WER MIT
DEM HERZEN
SIEHT - Ratgeber für das Leben zu zweit
Wilde Ehe oder
Trauschein?
Ernst, 33 Jahre alt, und Lisbeth, 40 Jahre alt, leben
seit zwölf
Jahren zusammen. Jetzt wollen sie heiraten. Man sieht es ihnen an: Sie
freuen sich auf so ein richtiges Fest, das sie mit ihrer ganzen
Erfahrung
organisieren. Ein guter Freundeskreis ist dabei. Warum sie so lange
gewartet
haben? Ernst absolvierte noch eine Zusatzausbildung, die er vor der
Hochzeit
abschließen wollte. Jetzt aber fanden sie es an der Zeit,
meint das
Paar.
Walter, 32 Jahre alt, und Esther, 26 Jahre alt, leben seit sieben
Jahren
zusammen. Nun wagen sie den Schritt ins Eheleben. Ob es etwas ausmache,
daß sie bereits seit so vielen Jahren zusammenlebten, fragt
der Bräutigam
im Traugespräch. "Nein", gebe ich zur Antwort, "wenn ihr euch
etwas
dabei gedacht habt und um so entschlossener zur Ehe seid, dann kann es
eine gute Übung gewesen sein." Die beiden sind froh,
daß ich
das so sehe und ihnen nicht noch Vorwürfe mache.
Peter, 28 Jahre alt, und Lilo, 26 Jahre alt, haben vor zwei Jahren
bereits das Kind zur Taufe gebracht. Jetzt heiraten sie, und
während
der Traurede wackelt das kleine Mädchen, das mich kennt und
auch dabeisein
darf, auf mich zu. Ich nehme es auf den Arm und lasse es nach einiger
Zeit
wieder laufen. Am nächsten Tag meint eine Frau, welche den
Traugottesdienst
miterlebt hat: "Das gestern war auch stark!" "Was war stark?", frage
ich
zurück. "Ja, in der einen Hand die Traurede und in der anderen
Hand
gerade schon das Kind!" Einverstanden, das war nicht der Normalfall.
Aber
hätten wir das Kind verstecken sollen, und war es nicht
wichtig, daß
beide Eltern bei der Taufe das Versprechen gaben, für das Kind
zu
sorgen? Hatte da die Hochzeit nicht noch etwas Zeit, bis sie in Ruhe
gefeiert
werden konnte? War sie für Peter und Lilo nicht auch eine
Konsequenz
der Taufe?
Zugegeben, bei diesen drei beschriebenen Fällen
handelt es sich
um Extrembeispiele. Sie sind aber gewissermaßen nur die
Spitze eines
Eisberges, denn die meisten Traupaare leben heute schon vor der Ehe
zusammen,
von ein paar Wochen bis zu einem Dutzend von Jahren. Die Paare, die
erst
bei der Heirat zusammenziehen, bilden mittlerweile die Ausnahme. Ich
sage
dies deshalb so deutlich, weil es eine Realität ist, von der
ausgegangen
werden muß und aus der wir das Beste zu holen haben.
zumindest für
mich als Pfarrer bleibt da gar nichts anderes übrig, denn die
Leute
kommen ja erst zu mir, wenn sie heiraten wollen, und nicht schon dann,
wenn sie eine gemeinsame Wohnung einrichten. Natürlich
könnte
ich jetzt ein herzhaftes Plädoyer für die Ehe und
gegen das Zusammenleben
halten, aber was nützt das, solange der Staat die Ehepaare
steuerlich
benachteiligt und die in wilder Ehe Lebenden begünstigt? Man
hat nur
die Konkubinatsverbote aufgehoben, aber die Folgen nicht bedacht, denn
wer heiratet, der wird im Portemonnaie dafür regelrecht
bestraft!
Ich bin nicht der erste, der das gemerkt hat - viele junge Liebespaare,
die schließlich auch bezüglich der Finanzen ihr
Leben planen
müssen, zögern aus diesem Grunde die Heirat
hinaus.
Vielleicht aber nicht nur deshalb. Man könnte ja auch sagen,
die
Ehe sei das Geld wert. Meistens haben die Partner zudem das berechtigte
Bedürfnis, einander näher kennenzulernen, die Liebe
im alltäglichen
Leben zu erproben und nicht gerade aus einer Wochenendbekanntschaft in
den Hafen der Ehe zu segeln.
Letzteres war früher allzuoft der Fall und hat zu bitteren
Enttäuschungen
geführt, die ein ganzes Leben nicht mehr vernarbten. Heute ist
das
anders. Die Paare, die heute den Ehebund schließen, kennen
sich in
einem Maße, wie es in der Geschichte der Liebe zwischen den
Geschlechtern
noch nie vorgekommen ist. Die moderne
Empfängnisverhütung hat
ihren Teil dazu beigetragen. Das gegenseitige Vertrautsein
beschränkt
sich jedoch nicht auf die Sexualität, es bezieht sich auch auf
den
Charakter, die Gewohnheiten und das Empfinden.
