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Die magische Zahl 7

Im Banne der
Gedächtnispsychologie

sieben.jpg

Kleine Literaturarbeit bei Ph. Notter
Abteilung Angewandte Psychologie Universität Zürich
Wintersemester 2002/2003
Zürich, 21. Januar 2003, Monika Vetsch


1. Einleitung

In dieser Arbeit möchte der Autor  den Geheimnissen der Zahl 7  im Alltag und in der Wissenschaft nachgehen, besonders möchte er auf Miller und der mit ihm verbundenen Gedächtnispsychologie sowie auf die Merkfähigkeit eingehen.
Da es gemäss Anforderungen dieser Literaturarbeit die Aufgabe ist, bei einem typisch psychologischen Thema in die Tiefe zugehen, hat sich der Autor auch in Hinblick auf das Forschungsseminar auf die Gedächtnispsychologie festgelegt. Da aber auch alle Aspekte aus anderen Fächern zur magischen Zahl 7 sehr wichtig sind, spricht der Autor ihm wichtig erscheinende Themen, wenn auch nur kurz, an. Spannend ist dabei besonders der Zusammenhang von Naturwissenschaften auf der einen und Mythos, Aberglaube und ähnliches auf der anderen Seite.

2. Das Phänomen der Zahl 7

2.1 Warum ist die Zahl 7 besonders?

Ziel dieser Arbeit ist es nicht, die Frage wieso die Zahl 7 besonders ist, zu beantworten, da dies unmöglich erscheint, sondern viel eher verschiedene Phänomene und Aspekte darzulegen. Um einen Vergleich im juristischen anzustellen: ein Indizienbeweis sozusagen.
Das Hauptinteresse gilt der Frage, wieso Sieben plus minus zwei Symbole im Arbeitsgedächtnis behalten werden können, warum nicht viel mehr oder weniger sowie einige Gedächtnismodelle und Strategien darzulegen.
Von der Zahl Sieben geht nach Meinung des Autors ohne Frage eine besondere Magie, eine gewisse Gesetzmässigkeit aus. Reflektieren wir mal: Kinofilm ‚Seven’ (sieben Todsünden), ebenfalls Kino 007-James Bond, in der Märchenwelt: ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge’ sowie ‚der Wolf und die sieben Geisslein’, sieben Weltwunder, sieben Wochentage, der siebte Sinn, das verflixte siebte Ehejahr, ein Buch mit sieben Siegeln, sieben Regenbogenfarben, sieben Töne der Tonleiter, sieben Weltmeere, sieben Elemente die wir im Arbeitsgedächtnis behalten können und so weiter.
Oder in Millers Worten (1956):
What about the seven wonders of the world, the seven seas, the seven deadly sins, the seven daughters of Atlas in the Pleiades, the seven ages of man, the seven levels of hell, the seven primary colors, the seven notes of the musical scale, and the seven days of the week? What about the sevenpoint rating scale, the seven categories for absolute judgment, the seven objects in the span of attention, and the seven digits in the span of immediate memory? (S. 96).

2.2 Der Ursprung: Die Schöpfung, 7 Wochentage

"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (Die Bibel, 1985, 1 Buch Mose 1,1).
7. Tag: So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte (Die Bibel, 1985, 1 Buch Mose 1,1).
Der 7. Tag wurde also von Gott gesegnet und geheiligt. An ihm vollendete er seine Werke (Die Bibel, 1985, 1 Buch Mose Genesis 2-1). Deshalb ist die Siebenzahl nach der Väterlehre heilig (Forstner, 1982, S. 53). Die Siebenzahl wurde von jeher mit dem Begriff der Fülle verbunden. Im Alten Testament werden die beiden Worte Siebenzahl und Zahl der Fülle beziehungsweise Vollkommenheit synonym verwendet. "Die reale Grundlage dazu ist der Ablauf der Zeit in Perioden: sieben Tage machen eine volle Periode aus, die ganze Zeit kann in siebentägige Perioden gefasst werden." (Forstner, 1982, S. 52). Die Siebenzahl wird als die von Gott gewollte und geordnete Totalität bezeichnet (Forstner, 1982, S. 52).
In der Bibel spielt also die 7 eine bedeutende Rolle, um einige wenige Stellen zu nennen: bei der Arche Noah (Noah sollte von allen reinen Tieren je sieben nehmen), der Apokalypse (die siebenfach versiegelte Buchrolle, die sieben Engel mit den sieben Posaunen, das Tier mit den sieben Köpfen und die sieben Zornschalen), sowie dem Traum des Pharaos von den sieben fetten und sieben mageren Jahren verkörpert durch die sieben fetten, schönen Kühe und die sieben mageren, hässlichen Kühe (Huber, 1969, S. 146-150).

