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Zürich-Matthäus, 23. März 2003

WIR HABEN DIESEN SCHATZ
IN IRDENEN GEFÄSSEN

Predigt von Pfarrer Jakob Vetsch

Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefässen, damit die überragende Grösse der Kraft Gott angehöre und nicht von uns stamme. In allem werden wir bedrängt, aber nicht in die Enge getrieben, in Zweifel versetzt, aber nicht in Verzweiflung, verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber nicht vernichtet; allezeit tragen wir das Sterben Jesu am Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an unsrem Leibe offenbar werde. Denn immerfort werden wir bei Leibes Leben dem Tode überliefert um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar werde an unsrem sterblichen Fleisch. Somit ist der Tod an uns wirksam, das Leben aber an euch.
2. Korinther 4,7-12

Fast entschuldigend hört er sich an, dieser berühmte Satz: "Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefässen." Wehren musste er sich auch, der ihn aussprach: Der ebenso berühmte Apostel Paulus. Er wurde verfolgt, angezweifelt und bedrängt. Nicht nur Gegner des Christentums machten ihm zu schaffen, sondern auch Konkurrenten, die eine andere Richtung vertraten. Ja, Konkurrenz gab und gibt es auch in der Verkündigung! Weil von Anfang an verschiedene Auffassungen über das Christsein, seine Grundlagen, seine Praxis und seine Auswirkungen bestanden.
Das soll und muss so sein, denn Christus selbst stellt in Frage, ist kritisch gegenüber dem hergebracht Religiösen und lässt vieles offen. Das soll und muss so sein, denn Christus erweckt zum Leben, und das Leben ist vielfältig, immer auch individuell, und es lässt sich nicht gleichschalten. Das soll und muss so sein, denn wir Christen brauchen es auch, dass wir uns gegenseitig in Frage stellen; nicht so sehr die verschiedenen Anschauungen gefährden das Christentum, sondern eher die Bequemlichkeit und die Gleichgültigkeit in geistigen Belangen, denn "der Mensch lebt nicht vom Brot allein".
Allerdings hat jedes Engagement für Christus auch seine Grenzen. Und diese Grenzen spüren wir zuerst an uns selber: Es sind unsere Kräfte, denen Grenzen gesetzt sind! Je mehr wir Christus und sein Anliegen lieben, desto stärker werden wir uns dessen bewusst. Gerne wollten wir die Christusbotschaft der Liebe und des Friedens vollkommener in unser persönliches Leben umsetzen. Gerne wollten wir in ihrem Dienst noch viel mehr für andere Menschen ausrichten. Doch wir werden uns der Grenzen eigener Möglichkeiten schmerzlich gewahr!
So erging es auch dem fleissigen Apostel des Herrn, Paulus, und wir nehmen mit Erleichterung seinen diesbezüglichen Gedankengang zur Kenntnis: Er verzweifelt an seinen Grenzen und an den Widerständen nicht, sondern sagt, das sei so, "damit die überragende Grösse der Kraft Gott angehöre und nicht von uns stamme". Das ist eine gute Sicht der Dinge: An uns Christen werden Schwächen und Fehler sichtbar, dass allein Gott die Ehre gebührt! Wir sind als Christenmenschen mit Mängeln behaftet, dass nicht das Missverständnis aufkommt, wir handelten aus eigener Kraft, sondern klar bleibt: die Kraft von Schöpfung und Erlösung, die Kraft des Lebens stammt allein aus Gott.
Von daher leuchtet er uns neu entgegen, jener einprägsame Vers: "Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefässen." Die irdenen Gefässe, das sind wir, und die sind verletzbar und zerbrechlich. Wie sagt doch der Volksmund: "Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht." Und gebrochen ist es, jenes erste kostbare irdische Gefäss, in welches Gott seinen Schatz gelegt hat, auf dass er allen Menschen offenbar würde: Jesus aus Nazareth, in dem wir Jesus Christus, unsern Herrn, erkennen!
Diese Passionszeit kann unsern Blick neu auf das Brechen und Scheitern jenes irdenen Gefässes richten, und sie kann unsern Blick neu schärfen für die Zerbrechlichkeit und das Leiden der Menschen und aller Kreatur überhaupt. Allzuvieles Leid in der grossen Welt draussen und in der kleinen Welt bei uns verursachen wir selbst, und es müsste nicht sein. Da können wir nur herzhaft um die Vergebung der Schuld bitten, unter dem Kreuz von Golgatha, und mit der Gnade Gottes neu beginnen. Eine Chance, die uns gerade durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi gegeben ist!
Hier schenkt uns der Apostel einen zweiten Gedankengang, der seinem Glaubensleben und der tiefen Wahrheit Gottes entspringt: "Allezeit tragen wir das Sterben Jesu am Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde." Versagen und Tod haben im Geistesleben nicht das letzte Wort! Sehen wir unsere Grenzen im Lichte der Grenzen Jesu, dann leuchtet uns neues Leben entgegen. Dann ist unser ganzes Leben ein einziger Weg von der Dunkelheit ans Licht, ein einziges Loslassen und Wiederempfangen, ein einziges Abstreifen von Unwesentlichem und Anziehen von Wesentlicherem.
Das ist der Schatz, den wir haben, wenngleich in irdenen Gefässen. Er ist das Evangelium, dass Gott uns entgegenkommt. Je mehr wir das Leben lassen und in seine Hände legen, desto gewisser spüren wir, dass wir es geschenkt erhalten. "Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen."
Ostern wird uns diesen Weg neu zeigen. Es ist die Freude über die Auferstehung Jesu, und als Bilder dazu die Freude der Erwachsenen über die Wiederbelebung der Natur und die Freude der Kinder über die nach angespannter Suche gefundenen süssen Ostergaben. Die Suche nach Gott ist eine Schatzsuche, und das Evangelium ist die freudige Nachricht über den Fund dieses Schatzes in der Krippe zu Bethlehem, in irdenen Gefässen, in denen er fortlebt, bis wir ihn einst ungetrübt schauen!
Zum Schluss noch ein Wort zum Weg, auf dem wir den Schatz in irdenen Gefässen tragen dürfen: Rabbi Bär von Radoschitz bat einst seinen Lehrer, den Seher von Lublin: "Weiset mir einen allgemeinen Weg zum Dienste Gottes!" Er antwortete: "Es geht nicht an, dem Menschen zu sagen, welchen Weg er gehen soll. Denn da ist ein Weg, Gott zu dienen durch Lehre, und da, durch Gebet, da, durch Fasten, und da, durch Essen. Jedermann soll wohl achten, zu welchem Weg ihn sein Herz zieht, und dann soll er sich diesen mit ganzer Kraft erwählen."
Es ist dies ein individueller Weg, den jeder für sich herausspüren darf und gezeigt bekommt. Ich wünsche uns allen dazu von Herzen Gottes Führung und Segen!


Schatzpredigten


last update: 25.08.2015