WER MIT
DEM HERZEN
SIEHT - Ratgeber für das Leben zu zweit
Kinder
Die Frage, ob ein Paar überhaupt Kinder haben
möchte, ist
wohl ein zentraler Punkt, über den es sich vor der Heirat
einigt.
Denn Kinder verändern eine Beziehung ganz entscheidend. Es ist
wichtig,
daß beide Partner sich wünschen, Kinder zu bekommen,
damit diese
willkommen sind und in der Ehe keine Risse entstehen.
Der katholische Priester braucht vor der Einsegnung einer Ehe das
grundsätzliche
Einverständnis der Trauleute zur Zeugung von Kindern, weil
seine Kirche
darin einen Hauptzweck ehelicher Lebensgemeinschaft erkennt. Die Bibel
sieht in 1. Mose 1,26-28 die Schöpfung des Menschen, seine
Segnung,
Vermehrung und den Herrschaftsauftrag an ihn tatsächlich eng
beieinander:
"Dann sagte Gott: Nun wollen wir den Menschen machen, ein Wesen, das
uns
ähnlich ist! Er soll Macht haben über die Fische im
Meer, über
die Vögel in der Luft und über alle Tiere auf der
Erde. Gott
schuf den Menschen nach seinem Bild, er schuf Mann und Frau. Er segnete
die Menschen und sagte zu ihnen: Vermehrt euch! Breitet euch
über
die Erde aus, und nehmt sie in Besitz! Ich setze euch über die
Fische,
die Vögel und alle anderen Tiere und vertraue sie eurer
Fürsorge
an." Es entspricht also dem Sinn der Erschaffung von Mann und Frau,
daß
sie hingehen und Kinder haben. Das ist durchaus auch nach
evangelisch-reformiertem
Eheverständnis so, doch verlangt diese Kirche keine
Bereitschaftserklärung.
Dominique (21) wünscht sich sehnlichst Kinder.
Guido (24), ihr
Verlobter, ist sich in diesem Punkt noch nicht so sicher. Ich rate dem
Paar, sich sorgfältig auszusprechen, und schließlich
zeigt es
sich, daß Guido nicht grundsätzlich gegen eigene
Kinder eingestellt
ist, nur im Moment wäre er noch nicht so ohne weiteres bereit
dazu.
Die beiden heiraten. Es geht kein volles Jahr ins Land, da werde ich
abermals
gebraucht, diesmal für die Taufe der kleinen Cornelia! Guido
meint,
er finde es wunderbar, Vater zu sein. Es sei viel schöner, als
er
gedacht habe.
Anders entwickelte sich die Sache bei Erika (23) und Heinz (25).
Während
Heinz stets zögerte, setzte sich Erika mit ihrem Wunsch nach
einem
Kind endlich durch. Zur Überraschung der jungen Frau bereitete
die
Existenz des Neuankömmlings dem Mann derartige
Schwierigkeiten, daß
er sich in ärztliche Pflege begeben mußte! Die
beiden haben
sich nie offen und ehrlich miteinander ausgesprochen, sie
ließen
sich nicht beraten, und sie handelten offensichtlich nicht in
gegenseitigem
Einverständnis. Dies hat sich bitter
gerächt.
Gut Ding will Weile haben. Besonders, wenn es um Kinder geht. Da ist
jedes Drängen fehl am Platz, ob es nun von einem der Partner
ausgeht
oder von außen an das Paar herangetragen wird. Junge Eheleute
berichten
von einem regelrechten Druck durch Nachbarn und Freunde, die immer
wieder
fragen, wann wohl ein Kind komme. Und wenn es da ist, geht es gerade
weiter
im Text mit der Frage, wann das erste ein Geschwisterchen erhalte. Von
solcher Fragerei soll man sich nicht beirren lassen und genau das tun,
was man selber für richtig hält. Denn, wie gesagt,
ein Kind hat
ein Anrecht darauf, willkommen zu sein, und zwar bei beiden
Elternteilen
gleichermaßen.