2.3 Geschichtliche Aspekte

Die Zahl 7 war im römischen Reich von grosser Bedeutung. Beispielsweise die sieben römischen Könige (Chardonnens, 1990, S. 14-17).
Auch bei den Ägyptern hatte die Zahl 7 ein besonderer Status: Die Hauptgötter, Ra und Osiris, sind von sieben Gottheiten umgeben, auch bei den Pyramiden spielt die 7 eine zentrale Rolle (Forstner, 1982, S. 52).
Entsprechend wurde die 7 von den Griechen übernommen: siebenköpfige Hydra, sieben Musen, sieben Weltwunder. Sieben ist der Ausdruck der gottgewollten Totalität (Lurker, 1987, S. 336).
"Entsprechend der Vorstellung von sieben Himmeln waren die babylonischen Tempel siebenstufig angelegt; die Woche wurde in sieben Tage eingeteilt... " (Lurker, 1987, S. 336).
Im christlichen Mittelalter sah man in der Sieben das Geheimnis des von Gott erschaffenen Menschen angedeutet. Der irdische Leib wird durch die Vier symbolisiert, die gottsuchende Seele durch die Drei. Die sieben Tugenden werden unterteilt in vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mässigung) und drei göttliche Tugenden (Glaube, Hoffnung und Liebe). Es wird daher von den sieben Gaben des heiligen Geistes gesprochen (Lurker, 1987, S. 337-338).

2.4 Die Zahl der Vollkommenheit

Die 7 gilt als die `jungfräuliche` Zahl, weil sie weder dadurch entsteht, indem man irgendeine Zahl mit einer anderen vervielfacht, noch ergibt sie mit irgendeiner Zahl multipliziert eine andere Zahl unter zehn. Sie ist also eine Primzahl. Wegen ihrer Unteilbarkeit ist sie auch vollkommen. Sie setzt sich aus vier (gerade) und drei (ungerade) zusammen und gilt daher als Symbol der Universalität. Sie wurde auch Pyramidenzahl genannt, da die Pyramide aus vier Dreiecken besteht (Forstner, 1982, S. 52-53).
Die Beobachtung der Zahl sieben in verschiedenen Naturerscheinungen, wie zum Beispiel die sieben Töne der Tonleiter oder die sieben Farben des Regenbogens, trugen auch zu ihrem Ansehen bei (Forstner, 1982, Sr. 52).
Wobei die sieben Regenbogenfarben durch die Brechkraft des Primas entstehen:

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Chardonnens, 1990, S.7

Besonders interessant erscheint dem Autor, dass die Zahl 7 in der Geschichte, in den Religionen, sowie in den Naturwissenschaften Biologie und Mathematik eine bedeutende Stellung einnimmt. Es scheint fast, als ob die Zahl 7 die Grenzen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, zwischen Vergangenheit und Zukunft zu überwinden vermag.
Sieben wurde zur Zahl der Fülle, der Vollkommenheit (Lurker, 1987, S. 336).
 

3. Definitionen und Erklärungen fürs Verständnis

Neben den vorhin dargelegten Grundlagen und Hintergründen zur Zahl 7 sind diese Definitionen ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit und enthalten viele Informationen sowie Erklärungen, welche vom Autor zum Teil mit anderen Quellen ergänzt wurden oder im weiteren Text genauer besprochen werden.

