Glückliches Menschenherz!
NACHPREDIGTEN ZU HEINRICH LANG
Ostern
Vom Weizenkorn
"Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht
in die
Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt
es viel Frucht."
(Johannes 12,24)
"Wie tröstlich tönen die Osterklänge an unser Ohr, jetzt,
da der Odem Gottes wieder belebend durch die Schöpfung weht. Vom Eise
befreit sind Strom und Bäche. Das Samenkorn, das in der Erde erstorben
war, steht vom Tode auf und saugt gierig die frischen Lüfte ein. Der
warme Schein der Sonne erquickt tausend kranke Menschenkörper und
noch viel mehr kranke Menschenherzen.
Warum so bekümmert, warum so niedergebeugt, armes Menschenkind?
Hast du liebe Menschen zu beklagen, die im Grabe schlummern? Hebe dein
Haupt in die Höhe und lerne im Tode das Leben kennen.
Warum so bekümmert und sorgenvoll, Menschenkind? Bist du von Armut
gedrückt und von Lebensnot? Schau empor, das Samenkorn wächst,
und bald wogt das Saatfeld in vollen Ähren wieder.
Warum so finster und wild, armes Menschenkind? Bist von Leidenschaften
gejagt und von Sündenpein gequält? O wirf beherzt den Stein vom
alten Grabe der Sünden weg, steh auf deine Füße und wandle
im neuen Leben! Es steht ja alles vom Tode auf zum Leben, warum nicht
auch
du?"
Mit diesen Sätzen, die an Bekanntes anknüpfen und den Bezug
zu Bibeltext und Natur herstellen, mit diesen Sätzen, die aufmuntern
und Hoffnung geben, Zuversicht verleihen, mit diesen Sätzen ist der
rote Faden der Predigt von Heinrich Lang zum Weizenkorn-Wort Jesu
umrissen.
Auch das Wort selber ist wegweisend: Jesus bereitet damit seine Jünger
auf die Geschehnisse vor, die sich ereignen werden. Es ist ein Wort des
Leidens und der Freude in einem einzigen Vorgang, ein Wort, das Leiden
und Freude, Sterben und Leben, Tod und Auferstehung in einen
Zusammenhang
hineinnimmt, beides zu einem einzigen Geschehen vereint, das nicht
auseinandergenommen
werden kann und von dem wir nicht nur die eine Seite beanspruchen
können.
Ein positives Wort, ein Wort des Lebens und der Kraft, ein Osterwort!
Darf es auch zu unserem ganz persönlichen Programm werden, das Wort
Jesu vom Weizenkorn, das zuerst in die dunkle Erde und in den Tod
hinein
muß, damit es nicht allein bleibt und Frucht tragen kann? Darf es
zu unserem Leitbild werden, das Leben im Tode, das stete Sterben mit
Jesus
und das Auferstehen mit Christus? Hast Du dich dazu entschieden, hast
Du
dazu Dein herzhaftes Ja gesagt, und - machst Du Ernst damit in Deinem
Leben?
Nach dem Leitstern, der einen richtigen Hoffnungsstrahl ausgießt,
folgen drei Teile: Das Weizenkorn, das sterben muß, um viele Früchte
zu bringen, ist
- zuerst Jesus Christus und sein Werk, sein Tod am Kreuz, sein
Begräbnis
und seine Auferstehung von den Toten;
- sodann ist jenes Weizenkorn die christliche Kirche, deren Same die
Hingabe der Märtyrer ausmacht und deren Formeln und Bräuche der
Veränderung unterworfen sind - die christliche Kirche, die sich wandelt
und die leben soll, auf deren Inhalt es also ankommt, der immer wieder
neu ans Licht des Lebens drängt;
- und schließlich sind jenes Weizenkorn wir selber, denn unser
alter Mensch muß mit Christus gekreuzigt werden, damit der neue Mensch,
nach Gottes Bilde geschaffen, in uns immer wieder auferstehe zum ewigen
Leben.
"Warum haltet ihr so zäh am Alten? Warum ereifert ihr euch so?
Aus dem Tode das Leben, heißt unsere Losung!" ruft der Prediger in
den Kirchenraum hinaus den Herzen seiner Zuhörer entgegen. Er meint
damit, daß sie nicht die Asche der Überlieferung aufbewahren,
sondern die Fackel des Glaubens, des lebendigen Glaubens weitertragen
sollen.
"Woher kommt bei so vielen das halbe Christentum?" fragt er und gibt
die Antwort: "Sie scheuen die scharfe Entscheidung, sie fürchten den
schmerzlichen Einschnitt in´s Herz, der die alte Rinde löst,
sie wollen leben, ohne vorher zu sterben. Aber: nur im Tode und aus dem
Tode das Leben!"
Auch wir dürfen uns fragen: Woher kommt es, daß sich so
viele Christen nennen, aber sie vergeben nicht, sie reden nicht
miteinander,
sie gehen sich aus dem Wege, sie spielen die beleidigte Leberwurst und
verletzen andere, sie suchen den Weg zum Herzen des Nächsten nicht,
sie tun Christus weh, sie treten das Christentum mit Füßen und
meinen Christen zu sein! Woher kommt das?
