WER MIT
DEM HERZEN
SIEHT - Ratgeber für das Leben zu zweit
Sex oder Liebe?
Sex oder Liebe, Sex statt Liebe, Sex ohne Liebe, Sex in
der Liebe -
damit ist angedeutet, daß Sex und Liebe nicht dasselbe sind.
Aber
sie stehen in einer Beziehung zueinander. Die deutsche Sprache kennt
für
die geschlechtliche Liebe und die Nächstenliebe eigentlich nur
ein
einziges Wort, das beide gleichermaßen bezeichnet: Liebe. Das
Wort
"Sex" ist ein Fremdwort, das erst im 20. Jahrhundert aus dem Englischen
übernommen wurde und die geschlechtliche Liebe meint. Auch das
Wort
"Erotik" ist ein Fremdwort. Wir haben es aus der französischen
Sprache
übernommen, und diese entlehnte es aus dem Griechischen.
Letztere
Sprache nun unterscheidet ausdrücklich zwischen
geschlechtlicher Liebe,
Nächstenliebe und Freundesliebe, indem sie die Worte "Eros",
"Agape"
und "Philia" benützt. "Eros" bezeichnet die sinnliche Liebe,
das Liebesverlangen,
und "Agape" meint die Liebe von Mensch zu Mitmensch, die
Nächstenliebe,
während "Philia" die freundschaftliche Zuneigung bezeichnet.
Zu erwähnen
ist auch noch die "Charitas", ein Wort aus dem Lateinischen, das
für
die wohltätige Liebe verwendet wird.
Andere Sprachen differenzieren also stärker als die deutsche
Sprache,
die für dies zusammen ursprünglich nur ein einziges
Wort kannte:
Liebe. Ich bin darüber nicht unglücklich, denn alle
diese Ausdrucksformen
der Liebe entspringen - wo sie ehrlich gelebt werden derselben Quelle.
Sie sind wie die verschiedenen Farben einer einzigen,
prächtigen Blume
und entstammen alle demselben Keim. Wie wir gesehen haben, hat auch die
geschlechtliche, ja die körperliche Liebe Bestand vor Gott und
sie
besteht aus Gott heraus.
Wir dürfen das wie die unterschiedlichen und vielfaltigen
Landschaften
der einen Erde betrachten oder wie die zahlreichen Äste des
einen
Baumes. Es war vordem alles vereint in dem einen Gott, und durch sein
Schöpfungswerk
ist es wie ein bunter Fächer ausgebreitet worden. Im ganzen
gesehen
nimmt es sich nun viel schöner aus, als wenn es nicht
entfaltet worden
wäre. Wenn Mann und Frau zusammenfinden, ist es
schöner, als
wenn es nur den einen Menschen gäbe!
Diese Sicht der Dinge, daß alle Liebe denselben Ursprung hat,
bewahrt uns vor dem Irrtum, eine Art der Liebe überzubewerten
und
eine andere zu vernachlässigen. Jede Liebesweise kennt ihren
Grund
und ihr Ziel, ihre Aufgabe und ihre Erfüllung. Es
wäre verfehlt,
irgendeiner Ausdrucksform von Liebe allgemein den Vorrang
einzuräumen.
Alle Liebe ist heilig, weil die Liebe aus Gott kommt und Gott selber
die
Liebe ist.
Peter Noll diktierte in den letzten Wochen seines Lebens die
denkwürdigen
Sätze: "Das Sterben kündigt sich auch dadurch an,
daß Eros
sich in Agape verwandelt, nicht nur beim Sterbenden, sondern auch bei
den
Partnern. Wenn jemand gemeint hätte, Eros sei intensiver als
Agape,
so hat er sich getäuscht." Er, der im selben Buch "Diktate
über
Sterben und Tod" seine Freude an der körperlichen Liebe
unverhohlen
bekannte und nun den Zeitpunkt erlebte, da nur noch die Agape
übrig
blieb, mußte es ja schließlich wissen. Diese Liebe,
die Agape,
steht der Erotik in nichts nach, wenn es um das Glück geht.