3.1 Sieben:

Sieben:
Zahl 7; <nach altem Volksglauben> glück- od. unheilbringende od. auch nur bedeutungsvolle Zahl; die böse ~ Unglückszahl [nach der alten dt. Spielkarte "7", die alle anderen stach, mit dem Bild eines alten Weibes]; sie ist eine böse ~ <fig.> ein böses Weib (Wahrig, 1993, S. 1179).
sieben:
 <Num.; in Ziffer> 7; ~ Stück; die Sieben Æ Weltwunder; die Sieben Freien Künste Æ frei; das ist mir ein Buch mit ~ Siegeln <fig.> etwas, das ich nicht verstehe; Ableitungen Æ acht (Wahrig, 1993, S. 1179).
Die Sieben soll also eine Glücks- oder Pechzahl sein. Interessant ist die Gegensätzlichkeit.
Für die Ambivalenz dieser Zahl spricht, dass es nicht nur sieben Sakramente, sondern auch sieben Todsünden gibt. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Teufel oder eine in Verruf stehende Frau auch häufig als eine ‚böse Sieben’ bezeichnet (Lurker, 1987, S. 338).
Die Sieben kann aber auch einfach so eine bedeutsame Zahl sein. Sicher ist, dass wir sie häufig antreffen, auch in Redewendungen. So zum Beispiel ‚im 7. Himmel sein’ (Chardonnens, 1990, S. 3), das ist mir ein Buch mit 7 Siegeln’ und andere.
"This number assumes a variety of disguises, being sometimes a little larger and sometimes a little smaller than usual, but never changing so much as to be unrecognizable" (Miller, 1956, S. 81).

3.2 Arbeitsgedächtnis:

ÆGedächtnis
Die Phase zwischen der Eindrucksbildung und der Reproduktion wird Behalten [Hervorhebung v. Verf.] genannt. ... Der Verlauf der Reproduktion ist wesentlich mitbestimmt durch die Verbindungen der Gedächtnisinhalte untereinander und mit dem gegenwärtigen Bewusstseinsinhalt, also durch ÆAssoziationen. In kognitivistischen Theorien werden darüber hinaus zur Erklärung der Gedächtnisprozesse andere Faktoren genannt, wie z.B. logische Beziehungen, Sinnzusammenhänge, Regeln, Einstellungen und affektive Bewertungen gemäss der emotionalen Lage. Der Vorgang der Bildung (Einprägung) von G.inhalten ist das ÆLernen ... Verbales Lernen wird mit Gedächtnis (memory) gleichgesetzt, oder die Reproduktionsfähigkeit für frische Eindrücke mit Merkfähigkeit [Hervorhebung v. Verf.] (Dorsch, 1998, S. 304).
Gedächtnis und Merkfähigkeit sind demnach nicht identisch und sollten nicht miteinander verwechselt werden.
Der Umfang des Gedächtnisses wird etwas irreführend auch als Gedächtnisspanne [Hervorhebung v. Verf.] bezeichnet (Æunmittelbares Behalten, ÆKurzspeicher). Sein Mass ist die Zahl der unmittelbar nach der Darbietung reproduzierten Einheiten (durchschnittlich 7 +/- 2 Ziffern oder unverbundene Wörter etc., jedoch sehr abhängig von vielen Faktoren der Darbietung, des Inhalts und des organismischen und psychischen Zustands). Auf der Merkfähigkeit beruht z.B. das Verstehen eines längeren Satzes (Dorsch, 1998, S. 304).

3.3 Merkfähigkeit:

Dieser Begriff wurde von C. Wernicke geprägt. Merkfähigkeit ist die Bezeichnung für die Fähigkeit, neue Eindrücke kurzfristig und unmittelbar behalten und wiedergeben zu können. Merkfähigkeit ist ein Funktionsaspekt des Gedächtnisses (Psychologie-Fachgebärdenlexikon, 2002).
Die Definition von Jäger bezeichnet zusätzlich die Art des dargelegten Materials: "Merkfähigkeit beinhaltet aktives Einprägen und kurz- oder mittelfristiges Wiedererkennen und Reproduzieren von verbalem, numerischem und figural-bildhaftem Material" (Jäger, 1984, S. 30).

4. Gedächtnismodelle

4.1 Zugrundeliegendes Paradigma

An dieser Stelle soll kurz der Ausgangspunkt und theoretische Hintergrund der Gedächtnismodelle erläutert werden.
Die kognitive Psychologie beruht auf dem Informationsverarbeitungsparadigma, deshalb geht man davon aus, dass Menschen Informationen aus der Umwelt aufnehmen ("Input"), diese verarbeiten und in einer bestimmten Art darauf reagieren ("Output"). Man betrachtet die Beziehung zwischen Input und Output und versucht die dazwischenliegenden, verarbeitenden Prozesse zu erklären (Barros Pachero Seara de Sà, 1996, S. 12).
Es wird eine Analogie zur Architektur und zu den Prozessen von Computern angenommen: Menschen bilden sich interne Repräsentationen von Sachverhalten, Ereignissen, Personen und Situationen ihrer Umwelt. Diese Information wird dann zum Gegenstand einer Folge von internen Verarbeitungsschritten. Der Begriff ‚interne Repräsentation’ ist hier zentral. Die Informationsverarbeitung braucht demnach geeignete Strukturen und Prozesse zur Aufnahme und zur Kodierung von Informationen (Spada, 1992, S. 128-129).

