Predigt
vom 15. Oktober 2006, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch in der Kirche
Zürich-Matthäus
Zweierlei
Fruchtbäume
Ein guter Baum trägt keine schlechte Frucht, ein schlechter
Baum hingegen trägt keine gute Frucht. Jeden Baum erkennt man
an seiner besonderen Frucht. Von Disteln pflückt man keine
Feigen, und vom Dornbusch liest man keine Trauben. Der gute Mensch
bringt aus dem guten Schatz seines Herzens Gutes hervor; der
böse dagegen bringt aus dem bösen Schatz
Böses hervor. Denn wovon das Herz voll ist, davon redet der
Mund. Was nennt ihr mich: "Herr, Herr!" und tut nicht, was ich sage?
Lukas-Evangelium 6,43-46
Jesus redet gerne in Bildern. Er wird auch gerne verstanden. Hier in
der sogenannten Feldrede des Lukas geht es um die Liebe. Und da kommen
ihm zwei Bäume in den Sinn.
Der eine ist ein guter Baum. Er kann gar nicht schlechte Frucht tragen.
Und der andere ist ein fauler Baum. Er kann unmöglich gute
Früchte hervorbringen. Die Güte eines jeden Baumes
wird an seinem Ertrag, den Früchten, gemessen. Wir sagen auch:
"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." Das ist ein
Jesus-Wort aus der Bergpredigt, Matthäus-Evangelium 7,16, wo
unser Meister vor den falschen Propheten warnt und wir ganz
ähnliche Worte wie in unserem Predigttext aus dem
Lukas-Evangelium lesen: "Sammelt man etwa Trauben von Dornen oder
Feigen von Disteln?" fragt Jesus.
So, meint Jesus, steht es auch mit den Menschen. "Der gute Mensch
bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor. Der
böse Mensch bringt aus dem bösen Schatze seines
Herzens das Böse hervor." Merken tun wir das oft beim
vertieften Hören auf die Sprache: "Wovon sein Herz voll ist,
davon redet sein Mund."
Jesus liebt Vergleiche aus der Natur. Bei der Liebe geht es um das
Geheimnis des Wachsens und Reifens. Gemeint ist aber nicht die Liebe,
die wir von Natur aus haben oder nicht haben, sondern die Liebe, die
uns sein Geist schenkt. Und die geht tief. Wir spüren
das
spätestens bei der Feindesliebe, mit der Jesus über
alles bisher Dagewesene hinausgeht. Die würde uns
überfordern und wir müssten sie gänzlich
ablehnen, wenn uns die Liebe aus dem Geist nicht zu Hilfe eilte.
Ein Zeichen der Liebe aus dem Geist ist die Geduld. Der Bauer zieht
nicht an den feinen Schossen. Er hegt und pflegt die Kulturen, bis die
Früchte sich einstellen. Er wartet die Zeit von der
Blüte über den zarten Fruchtansatz bis zur
ausgereiften Frucht ab.
Wir haben also unsere Zeit. Wir können abwarten, wie die
Talente sich entfalten und die Früchte heranwachsen. Wir
müssen auch noch nicht darum besorgt sein, ob unsere
Früchte Absatz finden. Das verleiht uns eine Gelassenheit, die
wir zur Beobachtung des Wesentlichsten nutzen können. Vor der
Sorge um den Erfolg darf die Sorge der Nachfolge stehen.
Vor vielen Jahren habe ich eine Geschichte gehört. Die ging
so: Ein Bauer hatte zwei Söhne. Die beiden munteren Knaben
gingen am Kornfeld ihres Vaters auf und ab.
"Ei, sieh doch!" rief der eine. "Wie verschieden diese Halme hier sind!
Sieh nur, wie hässlich diese sich neigen und wie
schön und gerade jene stehen!"
"Genau!" unterstützte ihn der Andere. "Wenn ich der Vater
wäre, ließe ich alle, die sich so wüst
beugen, ausreißen und wegwerfen."
"Das käme ja gut heraus" meinte nun der Vater, der dies alles
mitbekommen hatte. "Ihr müsst wissen, gerade die
Ähren, die euch so missfallen, sind die besten. Sie neigen
sich, weil die Körner sie schwer machen. Da hat es viel drin.
Die schönen geraden Halme aber sind leeres Stroh.
Überhaupt, merkt euch das, unter den Menschen geht es vielfach
zu und her wie auf dem Kornfeld: Den leeren Kopf kann man gut hoch
tragen!"