Dennoch hat es in der Geschichte der Liebe zwischen den
Geschlechtern
auch noch nie so viele Scheidungen gegeben. Woran liegt das? Handelt es
sich um eine Modeströmung, um eine Befreiung, oder hat die
Beziehungsfähigkeit
und die Beziehungsbereitschaft in der Konsumgesellschaft abgenommen?
Sind
mittlerweile auch wir Menschen zu Wegwerfartikeln geworden, die nach
Gebrauch
oder wenn sie nicht mehr passen, abgestoßen und ausgewechselt
werden?
Sind wir zu Einwegpartnern und Wegwerfmenschen geworden? Kennen wir
noch
das Opfer, aus dem Gutes erwächst? Die Ehe erfordert eine
gewisse
Opferbereitschaft, eine Eigenständigkeit und
Beziehungsfähigkeit
der Partner.
Das Zusammenleben vor der Ehe hat nicht nur Vorteile, sondern auch
neue Probleme gebracht. Ein Versicherungsfachmann hat mir von den
unermeßlichen
Tragödien erzählt, die beim Auseinandergehen
Unverheirateter
entstehen. Ein Arzt berichtete mir von den Spitaleinweisungen junger
Mädchen,
die sich das Leben nehmen wollten, weil sie vom Freund verlassen
wurden.
Beide - der Versicherungsfachmann und der Arzt haben nun
verständlicherweise
die Nase von der wilden Ehe voll. Sie sind entschieden gegen das
voreheliche
Zusammenleben eingestellt.
Das gibt natürlich zu denken. Wenn zwei zusammenziehen, dann
hoffen
sie, daß es gut geht. Sie sind verliebt, und Liebe macht
zuweilen
blind. Sie rechnen nicht mit Schwierigkeiten und schon gar nicht mit
den
Folgen, die entstehen, wenn es schief geht. Gerade wenn man es
schön
miteinander haben will und gerade weil man Sorge füreinander
tragen
möchte, ist es wichtig, klare Verhältnisse zu
schaffen - von
Anfang an! Man sollte sich nicht genieren, gründlich
über die
Vorstellungen und Wünsche zu sprechen und einen
Konkubinatsvertrag
abzuschließen, der die materielle Seite regelt. Nicht nur
für
den Fall, daß es auseinandergeht, sondern auch, um
glücklich
beieinander bleiben zu können.
Falls jedoch zwei Unverheiratete auseinandergehen, dann machen sie
eine regelrechte seelische Scheidung durch. Diese psychische Belastung
wird meistens unterschätzt. Wochenlang schlaflose
Nächte, unendliche
Diskussionen, etliche neue Anläufe mit viel gutem Willen
bereiten
oft eine Qual. Es handelt sich ja dann nicht um eine wirkliche
Scheidung
im rechtlichen Sinn, aber vom seelischen Standpunkt aus betrachtet eben
schon. Dies sollte man im voraus bedenken und solchen schmerzlichen
Erfahrungen
die nötige Beachtung schenken. Das kann heißen,
daß man
sich helfen läßt in Gesprächen mit
Menschen, denen man
Vertrauen entgegenbringen darf: Freunde, ein guter Arzt oder Pfarrer.
Gerade
in heiklen Beziehungsfragen soll man sich nie schämen, zum
richtigen
Zeitpunkt Rat einzuholen, weil jede Verdrängung sich
später wieder
zur Hintertür einschleicht und dann weit mühsamer zu
bewältigen
ist.
Beim Traugespräch fragte ich einmal ein Paar,
warum sie eigentlich
heiraten wollten und was sie von der bevorstehenden Hochzeit
erwarteten.
Da meinte der Bräutigam ganz spontan: "Es ändert sich
nichts!"
Wir können uns vorstellen, daß die Braut recht
verwirrt reagierte
und sofort erwiderte: "Dann müßten wir ja gar nicht
heiraten!"
Wie seltsam es auch anmutet: Beide haben auf ihre Weise recht gehabt!
Ich
möchte das mit einem Garten vergleichen: Wenn er
schön sein soll,
dann braucht er einen Hag, einen Schutz also, und er braucht eine gute
Pflege. Sonst verwildert er, und man wird die Freude an ihm bald
verlieren.
Mit der Liebe steht es nun ganz ähnlich: Wo sie bleiben soll,
da ist
sie auf einen Schutz angewiesen, den die Ehe bieten kann, und sie
benötigt
die erforderliche Hinwendung, weil Liebe nicht von der Laune
abhängen
darf. In diesem Sinne haben beide recht gehabt: Gerade damit sich
nichts
änderte, wollten sie heiraten! Sie wollten ihrer Liebe einen
Rahmen
und ein Bekenntnis verleihen, auf daß sie bleibe.
Wilde Ehe oder Trauschein? Wo die Liebe stark genug ist, die
gegenseitige
Bestimmung deutlich gespürt wird, dort wird man sich
früher oder
später zur Trauung entschließen, damit wilde Ehe
nicht verwildert!
Abgesehen davon entscheiden sich viele Paare zur Heirat, wenn sie eine
Familie gründen wollen, weil auch die Kinder sich wohl und
sicher
fühlen sollen.
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