4.2 Modell von Shiffrin & Atkinson

Dies ist ein erstes umfassendes Modell des Gedächtnisses. Es wurde in Analogie zur Struktur und Arbeitsweise von Computern konzipiert. Die Unterscheidung mehrerer Speicher ist ein erstes Merkmal des Modells (Spada, 1992, S. 128).
Das Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin postuliert eine Einteilung in drei separate Speicher:
1. Die sensorischen Register (‚sensory register’)
2. Kurzzeitspeicher (KZG) (‚short-term store’)
3. Langzeitspeicher (LZG) (‚long-term store’)
(Shiffrin, 1968, S. 90-191)

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Shiffrin & Atkinson, 1968, S.93

Diese drei separaten Speicher werden bei der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung automatisch durchlaufen. Dabei wird das Kurzzeitgedächtnis als Arbeitsgedächtnis (AG) betrachtet, welches Informationen speichert, verarbeitet und dann ins Langzeitgedächtnis transferiert (Barros Pachero Seara de Sà, 1996, S. 13).

Ein zweites Merkmal des Mehrspeichermodells von Atkinson und Shiffrin ist, dass sie sogenannte Kontrollprozesse eingeführt haben, die willentlich einsetzbare, geistige Operationen bezeichnen (Spada, 1992, S. 128). Diese zusätzlich zu den Strukturmerkmalen postulieren Kontrollprozesse unterliegen der Kontrolle der Person und sind von Inhalten sowie Anforderungen abhängig. Somit ist das Kurzzeitgedächtnis die Grundlage unterschiedlicher kognitiver Anforderungen wie Lernen, schlussfolgerndes Denken und Verstehen (Barros Pachero Seara de Sà, 1996, S. 13).

4.3 Modell von Baddeley

Im Modell von Baddeley wird aufbauend auf den Erkenntnissen von Shiffrin und Atkinson das Kurzzeitgedächtnis noch differenzierter betrachtet.
Baddeley hat aus empirischen Befunden den Schluss gezogen, dass das Kurzzeitgedächtnis eine begrenzte Speicherkapazität hat, aber einen schnellen Input und Abruf (‚retrieval’) aus dem Langzeitgedächtnis ermöglicht. Das Langzeitgedächtnis hingegen zeichnet sich durch eine hohe Speicherkapazität und eine begrenzte Input- und Retrievalrate aus. (Barros Pachero Seara de Sà, 1996, S. 13).

sieben-baddeley.jpg
Baddeley, 1990, S.71

Bei diesem Modell kontrolliert und koordiniert ein Aufmerksamkeitssystem die Arbeit einer Reihe von Untersystemen.
Das Kontrollsystem für nichtautomatisierte Prozesse ist die zentrale Exekutive, von Baddeley ‚central executicve’ genannt. Sie besitzt eine inhaltsunabhängige, begrenzte Speicherkapazität.
Zudem werden zwei Untersysteme, die automatisierte Prozesse ausführen spezifiziert:
Erstens die artikulatorische Schleife ‚articulatory loop’ oder ‚phonological loop’ und zweitens ein visuell-räumliches System ‚visuo-spatial sketch pad’.
Dabei ist die artikulatorische Schleife für sprachbasierte Information, die visuell-räumliche Schleife für den Aufbau und Manipulation visueller Repräsentationen verantwortlich. Nach Baddeley handelt es sich um relativ unabhängige Komponenten des Arbeitsgedächtnissystems.
In diese Untersysteme kann Information durch Wahrnehmung direkt gelangen, oder indirekt durch Aufruf aus dem Langzeitgedächtnis. Die artikulatorische Schleife operiert über sprachbasierte Information während das visuell-räumliche System für den Aufbau und Manipulation visueller Repräsentationen verantwortlich ist (Barros Pachero Seara de Sà, 1996, S. 14-15).
 

