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Ringparabel
NATHAN
DER WEISE UND DIE RINGPARABEL
Nachdem G.E. Lessing (22.1.1729 bis 15.2.1781) durch Kabinettsbefehl die Veröffentlichung weiterer Teile aus dem Nachlass des Religionsphilosophen Herman Samuel Reimarus untersagt wurde, entwickelte er 1779 das Stück "Nathan der Weise". Zwei Jahre nach seinem Tod wurde es in Berlin uraufgeführt. Als Nathan, ein reicher Jude, von einer Reise nach Jerusalem zurückkehrt, findet er sein Haus von einen Brand beschädigt. Er erfährt, dass seine Pflegetochter von einem christlichen Tempelherrn gerettet wurde. Recha ist ein christliches Waisenkind, welches Nathan nach dem Tod seiner Frau und der eigenen sieben Söhne angenommen hat. Da es in Jerusalem nur noch einen christlichen Tempelherrn gibt, lädt Nathan diesen zu sich nach Hause ein. Alle anderen Tempelherren hat der moslemische Sultan Saladin in der Stadt nicht mehr leben lassen, nur diesen einen verschonte er, da dieser dem verschollenen Bruder des Sultans so ähnlich sieht. Doch der Tempelherr lehnt erstmals die Einladung Nathans ab. Später gelingt es Nathan jedoch noch, den Tempelherrn zu überreden. Da wünscht Sultan Saladin Nathan kennenzulernen, da er in Geldnöten ist. Während Nathan beim Sultan ist, verliebt sich der Tempelherr in Recha, will sich aber beherrschen, weil sie, wie er glaubt, eine Jüdin ist. Der Sultan fragt Nathan in einen Gespräch, welche der drei grossen Religionen die echte sei: die christliche, die jüdische oder die moslemische. Hier lässt Lessing Nathan mit der Ringparabel antworten. Lessing lehnt seine Ringparabel an Giovanni Boccaccios "Decamerone" an. Ein Mann besaß einen Zauberring, welcher den Träger vor Gott und den Menschen wohlgefällig sein ließ. Dieser Ring wurde dann immer von dem Vater auf den liebsten Sohn übertragen. Aber dann geschah es, dass ein Vater drei Söhne hatte und sie ihm alle gleich lieb waren. So wusste er nicht, welchem Sohn er den Ring vererben sollte. Jedoch versprach er jedem den Zauberring. In seiner Not schickte er den Ring zu einem Künstler und ließ zwei völlig identische Ringe nachmachen. Diese Ringe waren sich nun so ähnlich, dass er selbst sie nicht mehr auseinander halten konnte. Vor seinen Tod gab er dann jedem seiner Söhne einen dieser Ringe. Nach seinem Tod zogen die Söhne im Streit, welcher der wahre Ring wäre, vor Gericht. Der Richter aber entschied: "Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinen Ring an den Tag zu legen ..." Der Sultan gibt sich mit dieser Antwort zufrieden und lässt Nathan gehen. Der Tempelherr entschließt sich, doch noch Recha zu heiraten und fragt deswegen Nathan. Dieser aber weicht dem Tempelherrn aus und erkundet sich nach dessen Herkunft. Als sich Nathan zurückzieht, um alles mit Recha zu bereden, erfährt der Tempelherr von Daja, der christlichen Gesellschafterin von Recha, dass Recha, ohne dass sie selbst davon weiß, ein Christenmädchen ist, das Nathan einst an Kindesstatt angenommen hatte, als er bei einer Judenverfolgung seine Frau und seine Kinder verlor. Erzürnt darüber, dass eine Christin als Jüdin erzogen wurde, zieht der Tempelherr zusammen mit Recha und Nathan vor den Sultan. Dort klärt sich jedoch auf, dass beide, Recha und der Tempelherr, Geschwister sind und ihr Vater der Bruder des Sultans war. Mit diesem Schluss möchte Lessing nochmals die Lehre der Ringparabel betonen, dass alle Menschen verschiedensten Glaubens und unterschiedlichster Herkunft doch einer großen Familie angehören, nämlich der Familie der Menschen.
Nach Andreas Unkelbach auf
www.unki.de/schulcd/deutsch/lessing.htm
Vor grauen Jahren lebt' ein Mann im Osten, der einen Ring von unschätzbarem Wert aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, und hatte die geheime Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer in dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, dass ihn der Mann im Osten darum nie vom Finger ließ. Und die Verfügung traf, auf ewig ihn bei seinem Hause zu behalten? Nämlich so. Er ließ den Ring von seinen Söhnen dem geliebtesten; und setzte fest, dass dieser wiederum den Ring von seinen Söhnen dem vermache, der ihm der liebste sei; und stets der liebste, ohn' Ansehen der Geburt, in Kraft allein des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, auf einen Vater endlich von drei Söhnen; die alle drei ihm gleich gehorsam waren, die alle drei er folglich gleich zu lieben sich nicht entbrechen konnte. (...) Allein es kam zum Sterben, und der gute Vater kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort verlassen, so zu kränken. - Was zu tun? - Er sendet ihn geheim zu einem Künstler, bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, zwei andere bestellt, und weder Kosten noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, vollkommen gleich zu machen. Das gelingt dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, kann selbst der Vater seinen Musterring nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft er seine Söhne, jeden insbesondre. Gibt jedem insbesondre seinen Segen, - und seinen Ring, - und stirbt. (...) Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder mit seinem Ring, und jeder will der Fürst des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, man klagt. Umsonst. Der rechte Ring war nicht erweislich. Fast so unerweislich, als uns itzt - der rechte Glaube.
Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise, 3. Aufzug
last update: 25.08.2015 |