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WER MIT DEM HERZEN SIEHT - Ratgeber für das Leben zu zweit


Scheidung?

Jede Ehe wird geschieden. Ja, Sie haben recht gelesen: Jede Ehe wird geschieden durch den Tod. Darum steht es in den herkömmlichen Trauformularen so geschrieben: "... bis daß der Tod Euch scheidet." Wenn dies eintrifft, ist der überlebende Partner frei. In seinem ersten Brief an die Korinther (7,39-40) sagt Paulus dies ausdrücklich, weil diese Frage die junge Gemeinde offensichtlich bewegte: "Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt. Wenn er stirbt, ist sie frei, und sie kann heiraten, wen sie will. Nur soll sie einen christlichen Mann wählen. Sie wird jedoch glücklicher sein, wenn sie unverheiratet bleibt. Das ist kein Befehl, sondern nur ein Rat." 
Was hier für die Frau gesagt ist, gilt umgekehrt natürlich auch für den Mann. Nach dem Tod des einen Partners ist der andere also frei. Nach seinem Gutdünken kann er sich dazu entscheiden, wieder zu heiraten oder unverheiratet zu bleiben. Hie und da frage ich mich, ob wir diese Freiheit leichtfertig preisgegeben haben, wenn über eine Frau oder einen Mann, die oder der wieder heiratet, hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Das sollen und dürfen wir nun wirklich den Betreffenden selbst überlassen. Denn sie sind es ja auch, die mit dem Schmerz des Verlustes des Ehepartners fertig werden und ihr Leben wieder neu gestalten und aufbauen müssen. Für Außenstehende ist die Beurteilung, was richtig ist, sehr schwierig. 
Der Tod also scheidet die Ehe. Das bedeutet, daß sie auf Lebenszeit geschlossen wurde. Bei der Ehe handelt es sich um keinen Fünf- oder Zehnjahresvertrag, sondern um einen Bund für das Leben. 

Wie aber steht es nun, wenn nicht der Tod, sondern Menschen die Ehe scheiden? Ist das innerlich überhaupt möglich? Kann man das verkraften, ohne Schaden an der Seele zu nehmen? Dies gilt es zu bedenken, auch wenn - und gerade weil heute ungefahr jede dritte Ehe früher oder später geschieden wird. 
Paulus sagt in seinem ersten Korintherbrief (7,10-11) wiederum etwas Grundsätzliches: "Für die Verheirateten aber habe ich eine verbindliche Vorschrift. Sie stammt nicht von mir, sondern von Christus, dem Herrn: Eine Frau darf sich nicht von ihrem Mann trennen. Hat sie sich von ihm getrennt, so muß sie unverheiratet bleiben oder sich wieder mit ihrem Mann aussöhnen. Ebensowenig darf ein Mann seine Frau fortschicken." Das ist ein Schutz, den die Ehe prinzipiell genießt. Er führt für viele Eheleute dazu, daß sie in einer Krise besser überlegen, ob sie sich trennen oder beieinander bleiben sollten. (Und welcher Ehepartner hat in einer schwierigen Zeit - offen gesagt - nicht schon mit diesem Gedanken gespielt?) Dafür ist die Ehe ja gerade da, daß man nicht bei den ersten Schwierigkeiten alles hinwirft, sondern mit viel gutem Willen gemeinsam einen Weg sucht, das Leben zu meistern. 
Viele denken, mit der Heirat seien alle Probleme aus der Welt geschafft. Es ist aber umgekehrt: Mit der Heirat und in der Ehe können die Probleme erst so richtig in Angriff genommen werden, weil die Beziehung an Verbindlichkeit gewonnen hat. Von einem ausgesprochenen Optimisten soll das Wort stammen: "Es gibt keine Eheprobleme, es gibt nur Wachstumschancen!" Dahinter steckt der gute Gedanke, daß Probleme nicht einfach etwas Lästiges sind, etwas, das nicht sein sollte, sondern die Möglichkeit in sich bergen, zu wachsen und zu reifen. Jedes Lebewesen entfaltet sich nur unter Schmerzen. Es liegt mir fern, Probleme zu glorifizieren, aber das Auftauchen von Schwierigkeiten kann die Aufforderung an uns bedeuten: Du sollst nun reifen, wachsen, dich in neuen Sphären entfalten! Wenn in einer Beziehung zwei sich dieser Herausforderung gemeinsam stellen, dann kann tatsächlich Großes entstehen. 
Eine Schülerin hat mir im Unterricht einmal ganz treuherzig gesagt: "Wenn zwei verheiratet sind, dann können sie ihre Probleme zusammen besprechen und miteinander lösen. Dazu brauchen sie doch keinen Pfarrer!" Dieses Mädchen stammte natürlich aus einer glücklichen Ehe, in der die Probleme auf diese Weise angegangen werden und die ganze Familie in das Gespräch einbezogen wird. Ich habe der Schülerin dann geantwortet, es sei auch möglich, daß einer der Partner - zum Beispiel durch Krankheit - bereits sehr belastet sei und nicht noch mehr belastet werden dürfe oder die Probleme auch einmal zu groß werden können. 