5. Kapazität des Gedächtnisses

5.1 Miller

1956 publizierte Miller seine Beobachtung, dass Personen im Mittel sieben Symbole über eine kurze Zeitspanne behalten können (Barros Pachero Seara de Sà, 1996, S. 12).
Miller nimmt als Mass für Information den Informationsgehalt, welchen er mit ‚bit’ bezeichnet. Wobei ein ‚bit’ Information das Mass ist, welches benötigt wird, um ein Urteil zwischen zwei gleichartigen wahrscheinlichen Alternativen zu fällen. Zum Beispiel wenn wir entscheiden müssen, ob ein Mann grösser oder kleiner als sechs Fuss gross ist. Wenn wir also wissen, dass die Wahrscheinlichkeit fünfzig zu fünfzig brauchen wir ein ‚bit of information’. Zwei ‚bits’ Information befähigen uns zwischen vier gleichartigen wahrscheinlichen Alternativen zu entscheiden, vier ‚bits’ zwischen 16 gleichartigen wahrscheinlichen Alternativen, fünf unter zweiundreissig und so weiter. Die Regel ist simpel. Jedes Mal, wenn die Alternativen um den Faktor zwei multipliziert werden, benötigt man ein zusätzliches ‚bit’ (Miller, 1956, S. 83).
Miller untersuchte anhand von Tönen die absolut Urteile unidimensionaler Reize. Dabei entdeckte er, dass der Wert von 2,5 ‚bits’ die Kapazitätsgrenze eines Zuhörers für absolute Urteile bei Tönen darstellt. Dieser Wert entspricht sechs gleichartigen wahrscheinlichen Alternativen. Ein Zuschauer kann also nicht mehr als sechs unterschiedliche Reize beziehungsweise Töne aufnehmen ohne dass er verwirrt ist. Die meisten Leute sind, so Miller, erstaunt, dass diese kleine Zahl von sechs auditiven Reizen die Obergrenze sein soll (Miller, 1956, S. 84).
Eine sicherlich berechtigte Hypothese wäre nun, dass die Kapazität für visuelle Reize signifikant höher ist. Dies ist jedoch, wie Miller gezeigt hat nicht der Fall, die Kapazität liegt bei 3.2 ‚bits’ für sehr kurze Darbietungen und bei 3.9 ‚bits’ für längere. Das entspricht etwa acht Elementen für kurze und zehn bis fünfzehn Elementen für längere Darbietungen (Miller, 1956, S. 85-86).
Anscheinend gibt es eine Einschränkung unabhängig vom Input-Kanal. Vermutlich eine Grenze vom Nervensystem her, welche die Kapazität in einem bestimmten Rahmen hält. Es gibt also eine definierte und ziemlich kleine Kapazität, um unidimensionale Urteile zu fällen und diese Kapazität variiert nicht gross von einem sensorischen Kanal zum anderen (Miller, 1956, S. 86).
"I would propose to call this limit the span of absolute judgment, and I maintain that for unidimensional judgments this span is usually somewhere in the neigborhood of seven” (Miller, 1956, S. 90).
Miller verglich die Daten von Versuchspersonen bei Absoluturteilen mit den Daten von Untersuchungen der Gedächtnisspanne und fand, dass in beiden Reize von ähnlichem Umfang behalten werden können. Wobei er anfügt, dass Absoluturteile vom Informationsgehalt beschränkt sind und die Gedächtnisspanne von der Anzahl der Items. Aber beide Limits seien konstant. Es handelt sich entweder um ‚bits’ oder chunks (Miller, 1956, S. 91-93). ‚Bit’ ist der Informationsgehalt, das Mass für Information, Chunk hingegen ist eine Informationseinheit. "Everybody knows that there is a finite span of immediate memory and that for a lot of different kinds of test materials this span is about seven items in length " (Miller, 1956, S. 91).
Die Kapazitätsgrenzen des Kurzzeitgedächtnisses sind gegeben, weil es zu einem Zeitpunkt nur für eine begrenzte Menge von Gedächtniseinheiten möglich ist, sie durch den Prozess des Wiederholens aktiv zu halten. Wird diese Anzahl überschritten, ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu Informationsverlust durch Interferenz kommt. Deshalb gelten Untersuchungen der Gedächtnisspanne, also der fehlerfreien Wiedergabe von Inhalten nach einmaliger, sukzessiver Darbietung auch als Schätzung der Kapazität des Wiederholungs-Prozesses. Diese wird auch als ‚rehearsal span’, ‚memory span’ oder ‚immediate memory’ bezeichnet (Spada, 1992, S. 143-144).
Miller zeigt, dass sich die Experimente der Absoluturteile und die Experimente der Gedächtnisspanne ähneln, daraus folgert er, dass auch die beiden Limits beziehungsweise Kapazitätsgrenzen gleich seien. Beide liegen bei etwa sieben (Miller, 1956, S. 91-92).
‚The span of absolute judgment’ und ‚the span of immediate memory’ sind begrenzt durch die Information, welche wir aufnehmen, verarbeiten und erinnern können. Es ist aber möglich, diese Grenze durch Organisieren des Reiz-Inputs zu brechen oder zumindest zu erweitern (Miller, 1956, S. 95).
Nach Miller gibt es folgende Techniken, um diesen ‚span of immediate memory’ zu umgehen und die Anzahl Elemente von sieben zu erhöhen:
a) eine Verwandtschaft oder Beziehung herstellen anstatt ein Absoluturteil
b) die Anzahl der Dimensionen erhöhen, anhand derer die Stimuli differenziert werden können
c) die Aufgabe in eine Reihenfolge bringen, sodass eine Sequenz von mehreren Absoluturteilen der Reihe nach resultiert
(Miller, 1956, S. 90).
Deshalb erachtet Miller den Prozess des Recodierens als überaus wichtiges menschliches psychologisches Instrument (Miller, 1956, S. 95).
Solche Techniken wären zum Beispiel Chunking oder Mnemotechniken.