"Sex oder Liebe?" Dieser Titel wurde so
gewählt, weil der Sex oft
mit der Liebe verwechselt oder ihr gleichgestellt wird. Für
manche
Menschen, welche vielleicht in der Jugend die Liebe entbehren
mußten,
stellt der Sex fast die einzige Möglichkeit dar, Liebe zu
erleben,
zu leben und auszuleben. Mir scheint, dieses Phänomen hat in
den letzten
Jahrzehnten allgemein zugenommen. Das wird wohl mit der
Überbetonung
der materiellen Werte zusammenhängen. Es dominiert das
Sichtbare,
das Oberflächliche, das Körperhafte. Im Vordergrund
steht der
unmittelbare Genuß; und die geistigen Werte, die Wurzel des
Sichtbaren,
sind in den Hintergrund getreten. Liebe wird oft in den Zusammenhang
mit
Geld und Werbung gebracht, nicht nur daß Liebe frivol
vermarktet
würde, sondern auch umgekehrt der Markt Lust und Liebe
verspricht
und dieses Versprechen hält er nicht, weil er das Verlangen
danach
nicht wirklich zu stillen vermag.
Vermarktete Liebe bedeutet vermarktete Menschen, denen die
Würde
entrissen wird. Weil immer noch vornehmlich die Männer
über das
Geld bestimmen, ist es vor allem die Frau, die angeboten und deren
Gefühle
ausgenutzt werden. Jedoch beide werden ihrer Würde beraubt,
Mann und
Frau. Wo die Liebe um ihr Geheimnis geprellt wird, entzieht sie sich
dem
Menschen.
Zu diesem Geheimnis gehört es aber auch, daß der Sex
ein
wichtiger Teil der Liebe zwischen den Geschlechtern ist! Ohne Hemmungen
laden sich die Liebenden im Hohenlied dazu ein. Sie zieren das Haus mit
Girlanden und rüsten Äpfel und Rosinenkuchen
für die Liebesnacht.
Ästhetik, Gefühl für die Schönheit,
gehört zur
Liebe genau wie das Essen und Trinken, das Gemeinschaftsmahl.
Das heißt doch, daß die Liebe das
Körperliche einschließt
und sich zuweilen spielerisch darin verliert. Jede Liebe, nicht nur
diejenige
zwischen Mann und Frau, drückt sich auch im
Körperlichen aus,
und sei es nur in den vielen Formen der Zärtlichkeit, im
entwaffnenden
Händedruck, im einnehmenden Blick, in der Zuneigung, die
leiblich
und seelisch zugleich verstanden werden kann. Und jede Liebe wird auch
irgendwie körperlich als wohltuend empfunden. Echt
verspürte
Liebe - als schenkende und als empfangende - stellt eine wichtige
Quelle
der Gesundheit und des Lebens dar. Sie bedeutet Leben.
Leben verändert und wandelt sich. Und so
erfährt auch der Stellenwert
der Sexualität im Laufe des Lebens von zwei Liebenden eine
Wandlung.
Mag sie als Bedürfnis, das gestillt und befriedigt sein
möchte,
einen wichtigen Platz im Leben zweier Liebender einnehmen, so gibt es
doch
auch Zeiten, in denen sie eher ausgelebt und weniger wichtig ist. Dann
tritt eine andere Form der Liebe an ihre Stelle, die mindestens genauso
Glück und Erfüllung bringt.
"Sex oder Liebe?" Sex ist keine Alternative zur Liebe, auf die Dauer
auch kein Liebesersatz. Eine Liebesbeziehung erschöpft sich
nicht
im Sex, und der Sex erhält keine Liebesbeziehung über
längere
Zeit aufrecht. Trotzdem ist er ein unendlich schöner Ausdruck,
ein
Geschenk der Liebe, und er verdient die Achtung und Beachtung beider
Partner!
Wo er geringgeschätzt oder überschätzt,
verdrängt oder
zu hoch bewertet wird, tut Liebe sich schwer. Wo er seinen
natürlichen
Platz erhält und ohne Scham ernst genommen und gepflegt wird,
verhilft
ihm die Liebe zum Segen. Das darf der Fall sein, wenn er beide Partner
in Zufriedenheit eint.
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