Glückliches
Menschenherz!
NACHPREDIGTEN ZU HEINRICH LANG
Wiedergeburt
"Es war aber ein Mensch aus den Pharisäern, sein Name
Nikodemus,
ein Oberster der Juden.
Dieser kam zu ihm bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, daß
du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann diese Zeichen
tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir:
Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich
Gottes nicht sehen.
Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn
er alt ist? Kann er etwa zum zweiten Male in den Leib seiner Mutter
eingehen
und geboren werden?
Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn daß
jemand aus Wasser und Geist geboren werde, so kann er nicht in das
Reich
Gottes eingehen. Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was
aus dem Geiste geboren ist, ist Geist. Verwundere dich nicht, daß
ich dir sagte: Ihr müsset von neuem geboren werden. Der Wind weht,
wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher
er kommt, und wohin er geht; also ist jeder, der aus dem Geiste geboren
ist.
Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann dies geschehen?
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du bist der Lehrer Israels und
weißt dieses nicht?"
(Johannes 3,1-10)
Der König fragte die Schlange: "Wo
kommst du her?"
"Aus den Klüften", versetzte die Schlange, "in denen das Gold
wohnt."
"Was ist herrlicher als Gold?" fragte der König.
"Das Licht", antwortete die Schlange.
"Was ist erquicklicher als Licht?" fragte jener.
"Das Gespräch", antwortete diese.
Das heisst doch: das was wir hier miteinander tun - reden -
das
ist erquicklicher als Licht, herrlicher als Gold. "Wir tun es gerade
miteinander,
lieber König", hätte die Schlange in Goethes Gespräch antworten
können. So kostbar also vermögen Gespräche zu sein: erquicklicher
als Licht, herrlicher als Gold. Das Gespräch vermag eine heilende,
ganzmachende Wirkung zu erzielen, schon nur das vertraute Gespräch
unter Freunden, in der Familie oder zwischen Menschen, die einander
wohlgesonnen
sind und die Wahrheit gern haben. Wie viel mehr gilt das für das Wort
Gottes, für das Gespräch mit Christus! Nikodemus hat es gesucht.
Er hat Jesus aufgesucht. Die zwei reden miteinander. Es ist die ganz
große
Chance da, zu einem Schatz zu kommen, der herrlicher als Gold,
erquicklicher
als Licht ist.
Und doch klemmt etwas, und zwar in hohem Masse. Irgendetwas ist ganz
komisch an diesem Gespräch. Vom Anfang bis zum Ende. Die beiden wollen
und wollen einfach nicht zueinanderfinden. Nikodemus beginnt die
Unterredung
zwar mit dem für einen Pharisäer überraschenden Bekenntnis:
"Wir wissen, daß du ein Lehrer bist, von Gott gekommen." Aber Jesus
kann damit nichts anfangen, stellt ihn in Frage, erzählt von noch
viel größeren Dingen. Und dabei bleibt´s. Mehr gibt´s
nicht. Nikodemus ist weit entfernt von Gold und Licht. Ein komisches
Gespräch,
wirklich eigenartig, merkwürdig, seltsam.
Warum eigentlich? - Der Text gibt uns die Antwort, auch ganz zu Beginn,
wenn es dort heißt: "Er kam zu ihm bei Nacht." Bei "Nacht"! - dieses
eine Wörtlein ist des Pudels Kern! Er schämt sich vor seinen
Glaubensgenossen, er geniert sich, er möchte nicht noch für einen
Anhänger Jesu gehalten werden. Er weiß auch genau, wie gefährlich
das werden kann, wie ernst es gilt. Heinrich Lang charakterisiert ihn
so:
"Wie ist er doch ein treues Bild jener halben Seelen, die zwar dem
Neuen
und Besseren im Stillen huldigen, aber aus tausend Weltrücksichten
am Alten hängen, ein Bild jener Lauen, welche die Wahrheit kennen
und doch nicht wagen, für dieselbe einzustehen; jener Unentschiedenen,
die immer auf beiden Seiten hinken und es weder mit Gott noch mit der
Welt
ganz verderben wollen! Ein Mensch, der dem Guten offen und entschieden
entgegentritt, kann umgewandelt werden, ein Saulus kann ein Paulus
werden;
aber können solche halbe Seelen auch noch ganze und entschiedene
werden?
Kann ein Lauer noch ein warmer Freund der Wahrheit werden?"
Ja, "er kam zu ihm bei Nacht". Er bekannte sich eben trotz der
einleitenden
Worte nicht zu Jesus. Und das ist es, was klemmt. Er ist noch nicht
einmal
im Licht, wie soll dann das Gespräch etwas bringen? Darum sagt Jesus
(sinngemäß) zu ihm - und immer wieder auch zu uns: Schau, du
mußt von neuem geboren werden. Du hast erst die natürliche Geburt
hinter dir und bist ein natürlicher Mensch. Du schielst auf beide
Seiten. Mach den Sprung, schau´s geistig an. Hebe diesen Schatz,
und laß den alten fahren. Es ist nicht schade um ihn. Der Gewinn
ist viel größer. Werde ein geistiger Mensch, der das Unvergängliche
sieht.
