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Predigt zum Sonntag, den 31. Januar 2010, gehalten in Dübendorf ZH
von Pfarrer Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche Zürich

Hoffnung lebt wo Sinn ist

Der Predigttext Hebräerbrief 6,19 lautet:
"Die Hoffnung haben wir als einen sicheren und festen Anker der Seele,
der auch in das Innere des Vorhangs hineingeht."

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde!

In der Kirche des städtischen Einkaufszentrums Sihlcity arbeitet ein Team von rund 30 freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Empfang, die Kapelle und den Gemeinschaftsraum betreuen. Darunter befindet sich eine gebürtige Afrikanerin. Diese Frau beobachtet anders als wir Europäer. Sie war die erste, die darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Besucherinnen und Besucher beim Betreten der Kapelle (oder auch der Gesprächszimmer) oft ein anderes Gesicht machen als beim Verlassen. "Wie meinst du das?" hab ich sie gefragt. "Ja, wenn sie reingehen, haben sie ein angespanntes Gesicht – und wenn sie rauskommen, wirkt es meistens gelöst."

Wie sehr mich diese Nachricht freute, so hat sie mich doch auch nachdenklich gestimmt: Achten wir noch auf die Gesichter von Menschen, die uns ja so viel mitteilen können – oder lassen wir uns vom Augenmerk auf die Abläufe absorbieren? Funktionieren wir nur noch – oder nehmen wir uns die Zeit, im Aussehen und in der Ausstrahlung von unseren Mitmenschen zu "lesen"? Spüren wir auch unserer eigenen Stimmung nach? Haben  wir noch Freude am reinen Dasein? Oder muss einfach immer etwas laufen?

Nun gut, ich war froh, auf das Gesichterlesen aufmerksam geworden zu sein. Und ich bin glücklich zu wissen, dass Menschen nach einer Zeit der Stille in der Kapelle oder nach einem Seelsorgegespräch im Zimmer wieder gelöster in den Alltag zurückkehren. – Welche Kraft bewirkt das?

"Wir können wohl das Glück entbehren, aber nicht die Hoffnung." Sagte einst der norddeutsche Lyriker und Novellist Theodor Storm (1817-1888).
Tiefgründig über die Hoffnung schrieb auch der zeitgenössische tschechische Schriftsteller und Politiker Václav Havel: "Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – egal, wie es ausgeht."

Da gilt es also zu unterscheiden. Der eine sagt, ohne Glück kann man längere Zeit auskommen, aber ohne Hoffnung nicht. Der andere fügt bei, dass Hoffnung nicht blosse Zuversicht auf gutes Gelingen bedeutet, sondern das tiefere Wissen um den Sinn. – Von der Seelsorge her kann ich Ihnen sagen: Nun sind wir beim Kern der Sache. Es geht um den Sinn des Ganzen; es geht um den Sinn des Lebens; es geht um den Sinn des Lebens von dir und mir... und von allem das lebt und ist.
Von daher ist die Entspannung so mancher Gesichter zu erklären nach dem Besuch der Kapelle oder nach einem klärenden Gespräch, auch nach einem Gottesdienst wie wir ihn heute in Dübendorf feiern – von daher ist die Gelöstheit zu erklären, dass wir in der Stille mit Gott oder im Gespräch in seinem Angesicht uns selber und den Sinn unseres Lebens und des Lebens wieder finden!
Das ist eine ganz ernste und doch so heitere und froh machende Angelegenheit. Darum heisst es im Hebräerbrief: "Die Hoffnung haben (!) wir..." So lapidar, aber auch so gewiss: "Die Hoffnung haben wir..." Und wir haben sie weil Gott für uns nicht einfach so eine Idee, ein Gedanke oder gar etwas Kurioses, Unbestimmtes, Diffuses oder Angstmachendes ist, sondern weil uns die Liebe Gottes in Jesus Christus erschienen ist! Darum "haben" wir die Hoffnung. Wir "haben" sie als "Jesus-Freaks", wir haben sie als Christus-Gläubige –  und das ist etwas Offenes, Weites und doch auch etwas, das uns Geborgenheit und Gewissheit gibt.
Es geht dann schon noch weiter in unserem Predigtwort: "Die Hoffnung haben wir als einen sicheren und festen Anker der Seele, die auch in das Innere des Vorhangs hineinreicht." Das geht tief und es "verhebet".

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Wo wir uns in Gott begeben und das kann auch in der Stille geschehen, da lebt diese Hoffnung in uns, die weit mehr als Optimismus ist. Wo wir unser Leben im  Lichte Gottes betrachten, da lebt diese Hoffnung in uns, ja, da "haben" wir diese Hoffnung! Zugegeben, manchmal wartet Gott mit seinen Antworten. Zugegeben, manchmal fühlen wir uns allein. Durch das Christus-Erlebnis aber wird das durchbrochen. Das ist die gute Nachricht, das Evangelium. Nimm es für heute. Nimm es für jeden Tag deines Lebens. Da ist Christus; und er ist ganz und gar mit dir – mit uns.

Ich schliesse mit einer Geschichte, die ich auch erhalten habe. Es ist eine gute Geschichte, weil es eine wahre ist. Ihr Titel könnte sein "Was die Hoffnung kann."

Eine kleine, alte Frau trifft am Feldrand auf eine zusammengekauerte Gestalt (die Traurigkeit). Sie setzt sich zu ihr und fordert die Gestalt auf, ihr doch zu erzählen, was sie bedrückt.

Die Traurigkeit seufzt darauf tief: Sollt ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. "Ach, weisst du", beginnt sie zögernd, "es ist einfach so, dass mich niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest. Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."

"Oh ja", bestätigt die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft begegnet."

Die Traurigkeit sinkt noch weiter in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Eher legen sie sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu." Die Traurigkeit schweigt - ihr Weinen ist erst schwach, wird schließlich immer stärker und ganz verzweifelt. Da nimmt die alte Frau die zusammengesunkene Gestalt tröstend in die Arme und flüstert liebevoll: "Weine nur, Traurigkeit, ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt." Erstaunt richtet sich die Traurigkeit auf: "Aber - wer bist du eigentlich?" - "Ich", sagt die kleine, alte Frau schmunzelnd, "ich bin die Hoffnung!


Fürbitten

Herr, wir bitten dich für die in der Kälte.
Für die in Einsamkeit.
Für die in Hass.
Für die in Gefangenschaft, was für eine auch immer.

Herr, wir bitten dich für die in der Kälte.
Für die in der Macht.
Für die in der Ohnmacht.
Für die ausserhalb vom Leben.
Für die in Schuld und Unschuld.

Herr, wir bitten dich für uns.
Dass du uns ins Leben rufst,
jeden Morgen neu.
Dass du uns im Leben hältst.
Dass du uns vergibst.
An uns denkst,
und uns nicht vergisst.

Um all das bitten wir dich
im Verein mit der ganzen Christenheit,
der du bist unser Vater im Himmel ...



last update: 17.08.2015