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Predigt 13. November
2011, Kapelle St. Anna, Zürich
Von Pfr. Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche, Zürich "Das ist doch Paul!" – oder: Von der Freundlichkeit Predigttext: Philipperbrief 4,4-9 "Freut euch im Herrn allezeit! Nochmals will ich es sagen: Freut euch! Lasst alle Menschen eure Freundlichkeit spüren. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern lasst in allen Lagen eure Bitten durch Gebet und Fürbitte mit Danksagung vor Gott laut werden. Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus. Zum Schluss, liebe Brüder und Schwestern: Was wahr ist, was achtenswert, was gerecht, was lauter, was wohlgefällig, was angesehen, wenn immer etwas taugt und Lob verdient, das bedenkt! Was ihr bei mir gelernt und empfangen, gehört und gesehen habt, das tut! Und der Gott des Friedens wird mit euch sein." Liebe Gemeinde Ein Blick in die Siebzigerjahre: Als recht unbedarfter junger Student sitze ich in der Stadt Basel an einer Tramhaltestelle und warte. Neben mir ein älterer Herr mit Glatze; er wartet auch, und er hat einen kleinen Hund bei sich. Irgendwie erhalte ich den Eindruck, die beiden seien dermassen zu einem Paar verschmolzen, dass sich die beiden Gesichter einander angeähnelt haben – oder ist das nur meine Einbildung? In dem Augenblick nehme ich eine herannahende Dame mittleren Alters wahr, die, gerade noch rechtzeitig auf Hundeshöhe, Halt macht, sich voller Sympathie und Wohlwollen niederbückt, und das Tier mit Komplimenten und Streicheleinheiten verwöhnt, dass es nur so eine Freude ist! Natürlich gehe ich davon aus, dass nun seinem Herrchen auch noch ein Blick zufällt, ein nettes Wort zum Hund wenigstens, oder ein knappes "Adieu!" – Man glaubt das ja nicht, nein, nein, und nochmals nein, das Herrchen kriegt überhaupt nichts ab! Nun sitz ich da und denke bei mir: Hätte er nur einen Prozentsatz von dem abgekriegt, was seinem Hundchen zukam, er wäre gewiss für den ganzen Tag der glücklichste Mensch der Welt. Sehen Sie, und dann gingen ein paar Jahre ins Land; ich verdiente meine ersten Sporen als Gemeindepfarrer ab. Da kommt mir ein Gedicht von Doris Lindenblatt in die Hände, und ich lese da: Da sagen
ganz fremde Leute: "Das ist doch Paul!" und meinen den Hund, mit dem ich spazieren gehe. Ich habe die Leute vorher noch nie gesehen, die aber Paul, den Hund meiner Nachbarn, den ich heute hüte. Paul, die Leute und ich wohnen seit Jahren im selben Viertel von Hamburg, und doch ist nur der Hund den Leuten bekannt. Das liegt wohl an mir? Sie können sich vorstellen, dass mir sogleich jenes Erlebnis an der Tramhaltestelle in Basel en revue passierte. Und ich behielt den Text, gab ihn später in den Computer ein, legte ihn auf www.christentum.ch. So waren mir die Worte der Verfasserin und meine damalige Erfahrung in meiner Studienstadt stets nahe. Von Zeit zu Zeit erinnerte ich mich daran und fühlte mich bestätigt: "Es ist halt schon so!" Vor drei Wochen hatte ich wieder mal einen jener Momente. Ich nahm das Gedicht, und ich war mir sicher: Das kommt nun ins Rastwort der Woche. In meiner Textwerkstatt arbeitete ich daran, und kurz vor dem Fertigstellen kommt die Frage: Was für ein Bild nehme ich denn da? Wo habe ich einen Hund? Über solche Fotos verfüge ich, aber das Tier sollte ja auch noch etwas Bestimmtes aussagen – oder zumindest zum Text passen... Hat nicht der Andy Mossner, der Schöpfer der Kirchenuhr in Sihlcity, in seinem diesjährigen Kalender, den ich im Büro vor Augen habe, ein lustiges Bild seines Hundes drin? Ja, das knipse ich ab, und rein damit ins Rastwort Nr. 42 des Jahres 2011. Gedacht, getan. Kalenderblatt 2011, Andreas Mossner Es hat viel zu denken und zu reden gegeben, dieses Rastwort Nr. 42. Es wurde weitergereicht und verschickt. Es brachte zum Lächeln und machte betroffen. Feedbacks trafen ein. Zustimmung kam an. Hinweis auf den Schlusssatz: "Und das liegt wohl an mir?" Kurz: Zeilen und Bild berührten wie wir es selten bei einem Rastwort in diesem Umfang erlebt haben. Das Thema scheint in der Luft zu liegen. Letzte Woche gab der "sanfte Heiler" Braco ein Stelldichein im schön gelegenen Kongresshaus Zürich. Da kommen viele hundert Menschen. Für diese ist es ein Stelldichein. Für Braco – genau gesagt – ein Stelldichhin. Ja, er steht wirklich nur hin und alles weitere läuft über seinen "gebenden Blick". Leute beginnen zu zittern und zu weinen. Sie fühlen sich – ohne Berührung – berührt. Amma aus Indien hat das kürzlich in Winterthur mit Umarmungen gemacht. – Ich werte nicht, ich stelle fest. Das Thema liegt in der