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Glückliches Menschenherz!
NACHPREDIGTEN ZU HEINRICH LANG


Das neue Leben


"Die Frau, wenn sie gebiert, hat Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das Kind geboren hat, gedenkt sie nicht mehr der Drangsal, um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt geboren ist." 
(Johannes 16,21)

Manchmal drücken Sorgen auf unser Herz: 
Es gilt Abschied zu nehmen von einem Menschen, den wir so sehr geliebt haben und der eine schmerzliche Lücke unter uns hinterläßt.
Es gilt fertig zu werden mit einer Krankheit, die ungerufen gekommen ist und die uns in der Bewegungsfreiheit und den Entfaltungsmöglichkeiten empfindlich einschränken will. 
Es gilt einen Lebensberg zu erklimmen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die uns die Sicht in die Zukunft versperren und die Freude am Leben zu rauben drohen. 
Es gilt, Schuld und Selbstvorwürfe abzutragen, die unsere Lebenskraft aufzehren und den Lebenssaft austrocknen möchten.
Nicht selten stellen sich solche Aufgaben der Seele nicht schön einzeln nacheinander, sondern gehäuft und miteinander. Und wenn wir uns so richtig verstrickt haben im Dickicht des Lebens und uns das Wasser bis zum Halse steht, dann möchten wir doch aus dem tiefsten Herzensgrund heraus wissen: Ist ein neues Leben möglich?
Ja, es ist! Aber wie? Heinrich Lang verweist auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn und auf dessen Umkehr, und er meint: "Als wir den Sünder auf diesem Punkte sahen, konnten wir nicht umhin, uns aus vollem Herzen für ihn zu freuen und ihm zuzurufen: Glück zu, du bist auf dem rechten Wege! - Aber wie? Haben wir uns nicht etwa zu früh gefreut? War es nicht voreilig, ihm Glück zu wünschen auf seinen Weg? Wird er wieder in den vollen Besitz seiner früheren Kindesrechte eingesetzt werden, oder wird er zum Lohnarbeiter herabgesetzt werden? Wird auf den Schmerzensschrei seiner Seele: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen? auch eine Stimme antworten: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. - Wird der Geist, der sich nach langen Irrgängen auf sich selbst wieder besinnt, seine Schätze wieder alle finden? Gibt es eine Sündenvergebung? Gibt es eine Rechtfertigung?" 
Ja, es gibt sie. Sonst würde das Evangelium nicht Frohbotschaft heißen, sonst wäre Jesus nicht gekommen, um Sündern nachzugehen und sie zu retten! Es gibt die Vergebung, es gibt den Neuanfang. - Ohne Schmerzen geht es aber nicht ab. Man kann dies mit einer Geburt vergleichen, die der Geist wirkt, und deren Freude danach die alten Schmerzen vergessen läßt.