5.2 Chunking

"Die Bildung von neuen Informationseinheiten aus mehreren, vorher separaten Informationselementen wird als ‚chunking’ bezeichnet, das Ergebnis als ‚chunk’ (vgl. MILLER, 1956)" (Spada, 1992, S. 144).
Seit nun die Kapazitätsgrenze der Gedächtnisspanne über die Anzahl Elemente fixiert ist, können wir sie dadurch umgehen, indem wir einfach die Elemente verlängern und jedem Element oder Chunk mehr Informationen als ursprünglich aufladen. Somit erhält das Gruppieren und Organisieren des Reiz-Inputs in ‚Units’ oder Chunks grösste Wichtigkeit. Beispielsweise wenn ein Mann beginnt, radiotelegraphische Codes zu lernen, hört er jedes ‚dit’ und ‚dah’ als einen separaten Chunk, als eine Informationseinheit. Bald aber ist er in der Lage, diese Reize in Buchstaben zu organisieren und operiert mit Buchstaben als Chunks. Fast von alleine organisieren sich dann die Buchstaben zu Wörtern, welche natürlich länger als die Chunks sind, schlussendlich hört der Mann Sätze. Miller nennt diesen Vorgang Recodieren. Der Input ist als Code gegeben mit einigen Chunks und wenig ‚bits’ pro Chunk. Es gibt dann viele Wege, um diesen Input zu recodieren. Der einfachste Weg ist es wohl, die Input-Reize zu gruppieren, ihnen einen neuen Namen zu geben und sich später an diesen neuen Namen anstatt an die original Inputs zu erinnern (Miller, 1956, S. 93).
Somit kann durch Organisation von Elementen in Chunks, das heisst Teileinheiten, Ketten oder Gruppierungen eine grössere Informationsmenge im Kurzzeitgedächtnis aufgenommen werden. Sogar ohne dass die Informationen ständig wiederholt werden müssen (Psychologie-Fachgebärdenlexikon, 2002).

5.3 Mnemotechniken

Eine Mnemotechnik, welche bereits in der Antike entstand, ist die Methode des bildhaften Vorstellens.
Zwei historische Beispiele zur Methode des bildhaften Vorstellens:

sieben-mnemotechnik.jpg
Schönpflug, 1997, S. 230

Die Abbildung links zeigt eine Abtei, welche aus verschiedenen Gebäuden besteht. Innerhalb dieser Gebäude sollte man sich verschiedene charakteristische Einrichtungsgegenstände und Utensilien vorstellen, so wie in der Abbildung rechts. Damit sich neu zu merkende Gegenstände besser im Gedächtnis einprägen, sollen sie in das Abteischema eingepasst werden. So könnte man zum Beispiel um sich Bücher zu merken diese in der Bibliothek aufreihen, oder um sich Bilder zu merken diese in der Kapelle verteilen (Schönpflug, 1997, S. 230).

