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Glückliches Menschenherz!
NACHPREDIGTEN ZU HEINRICH LANG


Im Lichte Christi


"Ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll. Denn das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden auf Hoffnung, daß auch selbst die Schöpfung freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst und erwarten die Erlösung unseres Leibes." 
(Römer 8,18-23)

"Der Apostel Paulus spricht von einem Gefühl der Unbehaglichkeit, das sich durch die ganze Schöpfung hindurchziehe, von einer daraus entspringenden bangen Sehnsucht der Kreatur nach Erlösung und Befreiung von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens, dem sie unterworfen sei. Selbst diejenigen, die doch schon die Erstlingsgaben des Geistes empfangen haben durch Christus, fühlen sich immer noch gedrückt von der Knechtschaft des Fleisches und sehnen sich daher, vollkommen hindurchzudringen zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Und diese Erlösung der Kreatur, die Stillung des bangen Sehnens der Schöpfung erwartet Paulus eben vom Christentum. Aber hat das Christentum diese hohe Erwartung erfüllt? Was hat es geleistet, um die seufzende Kreatur zu befreien? Ist nicht das Gefühl der Zerrissenheit und allgemeinen Unbehaglichkeit in unsern Tagen stärker als jemals? Erwartet man nicht von allen Seiten, jeder in seinem Sinne, neue Erlöser? Wir antworten auf diese Frage einfach durch die Gegenfragen: Hat die Welt vom Christentum nicht bisher mehr den Schein als die Wahrheit, mehr die Formeln als das Leben, mehr den Buchstaben als den Geist gehabt? Hat man nicht zu allen Zeiten mehr die Kirche als die Religion, mehr die Theologie als die Gottseligkeit gesucht? Mit welchem Recht kann man sich also beklagen, wenn das Christentum statt der Trauben nur die Heerlinge gebracht hat? 
Versuche es einmal, die Grundgedanken des Evangeliums zu den Grundgedanken deines eigenen Lebens zu machen, so bist du befreit von dem Dienste der Eitelkeit und der Knechtschaft des vergänglichen Wesens und atmest in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Laß nur erst eine größere Anzahl von Menschen, eine Gemeinde, ein ganzes Volk, wenigstens seiner Mehrheit nach, im Geiste Christi leben und den sittlichen Forderungen des Evangeliums entsprechen, - du wirst dich wundern, wie schnell sich das Seufzen der Kreatur, das bange Gefühl der Unbehaglichkeit und des Unglücks verwandeln würde in Freude, Glück und Freiheit."

