Rainer Maria Rilke
Wurf
Solang du
Selbstgeworfnes fängst, ist alles
Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn-;
erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,
den eine ewige Mit-Spielerin
dir zuwarf, deiner Mitte, in genau
gekonntem Schwung, in einem jener Bögen
aus Gottes großem Brücken-Bau:
erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen,
- nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar
zurückzuwerfen Kraft und Mut besäßest,
nein; wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest
und schon geworfen hättest... (wie das Jahr
die Vögel wirft, die Wandervogelschwärme,
die eine ältre junge Wärme
hinüberschleudert über Meere - ) erst
in diesem Wagnis spielst du gültig mit.
Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst
dir ihn nicht mehr. Aus deinen Händen tritt
das Meteor und rast in seine Räume...
Herbsttag
Herr: Es ist Zeit. Der
Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süsse in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat,
baut sich keines mehr;
wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird lesen, wachen, lange Briefe schreiben
und wird auf den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
last update: 10.09.2015