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Predigt vom 1. Advent,
den 27. November 2011, in der Kapelle St. Anna, Zürich
Von Pfarrer Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche, Zürich Reisen und bekennen Predigttext: 5. Mose 26,5-9 "Dann sollst du bekennen und vor dem Herrn, deinem Gott, sprechen: Ein verlorener Aramäer war mein Vater, und er zog hinab nach Ägypten und blieb dort als Fremder mit wenigen Leuten, und dort wurde er zu einer grossen, starken und zahlreichen Nation. Die Ägypter aber behandelten uns schlecht und unterdrückten uns und auferlegten uns harte Arbeit. Da schrien wir zum Herrn, dem Gott unserer Vorfahren, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Unterdrückung, unsere Mühsal und unsere Bedrängnis. Und der Herr führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, mit grossen und furchterregenden Taten, mit Zeichen und Wundern, und er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, in dem Milch und Honig fliessen." Liebe Gemeinde Bei der Tramhaltestelle fällt mein Blick auf die Anzeigetafel. Ich möchte gerne wissen, wann mein Tram kommt. Neben mir ein Mann, der dasselbe macht. „Wir haben es gut in Zürich, das Tram wird schon kommen!“ stellen wir beide fest. So kommen wir ins Gespräch miteinander, und wir steigen ins selbe Tram und setzen unser angeregtes Gespräch fort. Wir reden über den Glauben. Da zeigt mir mein Gegenüber mit leuchtenden Augen das hebräisch abgefasste Reisegebet, das er immer in seiner Brieftasche mit sich trägt. Wie schön! Auch im Tram und überall, wo der Mann hingeht, hat er diese Worte seines Glaubens immer bei sich. Wie sinnig! Überall in steter Verbindung mit Gott. Ich bin tief beeindruckt. Bevor wir uns trennen, lächelt der Mann und sagt mir, diese Worte könne ich in jedem jüdischen Gebetsbuch finden. Ein solches liegt in der Kirche von Sihlcity, wo ich arbeite und wo Menschen jeder Herkunft willkommen sind, auf, geht es mir durch den Kopf, und ich schaue in der Kapelle nach, ob ich das Reisegebet finde. Tatsächlich, und es beginnt so: Aufnahme: Jakob Vetsch, 27. Oktober 2011 "Möge es wohlgefällig vor dir sein, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, uns in Frieden zu geleiten, uns in Frieden dahinschreiten zu lassen, uns zu stützen und zum Ziele unseres Wunsches zu führen zum Leben, zur Freude und zum Frieden (und lass uns in Frieden in unser Haus heimkehren), rette uns aus der Hand jedes Feindes und Wegelagerers und aus allen Arten von Heimsuchung, die oft plötzlich auftreten. Schicke Segen in das Werk unserer Hände und lass uns Gunst, Gnade und Erbarmen finden in deinen Augen und den Augen aller, die uns sehen, und erhöre die Stimme unseres Flehens, denn du, o Gott, erhörst das Gebet und bist gnädig..." Oh, da ist ja so vieles dabei, was wir gehetzten Christen, im Bemühen, ein gutes Werk zu verrichten und die Arbeit zu tun, ganz ausblenden und oft völlig vergessen! Wenn wir zu unseren Wurzeln zurückgehen und daran denken, dass Jesus ein Jude war und gesagt hat, vom Gesetz soll kein Jota vergehen (Matthäus 5,18), dann kann das ganz heilsam für das Fortschreiten im Leben und im Glauben sein, auch in unserem ganz persönlichen. Besonders beeindrucken mich die Formulierungen, dass Gott uns zum Leben führen möge und dass er uns Gnade finden lasse, in seinen Augen und in den Augen aller, die uns sehen! Also das ist dann schon etwas ganz Grosses und Schönes, unerhört. So rigoros dürfen wir beten. Bis hin zur guten Rückkehr in Frieden in unsere Wohnung. Einfach prächtig, wie wir uns da behütet fühlen dürfen! Wie steht es denn mit Reisen, geht es mir durch den Kopf, ah, ja, es gibt doch das sehr alte kleine geschichtliche Credo im 5. Buch Mose 26,5-11, wie hiess es da noch? "Ein verlorener (in der früheren Zürcher Bibel: "ein umherirrender"!) Aramäer war mein Vater, und er zog hinab nach Ägypten und blieb dort als ein Fremder mit wenigen Leuten, und dort wurde er zu einer grossen, starken und zahlreichen Nation. Die Ägypter aber behandelten uns schlecht und unterdrückten uns und auferlegten uns harte Arbeit. Da schrien wir zum Herrn, dem Gott unserer Vorfahren, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Unterdrückung, unsere Mühsal und unsere Bedrängnis. Und der Herr führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, mit grossen und furchterregenden Taten, mit Zeichen und Wundern, und er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, in dem Milch und Honig fliessen." Sie schrien zum Herrn und sie durften Befreiung erleben und waren dankbar. In diesen Tagen erreichen uns wieder Berichte von Arbeitssklaven in Straflagern in China, dem weltweit grössten Exporteuer von Waren. Ein grosser Teil der Waren kommt nach Europa und Amerika. In diesen Lagern arbeiten auch Christen, die wegen ihres Glaubens inhaftiert sind (Tages-Anzeiger Online-Ausgabe, 25.11.2011). Hören wir ihre Schreie? Ich habe mich dabei ertappt, dass ich das dann doch recht schnell weggelegt habe. Es hat ja mit Wirtschaft und Politik zu tun. Das war damals in Ägypten aber auch so. „Und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Unterdrückung... Und er führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand...“ Nehmen wir das wahr? Und dann diese Dankbarkeit! Unser Text geht ja noch weiter (5. Mose 26,10-11): "Und nun sieh, ich bringe die erste Ernte von den Früchten des Bodens, den du, Herr, mir gegeben hast. – Und du sollst sie vor den Herrn, deinen Gott, legen und dich niederwerfen vor dem Herrn, deinem Gott, und sollst dich freuen über all das Gute, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Haus gegeben hat, du und der Levit und der Fremde bei dir." Köstlich! Grad alle sollen sich freuen, der Fremde auch noch, und diesen Erntedank feiern! Das ist ja so konkret, so praktisch. Ja, Reisen, die befreien. Reisen, auf denen wir behütet sind. Reisen, die dem Leben entgegen gehen und die in Frieden beendet werden. Reisen, auf denen Gott und die Welt uns entgegen lächeln und die uns seine unendlich grosse Gnade und Güte zeigen. Ich denke an die Wanderungen Jesu. Ich denke an Wallfahrten. Aber auch an die kleine Reise im Tram, wo ich das Reisegebet gesehen habe. Ich denke aber auch an unsere Lebensreise. Und an die Reise durch diese Adventszeit, wo uns die grosse Gnade und Güte Gottes in Jesus Christus mit solcher Fülle entgegen kommt, dass wir es herausschreien sollten: „Du sollst dich niederwerfen vor dem Herrn und sollst dich freuen über all das Gute ... du, und der Levit und der Fremde bei dir!“ Das gilt uns, dir und mir und uns als Gemeinde, uns als Christen, aber es soll allen Menschen und der ganzen Schöpfung zugute kommen, auch dem Levit und dem Fremden, der bei dir ist. Christ sein heisst nicht einfach "I and my salvation" (Ich und meine Rettung). Das ist erst der senkrechte Balken des Kreuzes. Es gibt eben auch den waagrechten Balken, und beide zusammen machen das Kreuz aus. Die Gemeinschaft, die Gemeinde, und der Nächste, der ein Kind Gottes ist wie du und ich. Wo einer der beiden Kreuzesbalken verkümmert, leidet das Gleichgewicht, und das Heil will sich nicht richtig einstellen. Der Frieden ist in Gefahr. Das Christkind wird nicht in eine heile Welt hineingeboren. Aber wir haben es gesehen, und das ist nun eine geistliche, ewige Freude, die uns nicht genommen werden kann. Das besingen wir in diesen Tagen von Advent und Weihnachten. Der Weihnachtsfestkreis dauert bis 6. Januar, dem Erscheinen der drei Könige. Wir reisen durch diese Zeit, und wir lassen Gott neu einkehren in unseren Herzen. Wir lassen ihn auch zu uns reisen und uns besuchen. Unterwegs sein durch Gegend und Zeit, da wollen mir die Verse von Adolf Maurer in den Sinn kommen: "Herr, du weisst, wie arm wir
wandern
durch die Gassen dieser Welt, wenn der Glanz von einer andern nicht auf unsre Schritte fällt. Leuchte du mit deinem Schein in die dunkle Welt hinein! Herr, du weisst, wie leicht wir sinken auf den Wegstein müd und schwach, wenn nicht deine Sterne blinken und uns sagen: Du bist wach! Leuchte drum mit deinem Schein in die dunkle Welt hinein!" Durch Jesus Christus. Amen. Sammlungsgebet Guter Gott Oft wollten wir gut ankommen – allerdings bei den Menschen und weniger am Ziel des Lebensweges und bei dir. Das ist uns leid und wir bitten dich um Vergebung für alles irre Geleitete in unserem Leben. Oft sehen wir bei den andern Menschen besser, was zu tun wäre und wo sie falsch liegen. Das bedauern wir und wir bitten dich um Vergebung für das Misstrauen anderen gegenüber und die mangelnde Bereitschaft an uns selbst zu arbeiten. Oft setzen wir uns selbst in den Vorteil und andere in den Nachteil, auch wenn es ja nur wenig ist. Das bereuen wir und legen es dir hin um es wieder gut zu machen bei uns selbst und wo andere Menschen Schaden erlitten haben. Segne diese Stunde der Andacht mit deiner Güte und rede dein kräftigendes Wort in unsere Herzen hinein. Amen. Fürbitten Lieber Gott Wir danken dir für dein Wort auf unsere Lebensreise. Es macht uns frei, den Weg weiter zu gehen. Es stärkt uns und macht uns froh. Wir bitten dich heute ganz besonders für alle die unterwegs sind zu Fuss, mit dem Tram, dem Bus, dem Car, der S-Bahn, den Zügen, den Schiffen und den Flugzeugen – nimm sie in deinen Schutz und geleite sie, dass sie gut ankommen und wieder gut nach Hause finden. Wir bitten dich heute ganz besonders für alle die an Umbruchstellen in ihrem Leben stehen und die sich entscheiden müssen an einer Weggabelung – gib ihnen Weisheit und Stärke, das Richtige zu tun. Wir bitten dich auch für uns, o Herr, für unsere Gemeinden und für unsere Kirchen. Nimm uns in deine Obhut. Rüste uns aus mit dem, was wir brauchen. Leg deinen Segen auf uns und lass uns dem einen oder anderen Mitmenschen zum Segen werden, der du bist: "Unser Vater im Himmel..." last update: 02.11.2015 |