Jesus wurde einmal mit der Frage der Ehescheidung konfrontiert: 
"Da kamen einige Pharisäer zu ihm und versuchten, ihm eine Falle zu stellen. Sie fragten ihn: Ist es erlaubt, daß ein Mann seine Frau aus jedem beliebigen Grund wegschickt? Jesus antwortete: Habt ihr nicht gelesen, was in der Heiligen Schrift steht? Dort heißt es, daß Gott am Anfang den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat. Und er hat gesagt: Deshalb verläßt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele. - Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Und was Gott zusammengefügt hat, sollen Menschen nicht scheiden. Die Pharisäer fragten: Wie kommt es dann, daß nach dem Gesetz Moses der Mann seine Frau mit einer Scheidungsurkunde wegschicken kann? Jesus antwortete: Mose hat euch die Ehescheidung nur zugestanden, weil ihr so hartherzig seid. Aber das war ursprünglich nicht so. Darum sage ich euch: Wer sich von seiner Frau trennt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch, es sei denn, er hat mit ihr in einer vom Gesetz verbotenen Verbindung gelebt. Da sagten seine Jünger zu ihm: Wenn es zwischen Mann und Frau so steht, sollte man lieber gar nicht heiraten. Aber Jesus antwortete: Was ich jetzt sage, kann nicht jeder verstehen, sondern nur die, denen Gott das Verständnis gegeben hat. Es gibt verschiedene Gründe, warum jemand nicht heiratet. Manche Menschen sind von Geburt an eheunfähig, manche wie die Eunuchen - sind es durch einen späteren Eingriff geworden. Noch andere verzichten von sich aus auf die Ehe, weil sie ganz davon in Anspruch genommen sind, daß Gott jetzt seine Herrschaft aufrichtet. Versteht es, wenn ihr könnt!" (Matthäus 19,3-12)
Mose hatte also die Möglichkeit zur Ehescheidung gegeben, weil er um die Härte des menschlichen Herzens wußte. Ursprünglich wäre sie - wie Jesus sagt - aber nicht vorgesehen gewesen, weil die Ehe - wo wirklich Ehe sich ereignet ein enges Band zwischen Mann und Frau darstellt, das gar nicht mehr gelöst werden kann. Die Ehe ist ja die engste Verbindung, die zwei Menschen überhaupt eingehen können. Sie kann nicht ohne weiteres gelöst und gelöscht werden; was sich in ihr abgespielt hat, kann nicht einfach weggewischt und vergessen werden. Das ist auch bei einer Ehescheidung zu berücksichtigen: Was da an Liebe war, das ist dann nicht einfach verschwunden. Es bleibt als ein gewesener Lebensabschnitt bestehen, was immer die Zukunft den ehemaligen Partnern bringen mag. 
Die Härte des menschlichen Herzens stellt auch heute noch ein Faktum dar, besonders in Sachen Liebe. So liebesfahig der Mensch auch ist, so sehr kann sein Herz sich verhärten. Liebe hält nicht alles aus. Liebe kann über Jahre hinweg immer wieder enttäuscht und schließlich getötet werden. Denn Ehe ist ein organisches Gebilde, das man nicht ein für alle Mal hat, sondern welches stets von neuem gepflegt und erlebt sein will. Liebe kann müde werden und braucht neue Anläufe, neue Entscheidungen. Wenn die Liebe zu einem ruhenden Zustand wird, ist sie gefährdet, denn der Mensch, der sie in sich trägt, verändert sich. Er lebt und wächst. Nur wo man sich auf die Liebe besinnt und ihr einen großen, weiten Platz einräumt, gibt man ihr auch die Chance, mitzuhalten und selber zur bestimmenden Kraft zu werden. 