Nicht weniger wichtig ist es, auf Drängerei zu verzichten,
wenn
man sich einmal für ein Kind entschlossen hat. Christine (30)
und
Alex (32) haben bis vor kurzem beide gearbeitet und finden es nun
höchste
Zeit für ein Kind. Mit ihren dreißig Jahren gilt die
Frau schon
als Spätgebärende mit erhöhtem Risiko. Die
beiden geraten
in Panik: Es will einfach nicht klappen! Sie haben sich bereits beim
Arzt
untersuchen lassen, ob sie überhaupt fruchtbar seien. Sie sind
es,
aber ein Kind ist trotz verzweifelter Bemühungen nicht in
Sicht. Alle
Freunde der zwei Eheleute sind informiert, weil sie sich fast nicht
mehr
zu helfen wissen. Aber man vernimmt immer wieder dasselbe: nichts!
Christine
und Alex haben ihre Hoffnungen auf ein eigenes Kind mittlerweile
aufgegeben
und befassen sich mit der Adoption eines Kindes - da plötzlich
ist
Christine guter Hoffnung!
Hier handelt es sich nicht etwa um einen Ausnahmefall, sondern es
steckt
ein unbewältigtes Folgeproblem der modernen Geburtenregelung
dahinter.
Viele Paare planen ihr Leben genau: Bis dahin wird gemeinsam gearbeitet
und Geld verdient, dann hört die Frau mit der Arbeit auf und
bekommt
ein Kind. Wenn es nicht wie geplant klappt, schleicht sich Aufregung
ein,
und die beiden versteifen sich völlig, so daß sie
schon aufgrund
seelischer Verkrampfung kein Kind bekommen können!
Es tut gut, den lieben Gott auch noch ein wenig
mitbestimmen zu lassen,
auf das Gefühl in sich selbst zu hören und den
richtigen Zeitpunkt
für ein Kind herauszuspüren. Dieser
läßt sich eben
nicht nach äußeren, praktischen Kriterien berechnen,
er erliegt
eigenen, seelischen Gesetzmäßigkeiten. Ein
Liebespaar kann das
ohne weiteres herausfinden und sich danach verhalten, dann bekommt es
die
Kinder in einer Zeit der inneren Bereitschaft.
Das gilt auch für die Zahl der Kinder. Eine allgemeine Regel
aufstellen
zu wollen wäre verfehlt. Ob es nun - oft aus medizinischen
Gründen
- nur ein Kind ist oder eine ganze Schar von Kindern, das
hängt vom
betreffenden
Paar ab, von der Einstellung, den Verhältnissen, Erfahrungen,
der
Gesundheit. Wichtig ist, daß Eltern wie Kinder sich wohl
fühlen.
Und eines steht fest: Bei der Geburt des ersten Kindes erfolgt die
größte
Veränderung im Leben eines Paares. Wie eine "Lawine" bricht
das Kleine
ein, und sofort ist es nicht mehr wegzudenken!
Aus dem Mund eines Indianers stammen die Sätze: "Wenn ein Kind
geboren wird, bedeutet das eine Neuorientierung der gesamten Familie.
Das
Kind ist nun ihr Mittelpunkt. Wir sagen: Hier ist ein Neugeborenes, das
unsere ganze Aufmerksamkeit braucht." Das ist tatsächlich so,
und
nicht selten empfindet es ein älteres Geschwisterchen
besonders. Es
schlägt dann Purzelbäume oder setzt andere Dinge in
Szene, um
auf sich aufmerksam zu machen und seinen bisherigen Status zu
verteidigen.
Dies erfordert verständnisvolle Zuwendung.