Das ist die Chance der Nacht, der Dunkelheit in unserem Leben - wenn
wir sie wahrnehmen, wenn wir sie merken und nicht noch den Eindruck
haben:
"Wir wissen" es ... - das ist die Chance, daß wir zu einem neuen
Leben im Geist wiedergeboren werden können, in den neuen Tag unseres
Lebens hinein, in dem wir uns fröhlich zu Christus bekennen und dieses
Bekenntnis leben dürfen, auch wenn es uns sichtbare Nachteile bringt.
Der Gewinn ist herrlicher als das Gold, das wir kaufen, und
erquicklicher
als das Licht, das wir sehen können! Daß sich das weltfremd
anhört, war auch Heinrich Lang klar:
"Das eigentliche Wesen der Religion ist den natürlichen
Menschen
eine Torheit, das ganze Christentum ein Geheimnis und ein unlösbares
Rätsel. Der Gekreuzigte das Leben der Welt, der Unterdrückte
ein Sieger, der zur Hölle Gefahrene zugleich der zum Himmel Erhobene
... Das Tiefste in der Religion kann eigentlich am wenigsten erklärt
und mit Worten erreicht werden, das Christentum lässt keinem sich
beweisen und keinem ins Herz gießen. Es will eben inwendig erlebt
und erfahren sein. So stellt der Künstler ein schönes Werk, ein
Gemälde vor die Augen der Welt ohne Beweis und Erklärung und
sagt nur: Da steht es, schaut es an! Und alle, die Sinn für das Schöne
haben, bewundern es und freuen sich. Und so stellt auch Christus seine
Worte des ewigen Lebens einfach, ohne vielen Beweis hin und vertraut
auf
die verwandte Menschenseele, die ihnen Beistimmung geben werde. Dem
fleischlichen
Menschen sind sie eine Torheit, dem geistigen aber Worte des ewigen
Lebens.
Denn was vom Fleische geboren ist, das ist Fleisch, und was vom Geiste
geboren ist, das ist Geist."
Das bedeutet nicht, daß wir Christen weltfremd sind. Hören
wir nochmals auf die historischen Predigtworte:
"Der geistige, wiedergeborene Mensch zieht sich nicht von der Welt
zurück. Er hat auch ein Auge für die Schönheit der Erde,
auch ein Herz für die Freuden der Welt, er kann auch fröhlich
sein mit den Fröhlichen, sucht auch seinen Nutzen zu fördern
und seinen Schaden zu wenden, will für sich und die Seinigen auch
Glück und Wohlstand gründen. Er tut dieselben Werke und Geschäfte
wie der fleischliche Mensch, aber mit anderem Sinn und Geist, es hat
alles
ein anderes Gepräge. Sein Sinn ist in allem, was er tut, denkt und
liebt, nur einfach und schlicht auf das Gute gerichtet, und wo das Gute
mit der Lust oder dem Nutzen streitet, da läßt er Lust und Nutzen
fahren und hält mutig und treu am Guten fest."
Er hält am Glauben fest, aber er hält nicht Menschen fest,
und er hält nicht das Leben fest. Er nagelt nicht fest, und er läßt
sich selber auch nicht festnageln. Jesus sagte zu Nikodemus mit einem
recht
feinen aber ebenso klaren Bild: "Der Wind weht, wo er will, und du
hörst
sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt, und wohin er geht;
also ist jeder, der aus dem Geiste geboren ist."
Diese Freiheit, diese Zartheit und auch Kraft hat einmal ein Politiker
mit unglaublicher Behendigkeit und Stärke mit wenigen Worten
beschrieben.
Es war der Schwede Dag Hammarskjöld (1905-1961), der
UNO-Generalsekretär,
nach seinem Tod im Jahre 1961 mit dem Friedensnobelpreis bedacht wurde.
Ich möchte diese Worte, die wie Lichtstreifen in der Weltkarte wirken,
jetzt lesen:
"Der Wind bläst, wo er will -
Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.
Und das Licht scheint in der Finsternis,
Und die Finsternisse haben es nicht begriffen. -
Wie Wind. - In ihm, mit ihm, von ihm.
Von ihm - wie das Segel, so leicht und stark,
daß, wenn es sich niederbeugt,
es alle Kraft des Windes sammelt, ohne seinen Lauf zu hemmen.
Wie Licht. - Im Licht, durchleuchtet, verwandelt zu Licht.
Wie die Linse, die im Licht verschwindet,
indem sie es sammelt zu neuer Kraft.
Wie Wind. Wie Licht.
Nur dieses - auf diesen Weiten, diesen Höhen."
Wenn uns dieser Wind anrührt - mit einemmal, mitten im Leben,
meist,
wenn wir es nicht erwarten - und wenn uns dieses Licht aufscheint -
zuerst
flackernd, dann immer stärker -, dann werden wir gewandelt, dann tut
sich die neue Geburt. Dann suchen wir Jesus bei Tage auf, und er kommt
in unseren Tag hinein, in unser Leben hinein. Und es wird neu. Unsere
Liebe
zu ihm ist entzündet, sein Licht leuchtet uns bei Tage, und es tröstet
uns in der Nacht, weil uns das innere Licht aufgehen durfte. Das ist
die
Wiedergeburt, die der Geist wirkt. Und wir merken: Gott hat mit uns
gesprochen.
Es war ein freies Gespräch, unbelastet von Unsicherheit. Ein Gespräch,
das Früchte trägt, die ins ewige Leben hineinnähren. Ein
Schatz, der uns nicht mehr genommen werden kann und an dem wir
festhalten,
bis er unverbrüchlich verewigt ist.
last update: 31.08.2015
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