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Predigt zum Sonntag, 30. März 2014 um 18 Uhr in der Wasserkirche Zürich, gehalten von Pfr. Anselm Burr

Sturmzerzaust, aber geliebt!

Jesaja 54,7-11a
"Eine kleine Weile habe ich dich verlassen, mit grossem Erbarmen aber werde ich dich sammeln. Im Auffluten der Wut habe ich mein Angesicht eine Weile vor dir verborgen, mit immerwährender Güte aber habe ich mich deiner erbarmt, spricht dein Erlöser… Denn die Berge werden weichen und die Hügel wanken, meine Gnade aber wird nicht von dir weichen und mein Friedensbund wird nicht wanken… du Gedemütigte, Sturmzerzauste, Nichtgetröstete…"

Liebe Gemeinde

1. Das ist schon ein wenig seltsam: mitten in der Passionszeit – in 3 Wochen ist Ostern! – steht der heutige 'Laetare'-Sonntag mit seiner Aufforderung: 'Freuet euch mit Jerusalem' (Jesaja 66, 10). Was könnte das bedeuten? Eine Pause auf dem ernsten Weg der Passion, damit das alles nicht zu viel und zu schwer wird? Am Gründonnerstag – (abgeleitet von "Greinen" = Weinen) – sollte man ja schliesslich auch noch mit ernster Mine ein Passionskonzert anhören können. Vielleicht spielte dieser pädagogische Gedanke bei der Einteilung der Sonntage des Kirchenjahres auch eine Rolle – mag sein. Was ich aber sehr wohl weiss ist dies: sich mit jemandem freuen – oder auch für jemanden freuen, das kann eine heilsame und die Lebensgeister stärkende Übung sein. Wenn das eigene Leben grau und eintönig ist, wenn die Glieder schwer sind und schmerzen, dann kann die Mitfreude mit dem kleine Enkel oder dem Göttichind wie ein Therapeutikum wirken.
Sage keiner, das gäbe es heute nicht mehr und alle dächten nur an sich selbst. Das ist einfach nicht wahr – es ist eine pessimistische Verleumdung. Vielleicht ist die Mitfreude in der Kirche nicht sonderlich aktuell. Zu sehr ist sie mit ihren (oft hausgemachten) Problemen beschäftigt – oder sie fühlt sich zum Mahner der Weltübel berufen. Aber seht euch die allgegenwärtige Fan-Kultur an: Tausende jubeln derzeit in den Eisarenas der Sportclubs ihren 'Helden' zu und freuen sich, wenn die Mannschaft wieder eine Rund weiter ist. Schon jetzt haben sich die Fans Eintrittskarten für das Cup-Endspiel in Bern besorgt – auch wenn es erst Ostermontag ausgetragen wird. Freude und Vorfreude für und mit anderen…das schafft Begeisterung und setzt Kräfte frei. Der eigene graue Alltag wird so erträglicher….
Selbst als Christen geht es uns so: wir Reformierten stöhnen ja momentan eher über den endlos mühsamen Reformprozess, der anscheinend nicht vom Fleck kommen will. Pfarrerinnen und Pfarrer fürchten die Kürzung ihrer Stellenprozente oder ihres Lohns. Kirchgemeinden wollen lieber nicht zu viel Neuerungen und Zusammenarbeitsverträge mit den Nachbargemeinden eingehen. Da tut es uns Reformierten zur Abwechslung gut, wenn wir uns mit den Katholiken über ihren neuen Papst freuen. Seit einem Jahr erst im Amt, hat die Tonart deutlich gewechselt. Die Freude über diesen Aufbruch der Schwesterkirche, könnte uns – mitten in der Passionszeit der Reform – neuen Mut verleihen.