"Kinder sind eine Gabe des Herrn", sagt Psalm 127,3. Sie bedeuten
Zukunft,
bergen Hoffnungen in sich und zeigen uns Erwachsenen ein Land, das wir
schon nicht mehr betreten können. Sie wecken in uns
Hilfsbereitschaft
und stellen eine Herausforderung an uns dar. Ja, Kinder sind eine
"Gabe"
des Herrn, und ich würde noch hinzufügen: Sie sind
auch eine
"Auf-gabe" des Herrn, und vor allem eine "Leih-gabe" des Herrn. Denn
Besitz
sind sie nie. Wir haben sie zur Obhut erhalten, und wir werden sie
einst
auch wieder aus ihr entlassen müssen.
Wenn wir ihnen zwischendrin echte Begleiter mit allen Stärken
und Schwächen, mit allen Erfolgen und Niederlagen sein
durften, dann
haben wir vieles erreicht. Auf diesem Weg braucht das Kind beide: Vater
und Mutter. Es will in allen seinen Lebensbereichen behutsam begleitet
und unterstützt werden. Besonders auch in religiösen
Fragen will
es nicht im Stich gelassen werden, sonst hat es das Gefühl,
die Eltern
verlangten von ihm den Besuch des Religionsunterrichtes und des
Gottesdienstes,
kümmerten sich aber selbst nicht im geringsten darum. Die
Eltern sind
für das Kind die Brücke zur Umwelt, und darum haben
sie Brücken
zu schlagen: in die Schule, in die Kirche, zu den Freunden. Wie zu
Hause
gedacht und was dort gesprochen wird, ist für das Kind von
ausschlaggebender
Bedeutung. Es nimmt dies zur Maxime, zum Ausgangspunkt eigener
späterer
Beurteilung. Kinder erkennen mit einem Schlag, wo die Eltern ihre Werte
setzen, was ihnen wichtig ist und was sie nicht kümmert. Sie
lassen
sich dadurch beeinflussen, bis sie eigene, tiefgreifende Erfahrungen
machen
können. Die Verantwortung, die Erwachsenen zukommt, ist nicht
zu unterschätzen.
Deshalb ist jede Frage, die ein Kind stellt, auch zugleich eine Anfrage
an uns und unsere Glaubwürdigkeit. Das Kind wird es uns nicht
übelnehmen,
wenn auch wir einmal etwas nicht wissen, aber es wird darunter leiden,
wenn wir versuchen, ihm etwas vorzumachen.
Urs (41) hat eine dreizehnjährige Tochter,
Evelin. Während
all der Kindergarten- und Primarschuljahre hat er sich nie an einem
Elternabend
oder einem Besuchstag blicken lassen. Jetzt aber steht seine Tochter
vor
der Aufnahmeprüfung in die Sekundarschule, und es ist nicht
sicher,
ob sie jene besteht. Nun schaltet sich Urs ein. Wenn Evelin
durchfällt,
wird er es dem Lehrer aber zeigen! Dieser Vater hat seiner Tochter
einen
schlechten Dienst erwiesen. Leider kommt das sehr häufig vor:
Solange
es nicht so darauf ankommt, geht die Mutter hin, und wenn es etwas mehr
Kraft braucht, dann schaut der Vater nach dem Rechten! Das ist falsch.
Evelin hätte die Anteilnahme und die Begleitung auch durch den
Vater
während all der Jahre vorher gebraucht. Dann wäre sie
nun ein
glücklicheres Kind.
Anders stünde es, wenn Evelin gar keinen Vater hätte.
Dann
läge es sogar noch drin, daß die Mutter arbeiten
ginge. Das
Kind würde daran vermutlich keinen Schaden nehmen. Denn es
wäre
ihm klar, daß es so sein muß. Zwei Kinder
können also
ein und dasselbe erleben; wenn die Motive verschieden sind, wird auch
die
Wirkung anders sein. Ich nenne das den "Noteffekt". Das Kind einer
Mutter,
die aus reinem Luxus und Übermut voll arbeiten geht, leidet
sehr darunter,
wenn es zu kurz kommt. Im Unterschied dazu begreift es ein Kind, wenn
seine
Mutter keine andere Möglichkeit hat, als Geld zu verdienen,
und es
fehlt ihm nichts deswegen. Beim Empfinden der Kinder hängt
also alles
stark von den Beweggründen ab, welche Erwachsene haben. Mit
eingebauten,
feinsten Antennen spüren sie die Situation blitzartig und
urteilen
danach.