Lassen wir den Prediger des 19. Jahrhunderts weiter erzählen: "Eine Mutter, wenn sie geboren hat, denkt sie ja auch nicht mehr an die Angst ob der Freude, daß der Mensch zur Welt geboren ist. Und ein Schiffer, wenn der Sturm überstanden ist und er wieder daheim ist bei Frau und Kind, hat alle Not des Meeres vergessen. Ebenso der Menschengeist: Wenn er sich wieder auf sich selbst besinnt, nachdem er sich eine Zeit lang in der Welt verloren hatte und wieder einkehrt in seiner ewigen Heimat und da alle seine Schätze noch unversehrt wiederfindet, o! da ist die Freude überschwenglich, das Leid ist vergessen. - Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden. - Das ist das tiefe Geheimnis des Geistes, das ist die wunderbare Siegeskraft, die ihm über die Sinnlichkeit verliehen ist, daß er, zusammengesunken gleichsam zu einem kleinen Fünklein, wieder hervorbrechen und als verzehrende und erwärmende Flamme das Unheilige auffressen und das Erstorbene beleben kann. Daher finden wir die Erfahrung, die Jesus in dem Beispiel des verlorenen Sohnes so einfach groß uns vor die Augen stellt, nicht selten im Leben bestätigt, daß Menschen, die sich mit der ganzen Glut ihrer Leidenschaft an die Sünde hingegeben hatten, hernach die mutigsten Helden im Kampf für das Gottesreich geworden sind. O große, selige Zeit, wenn der Sohn den Vater wiederfindet und die Freude der wiedergewonnenen Kindesrechte sogar noch tiefer empfindet, als wenn er sie nie verloren hätte!" 
Das ist das Unglaubliche und Schöne, daß die Seele nach der schmerzhaft durchgestandenen Erschütterung und der wiedergefundenen Seligkeit nur umso dankbarer für die Freude in Gott und umso überzeugter von seiner Barmherzigkeit sein kann! Was ehedem selbstverständlich war, ist es nun nicht mehr. Wir wissen es zu schätzen, zu genießen und haben den Mut, darüber zu reden und diesen unseren wiedergefundenen Schatz anderen zu zeigen. Der Irrweg, auf dem wir uns verloren haben, ist kein verlorener Weg; und die Zeit, die wir brauchten, ihn zu gehen, ist keine verlorene Zeit. Nur wir selbst waren verloren. Aber wir sind wiedergefunden, wir sind frei! Das ist Grund genug zum Fest, zum Fest des Lebens. Man kann das Leben als ein Fest begreifen, das ja auch seine Vorbereitungszeit, seine Anstrengungen, seine Überlegungen braucht, das ja auch seinen Höhepunkt hat, wo es schön ist, ein Fest, das seinen Ausklang kennt und dessen Aufräumarbeiten am Schluß auch dazugehören. Das Leben mit Gott ist ein solches Fest, ein Fest, bei dem wir im innersten Grunde unseres Sehnens nicht fehlen wollen, ein Fest, bei dem wir dabei sein möchten und das wir mitmachen und mitgestalten wollen. Das Leben ist ein Fest, das uns verändert und wandelt, das uns leiden und reifen läßt, ein Erntefest, das seine Vorarbeit, aber auch seine Üppigkeit und Fülle kennt, ein Fest, an dem jeder teilhaben möchte und von dem wir niemanden ausschließen dürfen. 

Auf das Bild von der Geburt hat sich der französische Fliegerdichter Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944) in seinem Werk "Die Stadt in der Wüste" interessanterweise bezogen. Es dreht sich dort auch um den alten und den neuen, wiedergeborenen Menschen: "Ich sagte ihnen also: Schämt ihr euch nicht eures Hasses, eurer Zwietracht, eures Zornes? Denn wenn ihr erneuert aus dem Abenteuer hervorgeht - wie das Kind aus dem zerrissenen Schoß, wie das geflügelte Insekt, das sich durch das Zerreißen seiner Puppe verschönte -, wie könnt ihr dann etwas um des Gestrigen willen erlangen und euch dabei auf Wahrheiten berufen, die alle ihren Gehalt verloren haben? Denn durch die Erfahrung belehrt, habe ich die Streitenden, die sich zerfleischen, stets mit der blutigen Heimsuchung der Liebe verglichen. Und die Frucht, die daraus hervorgeht, gehört weder dem einen noch dem anderen, sondern beiden. Und sie beherrscht sie. Und sie werden sich in ihrem Zeichen versöhnen... Gewiß leiden sie unter den Schrecken der Geburt. Wenn aber der Schrecken vergangen ist, kommt die Stunde des Festes. Und durch das Neugeborene finden sie wieder zueinander." 
Wenn wir den Ruf der Wahrheit hören oder eine Regung der Umkehr wahrnehmen, wenn die Liebe sich meldet und eine Versöhnungsbereitschaft sich anzeigt, dann sollen wir dem Wink des Herzens folgen. Es lohnt sich. Wir können neue Menschen werden. Wir können uns gegen das Böse stemmen und gar den Tod überwinden. Die Seele muß keine Altlasten pflegen. Sie darf und will sich nach vorne, der Zukunft entgegen, orientieren. Nur die Angst hält fest, nur die Angst. Das muß nicht sein. "Sobald der Mensch ohne Schein und Heuchelei mit seinem ganzen Wesen dem Wahren und Guten sich zuwendet", sagt Lang weiter, "da ist er ausgesöhnt in den Augen desjenigen, vor dem ein Tag ist wie tausend Jahre... Darum wohlan! hast du den falschen Weg erkannt, frisch und ohne Zagen auf die neue Bahn getreten! Nage nicht lange an deinem eigenen Schmerz, gräme dich nicht zu viel wegen des Vergangenen, winde dich nicht lange in deinen Bußschmerzen, sondern stehe schnell auf und wandle freudig deines Weges! Das Leben ist kurz, und das Gottesreich verlangt mutige Kämpfer."
Gewiß war die Zeit, in welche diese Worte hineingepredigt wurden, anders als heute. Es ist in unserer Zeit viel schwieriger, mit heiler Haut davonzukommen. Wir sind Teilhaber einer kollektiven Schuld gegenüber der Schöpfung, die geschunden, und gegenüber den armen Ländern, die ausgebeutet werden. Aus dieser Verantwortung können wir uns nicht so leicht hinausstehlen. Aber: Griesgram bringt´s auch nicht! Gott möchte auf´s Ganze gesehen aufgestellte Menschen, die mit ihrem Lächeln Licht ins Dunkel der Welt werfen. 