Die Antwort ist gegeben: "Wenn dir das Schöne und Wahre eine innere
Freudigkeit werden soll, dann muß es in dir zu einer Entscheidung
für oder wider kommen, und diese Entscheidung ist eine schmerzhafte
Hingabe in den Tod. Dem Hinken auf beiden Seiten, halb Gott im Herzen
und
halb die Welt, dem Schöntun mit der Tugend und Liebäugeln mit
der Sünde muß ein für alle Mal der Tod gesprochen werden,
wenn du im Guten, Wahren, Rechten leben willst."
Vielleicht noch etwas konkreter: "O elender, ärmlicher Mensch,
der du deine Gaben und Güter, die Schätze deines Geistes und
die Kraft deines Willens wegwirfst an vergängliche Ziele, um dir einen
Titel und einen Platz in der Welt zu erwerben, wo du nun deinen Ehrgeiz
und deine Bequemlichkeit befriedigen und dein Leben genießen kannst!
Wir sollen unser Leben hingeben für die Brüder, ruft uns der
Apostel zu..."
"Einen Schritt rückwärts" hat´s Matthias Claudius (1740-1815)
mal genannt und in seinem vierten Brief an Andres weiter geschrieben:
"Offenbar
muß man von Erde und Himmel und von allem, was sichtbar ist, die
Augen wegwenden, wenn man das Unsichtbare finden will. Nicht, daß
Himmel und Erde nicht schön und des Ansehens wert wären. Sie
sind wohl schön und sind da, um angesehen zu werden. Sie sollen unsere
Kräfte in Bewegung setzen, durch ihre Schöne an EINEN, der noch
schöner ist, erinnern und uns das Herz nach ihm verwunden. Aber wenn
sie das getan haben, dann haben sie das ihrige getan, und weiter können
sie uns nicht helfen. Der Mensch ist reicher als sie und hat, was sie
nicht
geben können. Alles, was er um sich her Leben haben sieht, stirbt;
und er weiß von Unsterblichkeit, er weiß von einem Ewigen und
Unendlichen."
Ja, diesen "Schritt rückwärts" in die Mutter Erde, aus der
Neues entstehen kann, diesen Schritt, den das Weizenkorn machen muß,
um Brot des Lebens zu werden, - wagen wir ihn? Dieses Kleinwerden, tun
wir es freiwillig - um nicht alleine zu bleiben, um das Leben zu
gewinnen
und Frucht zu tragen, viel Frucht, wie Jesus sagt?
Ich möchte ein Beispiel aus der Geschichte anfügen, dem etwas
Archetypisches innewohnt: In einem Gasthof - es ist der Vorabend zur
Eröffnung
des Reichstages anno 1530 in Augsburg - sitzen drei Ratsherren der
Stadt
bei einem edlen Tropfen. Ihr Gespräch kreist um den morgigen Tag und
den jungen Kaiser Karl, den sie noch nie gesehen haben. Wie er aussehen
werde, ob er über ein typisches Habsburger Gesicht mit einer Adlernase
verfüge, wie sein Wesen und die Art seines Auftretens sein mögen...
Intensiv im Gespräch versunken beachten sie nicht, daß ein Fremder
in einem unauffälligen Reisegewand den Raum betritt und still für
sich an einem Tisch Platz nimmt. Als im immer lauter werdenden Gespräch
der Name Karl V. fällt, steht der Unbekannte auf, geht auf die
Ratsherren
zu und sagt schlicht: "Kaiser Karl V., das bin ich."
So kommt auch Christus in unser Leben hinein. Einfach, still, unbemerkt
ist er unter uns. Und dort, wo wir den "Schritt rückwärts" tun,
wo wir verzichten auf das, was uns weder zusteht noch bleibt, wo wir
das
Kleid der Vergänglichkeit wegwerfen und das Gewand der Ewigkeit
anziehen,
dort leben wir mit Christus. Dort gibt´s "Osterspuren" mitten in
unserem grauen Alltag, der farbig und hell wird:
"Wo einer dem andern neu vertraut
und mit ihm eine Brücke baut,
um Haß und Feindschaft zu überwinden
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer am Ende nicht verzagt
und einen neuen Anfang wagt,
um Leid und Trauer zu überwinden
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer im Dunkeln nicht verstummt,
sondern das Lied der Hoffnung summt,
um Todesstille zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer das Unrecht beim Namen nennt
und sich zu seiner Schuld bekennt,
um das Vergessen zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer das Unbequeme wagt
und offen seine Meinung sagt,
um Schein und Lüge zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer gegen die Strömung schwimmt
und fremde Lasten auf sich nimmt,
um Not und Leiden zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer dich aus der Trägheit weckt
und einen Weg mit dir entdeckt,
um hohe Mauern zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden."
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