Luft: Berührt werden, ergriffen sein, das Wissen ich bin wichtig, das Gefühl, es gibt einen Ort oder einen Menschen, da werde ich erkannt und geliebt. Meinem Hund mag ich das ja auch gönnen, aber ich hätte auch gerne etwas von dieser unendlichen Liebe die im Universum vorhanden ist und welche es nämlich im Grunde der Dinge zusammenhält. Wenn ich an Braco und Amma denke, von wegen, dann will mir die Geschichte mit dem kleinen Hund an der Seite nicht ganz aus dem Kopf: Müssen es immer spezielle Lichtfiguren sein, oder ginge das mit dem gebenden Blick oder der liebenden Umarmung oder dem guten Wort auch mal so? Einfach so, im Alltagsleben, mitten unter uns, als Familienleute, als Gemeindeglieder, als Mitarbeiter, als Nachbarn? Oder: Vergeben wir uns da zu viel? Schaffen wir Missverständnisse? Gehen wir ein kleineres Risiko ein, wenn es der Hund ist? Geht mir durch Kopf und Herz, wie es Jesus mit Berührungen hatte. Nur der Auferstandene sagte zu Maria Magdalena am Ostermorgen: "Fass mich nicht an!" (Das berühmte lateinische "Noli me tangere!"). Denn er war noch nicht hinaufgegangen zum Vater. So lesen wir es im Evangelium nach Johannes 20,15-17. Ansonsten aber hat Jesus sehr wohl berührt: Im Haus des Petrus nahm er dessen Schwiegermutter die HAND, und das Fieber wich von ihr (Matthäus 8,15). Den Blinden ausserhalb von Jericho auf dem Weg berührte er die AUGEN, und auf der Stelle sahen sie wieder (Matthäus 20,34). Dem Taubstummen legte er seine Finger in die OHREN, und er berührte seine ZUNGE mit Speichel, und er sagte: "Tu dich auf!" Sogleich taten dessen Ohren sich auf und das Band seiner Zunge löste sich (Markus 7,31-35). Jesus BERÜHRTE zum Heilen die Menschen, und er berührte die Herzen mit seiner Botschaft vom Reich Gottes, das angebrochen ist unter uns. Er kennt uns, und er ruft uns zu: "Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind!" (Lukas 10,20) Das ist ja so gross! Unsere Namen sind dort aufgeschrieben. Das können wir uns gar nicht vorstellen, so gross ist das. Wir können uns aber – wie Jesus es uns sagt – darüber freuen, und wir können Gott loben und preisen! Und wir können diese grosse Freundlichkeit Gottes allen Menschen zukommen lassen, wie es unser Predigttext sagt. Weil der Herr nahe ist. Weil wir uns keine Sorgen machen müssen. Und weil der Friede Gottes uns bewahrt. Apropos Hund. Eine der ersten Anfragen, welche die Internet-Seelsorge erhalten hat – und das war immerhin im Jahr 1995 – lautete: "Kommt die Lieblingskatze meiner Tochter in den Himmel? Sie will das wissen." Da haben wir auf die Worte des Apostels Paulus hingewiesen: "Wir wissen, dass die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, bis zum heutigen Tag." (Römerbrief 8,22) Ja, alles Geschaffene sehnt sich nach Erlösung. Das gilt auch für die Katze – und für den Hund natürlich auch. Amen. Sammlungsgebet Guter Gott Die Glocken und das Eröffnungsspiel der Orgel haben uns klar und hell begrüsst. Wir sind willkommen, wir sind da. Für diese Einladung danken wir dir herzlich, guter Gott, und wir nehmen sie an. Wir sind hierher zum Versammlungsort gekommen, die einen erwartungsfroh, andere bedrückt, und wiederum andere dankbar. Lass es hell und klar werden in unseren Herzen. Umhülle uns mit deiner Gemeinschaft und deiner Wahrheit. Und sprich hell und klar das Wort in unsere Herzen. Sodass wir frei werden von allem Ballast, der uns niederdrücken will, und von allen Lasten, die uns quälen und die sich zwischen dich und uns stellen. Öffne unsere Herzen für unsere Lebensentwürfe, für unsere Mitmenschen, für dich – zum Lobpreis und zum Gebet, zur Bitte und zum Dank. Kräftige uns, damit wir gestärkt durch die kommende Woche schreiten. Amen. Fürbitten Guter Gott Wir danken dir für die helle Musik, für das zuversichtliche Gebet, für dein frohes Wort. Wir danken dir für die unendliche Freundlichkeit, mit der du dich in Jesus Christus uns zuneigst und uns umhüllst. Heute bitten wir dich ganz besonders für alle Menschen, die das suchen, aber nicht erhalten. Für jene bitten wir, die frieren an Körper und Seele; denen sich niemand zuneigt mit einem freundlichen Blick, einem hellen Lächeln, einem guten Wort. Für jene bitten wir, die niemand versteht, an denen achtlos vorbeigegangen wird; jene, die uninteressant erscheinen und links liegen gelassen werden. Sei du bei ihnen allen und schenke ihnen die Gewissheit der Gemeinschaft mit dir. Heile ihre Wunden. Schick ihnen Menschen, die es gut meinen mit ihnen. In der Stille sagen wir dir, was uns bewegt... Um all das bitten wir dich, der du bist "Unser Vater im Himmel..." last update: 06.08.2016 |