Auch das Verknüpfen neu einzuprägender Inhalte mit vorab gelernten Schlüsselwörtern oder formale und inhaltliche Ordnungen gehören zu den Methoden zur Steigerung des Einprägens, Behaltens und Erinnerns. Zur formalen Ordnung gehört die Bildung von Unterteilungen oder von Gruppen. So kann man zum Beispiel fürs Lernen von Ziffernfolgen Dreiergruppen bilden 8-3-4, 5-9-2, 6-8-1. Die inhaltliche Ordnung basiert hingegen vor allem auf Schemata wie Skripts für Situationen oder Erzählschemata (Schönpflug, 1997, S. 230-231).
 

6. Schlusswort

"What about the magical number seven? … For the present I propose to withhold judgment. Perhaps there is something deep and profound behind all these sevens, something just calling out for us to discover it. " (Miller, 1956, S. 96).
Nach Meinung des Autors war und ist die Zahl 7, in der Vergangenheit, Gegenwart sowie in der Zukunft stets eine magische und mystische Zahl. Ob wir jedoch den Schlüssel zu ihrem Geheimnis je finden werden, steht in den Sternen.
Kritiker könnten anmerken, dass es aber auch andere wichtige bzw. magische Zahlen gibt. Dessen ist sich der Autor voll bewusst, aber auf Grund des Umfangs dieser Arbeit und der Tatsache, dass fürs Gedächtnis vor allem die 7 wichtig ist, hat sich der Autor hier allein auf die 7 beschränkt.
 

7. Zusammenfassung

Die Zahl 7 kommt in der Gegenwart sowie Vergangenheit sehr oft in einer mystischen Weise vor. Historisch und religiös wird ihr eine sehr grosse Bedeutung zugesprochen. Auch in den Naturwissenschaften nimmt sie einen besonderen Platz ein. Mit dem berühmten Aufsatz von Miller 1956 "The magical number seven" gelang der 7 den Durchbruch in die Psychologie. In der Gedächtnispsychologie erhielt sie dank Miller einen Sonderstatus, als er entdeckte, dass die Kapazitätsgrenze von Absoluturteilen und jene der Gedächtnisspanne bei ungefähr 7 liegt. Fürs Kurzzeitgedächtnis gibt es eine obere Kapazitätsgrenze der Gedächtnisspanne von 7 plus oder minus zwei Elementen, welche vom Nervensystem her festgelegt ist. Diese Grenze kann nur durch Tricks wie Chunking, Mnemotechnik oder diverse andere Techniken umgangen beziehungsweise erweitert werden.
 

8. Literaturverzeichnis

Atkinson, R.C. & Shiffrin, R.M. (1968). Human memory: A proposed system and its control process. In K.W. Spence (Ed.), The psychology of learning and motivation: Advances in research and theory, Vol.2 (pp. 90-191). New York: Academic Press.

Baddeley, A.D. (1990). Human memory Theory and Practice. Boston: Allyn and Bacon.

Barros Pachero Seara de Sà, B. (1996). Koordination von Information und kognitiven Operationen im Arbeitsgedächtnis. Regensburg: S. Roderer.

Chardonnens, A. (1990). Magie du nombre 7. Zürich: Euvre Suisse des Lectures pour la Jeunesse, (1893), 2-26.

Die Bibel. (1985). Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft.

Dorsch (1998). Psychologisches Wörterbuch (13. überarbeitete und erweiterte Auflage). Bern: Hans Huber.

Forstner, D. OSB (1982). Die Welt der christlichen Symbole. Innsbruck: Tyrolia.

Huber, K. ; Schmid, H. (1969). Züricher Bibel-Konkordanz. Zürich: Zwingli Verlag.

Jäger, A.O. (1984). Intelligenzstrukturforschung: Konkurrierende Modelle, neue Entwicklungen, Perspektiven. Psychologische Rundschau, 35, 21-35.

Lurker, M. (1987). Wörterbuch biblischer Bilder und Symbole. München: Kösel.

Miller, G.A. (1956). The magical number seven, plus or minus two: Some limits on our capacity for processing information. Psychological Review, 63, 81-97.

Psychologie-Fachgebärdenlexikon. (2002) [On-line]. Available: http: www.sign-lang.uni-hamburg.de/Projekte/plex/PLex/Lemmata/Oberbegr/Gedaecht.htm

Schönpflug, W.; Schönpflug, U. (1997). Psychologie. Weinheim: Belz Psychologie Verlags Union.

Spada, H. (1992). Lehrbuch Allgemeine Psychologie. Bern: Hans Huber.

Wahrig, G. (1993). Deutsches Wörterbuch. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon Verlag GMBH.



last update: 04.08.2015