2. Jesaja mutet den Israeliten mitten im tiefsten Elend – sie sind als Kriegsbeute nach Babylon entführt worden und leisten dort Frondienste – er mutet ihnen im Namen Gottes zu: "Den Raum deines Zeltes mach weit…"  Nicht sparen! Die Grenzen nach links und rechts ausweiten! An die Zukunft glauben, an Wachstum, an eine neue Generation, an die bald unter ihnen heranwachsenden Jungen und ihr Leben!
Ich glaube nicht, dass Jesaja damit dem grenzenlosen Wachstum das Wort redet. Ich glaube nicht, dass mit diesen Worten zu rechtfertigen ist, was das heutige Israel gegenüber den Palästinensern in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes tut. Aber, es gibt selbst in Europa genügend Gegenden, die sich in den letzten Jahren entvölkert haben. Es gibt weltweit die Flucht vom Land in die Städte. Es gibt die Abwanderung und Versteppung früher blühender Landschaften, weil die Menschen lieber den Verlockungen des schnellen Geldes folgen, als dass sie sich den unsicheren und mühseligen Bedingungen des Lebens weiter aussetzen.
Verantwortungsvolle Politik sollte mit gezielten Massnahmen und Anreizen jedenfalls diesen weltweiten Tendenzen entgegenwirken. Jede Zeit hat dafür ihre Pioniere, die vorwegnehmen, was andere noch nicht zu denken wagen. Leute von Longo Mai beispielsweise, die bereits in den 50iger-Jahren in Südfrankreich mit Schafzucht und naturnaher Landwirtschaft und einem einfachen Leben in der Gemeinschaft gezeigt haben, wie dieser Widerstand aussehen könnte, sind heute in den Weiten osteuropäischer Länder wieder aktiv. Man sagt über die junge Generation heute gerne, sie wolle möglichst rasch zu möglichst viel Geld kommen. Der verächtliche Unterton solcher Aussagen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies ganz bequem ist, so zu reden. Wo sind die erfahrenen Erwachsenen, die als Katalysatoren und Vorbilder mit Freude das andere Leben vorzeigen? Die sich nicht einfügen in den allgemeinen Trend, sondern einen verantwortungsvollen Richtungswechsel vollziehen? Wir müssen sie finden, von und mit ihnen sprechen. In der für unseren Planeten so bedrückenden Passionszeit könnten sie – wenn wir uns mitfreuen! – unsere Perspektive ändern und unsere Hoffnung stärken.

3. Nach sprachlichen und inhaltlichen Kriterien betrachtet ist unser Predigttext heute eine Art intimes Gespräch zwischen Mann und Frau - vermittelt durch den Propheten. Gott ist einerseits der Herr der ganzen Welt – und zugleich ist er ‚Gemahl’ dieser nach Babylon weggeführten Exil-Israeliten. Als seine kinderlose Frau, als Gedemütigte und Verstörte, als Nichtgetröstete wird sie gezeichnet. Genau so hat sie sich wohl auch selbst gefühlt. Es sind warme, zärtliche Worte voller Verständnis und Mitgefühl, vielleicht sogar einer Art  Reue?
Der 'Gemahl' gesteht: 'Eine kleine Weile habe ich dich verlassen…' (V 7), er redet sich nicht heraus. Ein sehr menschliches Gottesbild begegnet uns da. 'Im Auffluten der Wut habe ich mein Angesicht eine Weile vor dir verborgen…' (V 8). Der Gott, der wütend sein kann – und in seiner Wut sogar ungerecht? – derselbe Gott (oder 'Gemahl') kann andererseits seine 'Jugendliebe' nicht vergessen. Und das ist sie eben auch: sie ist seine Gemahlin, sein von ihm erwähltes Israel. Er hat sich gebunden, er kommt nicht los von ihr.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie solchem intimen Gespräch zweier 'Eheleute'zuhören. Wollen Sie das überhaupt? Vielleicht stört Sie nicht nur, dass Sie Zuhörer einer intimen Auseinandersetzung werden, Sie finden erst recht keinen Zugang zu dieser allzu menschlichen Vorstellung von Gott.
Könnten Sie dennoch beide Ärgernisse einen Moment auf der Seite lassen? Dann können, ja dann müssen Sie doch zugeben: da zieht der Prophet im Namen Gottes alle Register, um um die Menschen seiner Zeit zu werben. Das ist einfach stark! Stark wie die Liebe eben. Stärker als alles Drohen und Drängen.
Und nun wage ich Sie zu fragen: kennen Sie das in Ihrem Leben, dass jemand um Sie wirbt? Ich meine jetzt nicht den Media-Markt mit seinem kumpelhaften 'Ich-bin-doch-nicht-blöd'. Ich meine, jemand der ganz ernst um Ihre Aufmerksamkeit, ihre Liebe, Ihr Mitgefühl wirbt? Kennen Sie vielleicht sogar so etwas wie ein Werben Gottes in Ihrem Leben? Dass er Sie zu mehr Vertrauen, zu einem angstfreieren Leben, zum Wagnis einer Wende einlädt? Wie tut er das? Wie reagierten Sie bisher - und wie reagieren Sie heute, jetzt darauf?