Zu Recht fragte Heinrich Lang im letzten Jahrhundert, ob nicht die Kirche zumeist wichtiger gewesen sei als der Christus und die Macht in der Geschichte der Kirche über ganze Strecken hinweg nicht vor der Wahrheit gestanden habe. Und wir heute - da sich uns die Chance der Nachfolge Christi mehr denn je anbietet und da es so leicht wäre, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen - müssen uns fragen: Haben wir uns voll und ganz auf Christus eingelassen, oder bedienen wir uns bloß seiner Worte und seines Tuns wie in einem Gemischtwarenladen? Vor einiger Zeit stand in der Zeitschrift "Die Woche" ein Artikel, welcher mit der Überschrift versehen war: "Immer mehr Deutsche wenden sich von Christus ab. Aber sie glauben - egal woran". Man glaubt an Gott als Geistheiler oder Schamane, als Alchimist oder Kartenleger, als Ufo oder Schutzengel. Bloß keine Einbindung in alte Traditionen! Festlegen möchte man sich nicht. Der christlichen Gemeinde gehört man - wenn´s hochkommt! - noch an, aber mitmachen will man kaum mehr. In der aufgeklärten Individualgesellschaft begehrt jeder seine eigene Glaubens-Hausmischung. 
Dabei haben die meisten keine Ahnung, was aufgegeben wird, keinen blassen Schimmer, welchen unendliche Lebensschatz und Reichtum sie preisgeben! Diese Menschen ahnen ja nicht im geringsten, wie dornenvoll der Holzweg im Gestrüpp und im Dickicht des Aberglaubens endet. 
Lassen wir die Theologin und Psychologin Hanna Wolff berichten, die 1937 mit ihrem Mann im Dienste einer evangelischen Mission nach Indien ging und dort während über zwei Jahrzehnten lebte. In ihrem kürzlich neu herausgegebenen Buch "Der indische Jesus" (1955) schreibt sie: "Überall lauern Geister, Bhuts genannt, bereit sich auf einen unachtsamen Vorübergehenden zu stürzen. Es sind oft die Seelen derer, die keine richtige rituell vollzogene Verbrennung hatten, sei es, daß Formfehler beim Rezitieren heiliger Verse geschahen oder daß der Tote keinen Sohn hatte, weil nur der gewisse, bei der Verbrennung notwendige Zeremonien vollziehen kann. Dann findet der ausgefahrene Geist keine Ruhestätte. Solche ruhelosen Geister sitzen dann in den großen alten Bäumen der Landstraßen. Nicht weit von uns führte eine solche Allee vorbei. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, hörten wir die Leute singend vorbeigehen. Wir dachten erst, was für ein fröhliches Volk sind doch diese Inder, bis wir allmählich gewahr wurden, daß sie aus Angst singen. In einer der ersten Nächte wurden wir durch furchtbares Schreien auf unserer Veranda geweckt. Wir sahen mit der Stallaterne nach. Vor der Tür fanden wir eine zitternde dunkle Gestalt, die gleich wieder losschrie. Der Mann war aus Angst vor den Bhuts von der Landstraße in die Nähe menschlicher Behausungen geflüchtet; flehentlich bat er uns, auf der Veranda schlafen zu dürfen. Dankbar rollte er sich in einer Ecke zusammen und war sofort eingeschlafen." 
Wenn mir Jugendliche von spiritistischen Techniken berichten, mit denen sie - durch Erwachsene verführt - in Berührung kommen, dann läuft das auf denselben dunklen Hokuspokus hinaus, der die Menschen knechtet und unfrei macht. Wie erfrischend liest sich da, was Heinrich Lang von Jesus sagt: "Er brauchte nur das eine seiner Lebensworte: Gott ist Geist (Joh. 4,24) in die Welt hinauszurufen, um die Welt in einem ganz neuen Lichte erscheinen zu lassen. Gott ist Geist, also an keinen Ort gebunden, sondern überall, allgegenwärtig, in ihm leben, weben und sind wir (Apg. 17,27-28), und Er lebt, webt und ist in uns. Vor ihm liegen wir aufgeschlossen und durchsichtig da bis in unsere innersten Tiefen mit unserm ganzen Tun und Denken. O welch ein freundlicher Trost liegt hierin für den Frommen! Wenn alle Schmerzen eines Menschenlebens über dein Herz hereinbrechen, wenn alle Blitze des Geschickes über deinem Haupte zusammenschlagen, wenn Mißgunst der Menschen dir in der Wüste oder am äußersten Meere die Wohnung anwiese: siehe, so ist er auch da! Gott ist in dir und weiß als heiliger Geist (Joh. 14,16) dem Müden und Bekümmerten Trostesworte zuzuflüstern und dem Ermatteten eine Siegeskraft zu verleihen. Aber wie vernichtend ist dieser Gedanke für den Gottlosen! Mag er fliehen vor seiner Schandtat bis an´s äußerste Meer, oder sich verbergen in den Tiefen der Erde und sprechen: Fallet über mich, ihr Berge, bedecket mich, ihr Hügel (Hosea 10,8), er kann Gott nicht entrinnen und vor ihm sich nicht verbergen, er trägt ihn an alle Orte mit als den Richter in ihm selber." 
Das ist ja die unerhörte Befreiung, die Jesus gebracht hat: Gott ist Geist! Er ist an keine Orte und Menschen, an keine Techniken und Rituale gebunden. Er ist frei, und er möchte uns frei machen. Natürlich wird da immer noch etwas bleiben, das wir gerne anders sähen. Und wir werden immer Mitleid haben müssen mit dem, was an Unseligem in der Welt geschieht. Aber es wird uns im Gebet auch immer wieder gegeben, im Lichte Christi zu sein und zu wirken. Weil wir wissen, daß wir erlöst und teuer erkauft sind. Weil wir wissen, daß Gott uns liebt. 
Ein praktisches Beispiel, das wir im Alltag gerne und oft anwenden können, zieht Heinrich Lang mit den Worten an, die ich als dritten Text anbringe: "Segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch beleidigen. - Nur auf diesem heiligen Boden begreifen wir die Feindesliebe, welche den natürlichen Menschen als Schwärmerei erscheinen muß. Ob wir auch im Innersten abgestoßen werden von dem Gemeinen, das uns oft umgibt, ob wir tief empört werden von allem Niedrigen - wir lieben und achten das Menschliche, das auch dem Gemeinsten noch innewohnt. Wir bringen der Sünde das Schwert, aber dem Sünder die Palme entgegen. Nicht mit Groll und Rachsucht, sondern mit dem Schmerz der verkannten und zurückgewiesenen Liebe schauen wir denen nach, die unsere Friedenshand von sich stoßen und in bitterem Wesen verharren. - O, wenn diese Liebe in den Herzen blühte, wie viel fester, heiliger und schöner würden die natürlichen Bande werden, von denen die Menschen umschlungen sind!"
Wir merken, daß da eine Sehnsucht bleibt. Das muß so sein, damit wir auf dieser Erde mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder etwas für das Reich Gottes tun und uns zugleich auf seine Vollendung freuen können. Statt über die Finsternis zu klagen, ist es besser, ein Licht anzuzünden. Das Licht Christi, das nicht blendet und uns den Weg zur Seligkeit weist. Denn bei allem, was uns bewegt - ob es nun beflügelt und zu neuen Gestaden trägt, oder ob es die Kraft nimmt und lähmt - bei allem dürfen wir die Verheißung des Apostels vor Augen haben:

"Ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll." 

Das läßt so manches in anderem Licht erscheinen, es relativiert so vieles, es macht uns zuweilen lächeln und gibt uns die Geduld und Gelassenheit für´s Gebet - für´s Dankgebet, für´s Lobgebet und für´s Bittgebet.