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Heil



Eine Predigt, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch zum 2. Advent, 5. Dezember 2004
in der Kirche von Matthäus-Zürich


Er redet von Heil ...

"Ich will lauschen, was Gott mir sagt:
Er redet von Heil zu denen, die ihm ihr Herz zuwenden."
(Psalm 85,9)

Am heutigen Tag darf die zweite Kerze auf dem Adventskranz leuchten. Mit jedem Sonntag nimmt das Licht zu, bis uns an Weihnachten das schöne Lichtermeer des Christbaums entgegenstrahlt. Das Licht nimmt also zu, nein, DIESES Licht nimmt zu, obschon die Tage immer noch kürzer werden und das äussere Licht abnimmt. Also ist das zunehmende Licht ein inneres Licht in den Gottes- und Menschenhäusern, das göttliche Licht im Haus Mensch! Dieses Licht führt uns auf dem Weg des Lebens. Es zeigt uns, dass wir hier zuhause sind, weil Gott da wohnt. Es lässt uns spüren, dass wir nicht alleine sind. Es ist ein heimeliges, feines Licht für unsere Seelen. Es ist das Licht Gottes. Es ist Gott selbst, denn "Gott ist Licht" (1. Johannesbrief 1,5).

Wenn wir von diesem inneren Licht reden, das in jedem Menschen unvergänglich leuchten kann, dann spüren wir einen echten Schmerz, weil wir sehr wohl wissen, wie wenig dieses Licht des Lebens draussen im Alltagsleben erkannt, wahrgenommen und angenommen wird. Und viele meinen, das dort draussen sei das Licht und das Leben. Und sie merken gar nicht mehr, was los ist. Aber sie spüren sehr stark, dass ihnen im Grunde der Dinge nicht nur etwas, sondern viel, ja das Entscheidende, das Fundament und das Ziel, fehlen!

Die Wärme,
die da sein könnte ...

Die Liebe,
die es geben sollte ...

Die Vergebung,
die möglich wäre ...

Das Vertrauen,
das entstehen dürfte ...

Das Glück,
das nicht fehlen müsste ...

Die Einfachheit,
die verloren ging ...

Der Geist,
der denkbar wäre ...

Ich glaube, da müssten und dürften wir mal inne halten, den Mut haben, stille zu stehen, ja, einfach den Mut haben, stille zu stehen und zu warten, abzuwarten, ob das Glück nicht auf uns zukommt, statt wie Gehetzte dem scheinbaren Glück ständig nach zu rennen und immer wieder enttäuscht zu merken: So entgleitet uns das Glück immer wieder, wie ein Fisch, den wir im Wasser mit Händen zu halten versuchen.

Dieses Stillestehen ist gar nicht so leicht. Um es einzuüben ist die Adventszeit eingerichtet, die jährlich wiederkehrt. Sie ist als eine Zeit der Besinnung gedacht, des Zu-sich-Kommens, der Ruhe, als eine Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft und letztlich auch auf die Wiederkunft Christi.
Solche Ruhe ist heutzutage dermassen in Frage gestellt, dass viele gar nicht mehr von einer Adventszeit, sondern nur noch von einer Vorweihnachtszeit reden. Jedes richtige Fest aber braucht eine positiv gefüllte und gestaltete Vorbereitungszeit, die zum einen Teil in äusseren Vorkehrungen, zum anderen Teil in innerer Anbahnung besteht. Und dazu gehört Mut zur Ruhe.

Das war schon früher so, nur hat die Unruhe andere Ausmasse angenommen, sie ist heute alldurchdringend und global. Der empfindsame Philosoph Friedrich Nietzsche brachte bereits vor über hundert Jahren die Klage zu Papier:
"Man schämt sich jetzt schon der Ruhe, das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, man lebt wie einer, der fortwährend etwas versäumen könnte. Lieber irgend etwas tun als nichts, auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zugrundegehen, so geht auch das Gefühl für die Form selber, das Ohr und Auge für die Melodie der Bewegung zugrunde, das Ohr und Auge für das menschliche Miteinander. Man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Zeremonien, für die Verbindlichkeiten mit Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Beschauliche."
Mut zum Stillestehen, den Standort bestimmen, den Weg neu ausrichten, das Verhältnis zu Gott und Mitmenschen klären, Mut zur Busse, Adventszeit ist wie die Zeit vor dem Osterfest eine Busszeit.

"Ich will lauschen, was Gott mir sagt:
Er redet von Heil zu denen, die ihm ihr Herz zuwenden."

Die Adventszeit ist nicht ein vergebliches Lauschen in die Leere hinein. Diese Zuwendung des Herzens wird nicht enttäuscht. Du siehst das Licht zunehmen. Genau gleich will Gott in unser Leben treten, zu unserem Heil, und nicht zu unserem Unheil. Er will reden mit denen, die ihm das Herz zuwenden. Und wir dürfen uns öffnen und dem lauschen, was er uns sagt. So bleibt diese Zeit nicht nur Vorweihnachtszeit, sondern sie wird zur Adventszeit!

Wir warten auf den, der das Verlorene sucht und rettet;
der jene heilt, die zerschlagenen Herzens sind;
der sammelt, was sich verirrt hat;
der uns mit Gott versöhnt
und dieser Welt Frieden schenkt.

Die Lichter und Lieder der Adventszeit wollen ihm den Weg in unseren Herzen und unserer Gemeinschaft ebnen. Sie sind hell und klingen fröhlich, weil wir uns freuen dürfen!


last update: 28.09.2015