeit und der Sonnenstrahlen. Er gibt uns gute Nahrung und Kraft. Er ist ein Vorbote des Winters; er erinnert aber auch an das, was bleibt. Amen. last update: 14.02.2016 |