So wie es Therese von Lisieux (1873-1897) gemacht hat. Mit zehn Jahren verkraftete die kleine Französin aus der Normandie den Klostereintritt ihrer älteren Schwester nicht, die ihr bis dahin die frühverstorbene Mutter ersetzt hatte. Das löste im Mädchen längere Anfälle von Ohnmachtszuständen aus; im Nachhinein glaubte man, die Krankheit Veitstanz diagnostizieren zu können. Die Ärzte vermochten nichts mehr auszurichten. Therese lag auf den Tod krank. Bereits zweifelte man an ihrem Aufkommen, als sie von einer Vision überwältigt wurde. In ihrem Zimmer befand sich eine Statue von Maria, die sich vor den fiebernden Augen der kleinen Patientin mit einemmal belebte und auf sie zuschritt. Die Muttergottes war unbeschreiblich schön, und ihr Gesicht strahlte in unaussprechlicher Milde, Güte und Zärtlichkeit. Aber was Therese bis ins Innerste ihrer Seele ergriff, war ihr entzückendes Lächeln! Dieses Erlebnis versetzte sie in einen dermassen überglücklichen Zustand, daß sie auf der Stelle gesundete, was im Hause als Wunder empfunden wurde. Das Geheimnis besteht im Lächeln, das die sonst eher traurige Therese dann angenommen hat. Mit diesem sanften, königlichen Lächeln aus der Seele heraus hat sie fortan alles Finstere besiegt. Sie war fest davon überzeugt, daß der letzte Wille Gottes auf die Freude abzielt. 

Was aber, wenn einer oder eine noch daran zweifelt, ob er oder sie mit Gott versöhnt und neu leben darf? Was, wenn jemand noch nicht sicher ist, ob er oder sie das Lächeln der Therese von Lisieux annehmen darf? Wer gibt uns da Sicherheit? Wer sagt uns: Das darfst du? Diese Frage beantwortet Heinrich Lang so: "Vielleicht fragt der Eine oder der Andere: Woran merke ich, daß ich mit Gott versöhnt bin? - Mein lieber Mitchrist! Das kann dir in der ganzen, weiten Welt niemand versichern als du selbst. Und wenn du nämlich wirklich an das Gute glaubst und es liebst, auf keine andere Weise kann Friede und Versöhnung in dein Herz kommen, als wenn der neue Mensch wirklich in dir geboren und erstarkt ist. Dann ist die Lebensquelle in dir, welche die Kraft in sich trägt, die Wunden des Gemütes zu heilen und alle Flecken abzuwaschen." 
Zweifelt da noch jemand, ob er oder sie mit Gott versöhnt und durch Jesus Christus erlöst sein darf - und tun das nicht wir alle manchmal? - dann laßen wir sie doch von innen her kommen, diese Bestätigung, dieses Ja, ich darf es sein!, damit die Seele gesunden und ausheilen kann. Und laßt es uns nochmals hören, jenes: "Darum wohlan! frisch und ohne Zagen auf die neue Bahn getreten, stehe schnell auf und wandle freudig deines Weges!"