Frucht und Reife brauchen Zeit. Und oft ist das, was auf den ersten
Blick hässlich daher kommt, gar nicht so übel. Das
ist die erste Schlussfolgerung aus dem Bild Jesu: Geduld und Demut,
gepaart mit Mut und Bestimmtheit. Es geht um die Substanz. Um die
Substanz der Liebe. Um das, was drinnen ist. Was gereift ist.
Sodann halten wir uns die beiden erwähnten Fruchtarten vor
Augen: die Feigen und die Trauben. Weinstock und Feigenbaum stehen im
Alten Testament für die Erwählung des Volkes Gottes.
Die Bäume stehen nicht allein. Da gibt es eine Pflege, eine
Fürsorge, jemand, der sich der Bäume annimmt. Es
schenkt uns jemand seine Aufmerksamkeit. Es ruft uns jemand heraus aus
dem Alltag, hinein in eine Beziehung. Da ist ein Hin und Her, das
Frucht bringt. Nicht umsonst sagen wir, man müsse mit den
Pflanzen reden. Da geht es um das Leben, um Austausch, Kommunikation,
Nachdenken, Kreativität, Entfaltung, Fülle.
Herbstliche Fülle.
Jesus mag die Worte des ersten Psalmes im Sinn gehabt haben:
"Wohl dem Menschen,
der nicht wandelt im Rate der Gottlosen,
sondern seine Lust hat am Gesetz des Herrn.
Der ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen,
der seine Frucht bringt zu seiner Zeit."
Wir haben ein Gesetz mit auf den Weg erhalten, die Heiligen Schriften
lehren uns, und Gott redet zu uns durch sein lebendiges Wort. Wir
kennen das Abendmahl und die Vergebung der Sünden. Wir wissen
was Neuanfänge und gegenseitige Hilfe sind. Wenn das
geschieht, ist Gott in Christus ganz und gar unter uns. Dann ist er mit
dabei. Dann ist er uns nahe, ja er nimmt Gestalt an unter uns. So wird
das Wort Fleisch. So wird Jesus in unserer Lebenswelt mitten unter uns
geboren.
Wir sind kein Zufall. Wir werden herausgeholt aus dem Alltagsleben,
hineingeholt in die Fülle des Lebens, wo dem Zeitlichen
Ewigkeitswert zukommt, wo sich Lebensqualität ereignet, die
uns nicht mehr genommen werden kann. Das trägt in dieser Zeit.
Und es trägt über diese Zeit hinaus.
Noch das kleine Sätzlein am Schluss unseres Abschnittes aus
der Feldrede des Lukas: Unwirsch klingt es, als ob es Jesus entwischt
wäre: "Was nennt ihr mich aber: Herr, Herr! Und tut nicht, was
ich sage?" Ich bin froh, dass Jesus seinen Tarif durchgibt. Er
heißt nicht alles gut.
Es wird deutlich: Wenn wir uns in seine Nachfolge begeben, sind wir
hörende Menschen. Menschen mit Zeit. Menschen, die
zuhören können. Anderen zuhören und in sich
selber hineinhorchen. Das gibt Wegleitung und Kraft, Freude auch.
Weisheit, die herbstliche Fülle auszukosten. Das
Genießen der Früchte der Feigen und der Trauben. So
sind wirklich hörende Menschen immer auch tätige
Menschen. Menschen, die das Gehörte umsetzen. Eben, wo das
Wort Fleisch wird, wo es Form annimmt.
Im Jakobusbrief (1,19ff) lesen wir: "Es sei jeder schnell zum
Hören." Hörbereitschaft hat Qualität.
Hörbereitschaft ist gefragt. Nicht nur bei den Anderen. Auch
für unser eigenes Leben ist sie wichtig. Damit wir die
Türen öffnen, um die Ernte einfahren zu
können.
"Es sei jeder schnell zum Hören." So heißt es da,
und weiter: "Langsam zum Reden, langsam zum Zorn." Als Menschen in der
Nachfolge Christi sind wir zuerst immer Hörende. Und dann
kommt die Umsetzung, und so heißt es bei Jakobus dann auch
recht schnell, und das ist ein berühmter Bibelsatz: "Seid aber
Täter des Wortes und nicht bloß Hörer."
Da haben wir beides: Das Hören und das Tun. Das Wort und die
Antwort. Glaube ist nicht statisch. Er bewegt sich. Ein Hin und Her.
Ein Geben und Nehmen. Leben. Fülle. Herbst. Die vielen Farben
und die guten Früchte. Das will Gott in unserem Leben
bewirken. So lernen wir Gott durch Jesus Christus kennen!
last update: 27.09.2015
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