Stillstand und Verhärtung des Herzens, Erstarrung, das sind tatsächlich die Feinde der Liebe, weil die Liebe eben gerade das Gegenteil bedeutet: Sie lebt, und alles Lebendige ist dem Wechsel unterworfen. Wo Liebe wohnen und bleiben will, da sind Anpassung und Auseinandersetzung vonnöten. Ängstliches Festklammern vertreibt sie. 
Alfred (67) und Ida (69) haben es in ihrem Leben und in der Ehe auch nicht immer leicht gehabt. Mehrere Male suchten sie einen Eheberater auf, besprachen gemeinsam die Probleme mit ihm, fanden immer wieder einen Weg und beschritten ihn dann miteinander. Nun stehen Tochter und Schwiegersohn in einer Ehekrise. Sie wünscht schon lange eine gute Eheberatung, er sträubt sich dagegen. Da erzählt ihm Alfred aus seinem Leben und davon, wie er mit seiner Frau Ida zum Eheberater ging. "Ja, und?" meint der Schwiegersohn, "was hat's genützt?" "Daß Ida und ich noch zusammen sind", erwidert Alfred. Der Schwiegersohn will aber noch immer nichts von Eheberatung wissen und wartet, bis seine Frau die Wohnung verläßt und die Scheidung einreicht. Nun will er zum Eheberater, aber vermutlich hat er zu lange gewartet! 
Dies kommt leider sehr häufig vor: Wenn sie zum Eheberater gehen möchte, dann will er nicht, und umgekehrt. Wenn die beiden dann schließlich vor dem Vermittlungsamt beim Friedensrichter stehen, ist in den meisten Fällen schon nichts mehr zu machen. Sobald einer der Ehepartner das Bedürfnis nach Beratung anmeldet, bedeutet dies das Aufleuchten eines Warnlämpchens. Wer es übersieht, wird es später bitter bereuen, weil die Probleme in der Regel nicht kleiner werden. Andererseits kann durch frühzeitige Beratung manche Scheidung vermieden werden. Ein beratendes Gespräch mit einem vertrauenswürdigen Menschen in Anspruch nehmen bedeutet Hellhörigkeit und Weitsicht! Denn nicht selten nimmt man bei einer Scheidung den eigentlichen Grund mit: sich selber.
Wir wollen aber nicht gesetzlicher als Mose sein: Er ließ die Möglichkeit zur Scheidung offen. Wo die Ehe zur Hölle und ihr gutgemeintes Haus zum Gefangnis wird, da muß sich keiner erdrücken lassen. Kein Grundsatz und kein Prinzip darf so streng angewendet werden, daß Menschen daran zugrunde gehen. Scheidung in jedem Fall auszuschließen widerspräche letztlich dem Gebot von Liebe und Barmherzigkeit! 
Die Sekretärin eines Scheidungsanwaltes bekannte mir gegenüber einmal, daß sie in ihren täglichen Scheidungsprotokollen immer wieder den Satz tippen müsse: "Ich habe gedacht, ich könnte ihn verändern." Das ist fast immer ein Trugschluß. Zwar verändert die liebe Menschen tatsächlich, aber wo das über längere Zeit bis zur Eheschließung nicht bereits geschehen ist, da wird es später auch nicht mehr gelingen!


Eine Scheidungsliturgie