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Solidarität
Predigtentwurf von Pfr. Jakob Vetsch
für GREEN CROSS SCHWEIZ zum Thema SOLIDARITÄT zum 33. Tschernobyl-Jahrestag am 26. April 2019 (1986) Predigttext:
"Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Galaterbrief 6,2 Wie populär Gesetze sind, bleibe dahin gestellt; manchmal wäre man ja froh, sie würden nur für die Andern gelten... Und dann erst noch so ein neues Gesetz, einer solle des Andern Last tragen... Was geht das mich an, und vorher wollte man dann schon wissen, ob die Last des Andern nicht selbst verschuldet sei? Und doch zeigt die zunehmende Lebenserfahrung, dass es kein echtes Glück auf Kosten anderer gibt und sehr wohl Erfüllung mit garantierter Nachhaltigkeit darin gefunden werden kann, zuweilen die Last des Andern zu tragen, sei es in Beziehungen, Gemeinschaften oder auch im öffentlichen Leben. Das Gesetz Christi entpuppt sich als Vieles mehr, denn als eine reine ethische Anweisung und eine Aufforderung für den Nächsten da zu sein und ihn zu (unter)stützen. Es hat mit echtem Leben, Sinn und Glück zu tun, auch wenn es ihnen auf den ersten Blick widersprechen mag. Nicht wahr, wie hat doch einst Robert Walser in seinem "Poetenleben" phantasiert: "Freundlich sind dort die Menschen. Sie haben das schöne Bedürfnis, einander zu fragen, ob sie einander unterstützen können. Sie gehen nicht gleichgültig aneinander vorbei, aber eben so wenig belästigen sie einander. Liebevoll sind sie, aber sie sind nicht neugierig. Sie nähern sich einander, aber sie quälen einander nicht. Wer dort unglücklich ist, ist es nicht lange, und wer sich dort wohl fühlt, ist nicht dafür übermütig. (...) Wenn ein Mensch dort irgend einen Unglücklichen sieht, ist sein eigenes Glück auch bereits zerstört, denn dort, wo die Nächstenliebe wohnt, ist die Menschheit eine Familie, und es kann dort niemand glücklich sein, wenn nicht jedermann es ist. (...) Alles dient dort allem, und der Sinn der Welt geht deutlich dahin, den Schmerz zu beseitigen. Niemand will geniessen; die Folge ist, dass alle es tun. Alle wollen arm sein; hieraus folgt, dass niemand arm ist. Dort, dort ist es schön, dort möchte ich leben. Unter Menschen, die sich frei fühlen, weil sie sich beschränken, möchte ich leben. Unter Menschen, die einander achten, möchte ich leben. Unter Menschen, die keine Angst kennen, möchte ich leben." So zeichnet Walser das Bild eines menschenfreundlichen Umfeldes, rückt den Garten in den Hinter- und die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Vordergrund seiner Paradiesvorstellung. Freilich schliesst er dieses wohlgelungene Werklein mit der ernüchternden Erkenntnis: „Ich sehe wohl ein, dass ich phantasiere." Wir sind der Meinung, zumindest ein Stück dieses "Phantasierens" verwirklichen zu können. Ganz entgegen dem resignierten "Da kann man sowieso nichts tun." Es gibt heutzutage im Namen der Gerechtigkeit auch Bewegungen für eine "solidarische Zukunft". Wir sind der Meinung, zumindest ein Stück dieser "Solidarität" schon in der Gegenwart realisieren zu können. Etwa, wenn wir Frauen in kontaminierten Gebieten zur Selbsthilfe beistehen. Oder einem Kind in kriegsgeschädigter Gegend orthopädische Unterstützung verleihen. Das geschieht jetzt und ist in Echtzeit möglich, auch durch die Solidarität einzelner Menschen. "Toleranz und Solidarität sind Früchte der Liebe" schrieb einst Elmar Gruber. Zur Bibelstelle "Einer trage des andern Last" und zum Thema "Solidarität" kann die folgende Parabel aus dem nordnigerianischen Bauchi State mit seinem grossen Wildreservat eine beeindruckende Illustration bieten, über die nachzudenken es sich lohnt: Die Pferdeantilopen mit ihrem graubraunen, rötlich schimmernden Haarkleid und einer schwarz-weissen Gesichtsmarkierung weisen bei einer Schulterhöhe von 1,40 Metern ein Gewicht von 270 Kilogramm auf, und beide Geschlechter tragen stark geringelte, halbkreisförmig nach hinten geschwungene Hörner, die schwer sind. Einwohner erzählen wie diese Tiere in der Regenzeit Flussfurten durchqueren. Die Herde, welche aus fünf bis zwölf Tieren besteht, steigt in Einerkolonne ins Wasser, die stärkeren zuerst. Sodann legt jede Antilope ihren Kopf auf den Rücken des Vordertieres. Im Wasser sind ihre Körper leicht, abgesehen von den schweren Hörnern, die von den Vordertieren getragen werden. Wenn das erste Tier ermüdet, verlässt es seinen Platz an der Spitze und schliesst sich zuhinterst der Kolonne wieder an, legt seinen Kopf auf den Rücken des Vordertieres und kann dadurch ausruhen. Seinen Platz vorne nimmt nun das zweite Tier ein und zeigt der Kolonne den Weg, bis auch es erlahmt und sich hinten anstellt. Auf diese Art und Weise helfen sich die Pferdeantilopen im Verbund, gefährliche Flüsse zu überqueren, was ein Tier allein nicht schaffen würde. last update: 08.05.2019 |