Heute ist viel davon die Rede, die Kleinfamilie sei
überfordert.
Sie ist es auch. Überall, wo Probleme erörtert
werden, kommt
man früher oder später zum Schluß, man
müsse bei der
Erziehung beginnen. Das ist auch so. Aber viele Eltern fühlen
sich
allein. "Zu Hause muß beginnen, was leuchten soll im
Vaterland!"
- läßt sich diese Forderung noch erfüllen?
In viel zu engen
Wohnungen, ohne Tiere und ohne genügend Auslauf, die
übrigen
Familienmitglieder und die Verwandten vielleicht weit weg, unter dem
Einfluß
der neuen Medien!?
Gerade wenn die Kleinfamilie überfordert ist, möchte
ich
ihr ein anderes Modell als Ergänzung
gegenüberstellen: die Großfamilie
Gottes, die Gemeinde Jesu Christi. Sie wird nämlich viel zu
wenig
hervorgehoben und birgt ein unendliches Maß an
unausgeschöpften
Möglichkeiten in sich. Jesus selber hatte ja zu seiner eigenen
Familie
ein recht merkwürdiges Verhältnis. Als Mutter und
Brüder
ihn einst aufsuchten, fragte Jesus diejenigen, die um ihn waren: "Wer
ist
meine Mutter? Wer sind meine Brüder?" Er verwies auf die
Jünger
und gab die Antwort selber: "Hier sind meine Mutter und meine
Brüder!
Denn wer tut, was mein Vater im Himmel will, der ist mein Bruder, meine
Schwester und meine Mutter." (Matthäus 12,46-50)
Familienzugehörigkeit
wird also ausdrücklich auf die Glaubensfamilie
übertragen. Sie
beschränkt sich nicht auf die Blutsverwandtschaft, sondern
wird auf
die Geistesverwandtschaft ausgedehnt. Bei seinem Tode vertraute Jesus
in
ähnlicher Weise den Lieblingsjünger seiner Mutter an
und umgekehrt.
Er sah seine Mutter und daneben den Jünger. Da sagte er zu
seiner
Mutter: "Er ist jetzt dein Sohn!" Und zum Jünger meinte er:
"Sie ist
jetzt deine Mutter!" Von da an nahm der Jünger die Mutter von
Jesus
bei sich auf, wie wir in Johannes 19,25-27 lesen. Jesus stiftet also
Familie,
indem er die alten Familienvorstellungen sprengt, obwohl er an ihr Bild
anknüpft. Eigenartig, wie wenig dieser Gedanke in all den
Jahrhunderten
Fuß gefaßt hat!
Wenn wir ihn ernst nehmen, dürfen wir einander Vater und
Mutter,
Bruder und Schwester, Kinder sein! So wird der Begriff der Familie
offener,
die Möglichkeiten werden größer, und
manches Bedürfnis,
das sonst ungehört bliebe, findet seine Erfüllung.
Eine - wie
mir scheint - verheißungsvolle Zukunftsvision: die
christliche Gemeinde
als Großfamilie, in welcher alle kleinen und großen
Kinder
gut aufgehoben sind. Bei der heutigen Überbetonung und
Überforderung
der Kleinfamilie ist dies gewiß ein lohnender Gedanke, eine
Ergänzung:
die Förderung eines lebendigen Gemeindelebens! Die Kinder
können
es uns lehren, denn sie suchen sich ihre Freunde durchaus dort, wo sie
sie finden.
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