4. Wir alle sind – ob wir an Gott glauben oder nicht – vom Leben verletzte Menschen. Ich kann es keinem vorwerfen, wenn er oder sie sich einer erneuten Werbung Gottes widersetzt indem er/sie auf die Wunden verweist, die ihm/ihr zugefügt wurden. Es ist anzunehmen, dass auch Jesaja solcher Widerstand begegnet ist. Ich gebe zu, ich empfinde Gottes werbende Argumente auch ein wenig verharmlosend. Er hatte sein Volk nicht nur 'eine kleine Weile' verlassen, sie waren zwei Generationen lang im Exil! Er hat sein Gesicht nicht nur 'eine Weile' verborgen im Auffluten seiner Wut. Er hat es verborgen bis von 1938 – 1945 sechs Millionen Juden getötet worden waren….
Dennoch rührt mich dieser so menschlich gezeichnete Gott. Ich mag mich nicht länger verstecken hinter dem, was mir das Leben angetan hat und daraus eine lebenslange Entschuldigung machen. Ich möchte – mitten in der Zeit der Passion, des Leidens und des leidenschaftlichen Lebens, einmal nach recht und nach links schauen mit der Frage: WO und WANN und WIE wirbt Gott um mich??
Ich sitze zum Vorbereiten dieser Predigt auf einer grünen Wiese, ganz nah bei meiner Wohnung. Blumen und Sträucher blühen, die Vögel jubeln über den warmen Frühlingstag. Fordern sie mich auf zur Mitfreude?
Meine Frau ist heute Morgen für ein paar Tage in die Berge gefahren – einfach weil sie weiss, das tut ihr gut. 'Berge werden weichen…aber meine Gnade wird nicht von dir weichen…'! Wirbt Gott durch die Berge um mein Vertrauen?
Auf dem Foto Ihres Liturgieblatts sehen Sie eine verkrüppelte Föhre, die sich in einer Felsritze verkrallt und beharrlich ihre wenigen Äste dem Licht entgegenstreckt. Wirbt Gott mit dem Trotzigen, dem ich begegne, auch um meinen liebenden Widerstand?
Auf meiner Reise im Norden Neuseelands wurde ein Hurrikan angekündigt. Wie viele andere Reisende habe ich für zwei Tage das Leben im Zelt gegen eine Unterkunft in einer Herberge getauscht. Wirbt Gott um meinen Mut, wenn er mich auch Demütigungen erleben lässt?

5. Liebe Gemeinde. Wie und wo auch immer unsere Passion uns hinführt: wir sollen nicht vergessen, dass wir Geliebte sind. Dieses Geliebtsein ist ein grundlegender Bestandteil menschlichen Lebens – auch wenn es von uns zu gewissen Zeiten nur noch als Manko, als Schmerz, als Wunde empfunden wird. So sind wir wahrhaftig Menschen: wenn wir uns lieben lassen – und lieben.

Amen.



Sonntag, 30. März 2014 - Sonntag LAETARE

Freuet euch mit Jerusalem!  (Jesaja 66,10)

ORGEL               
   
WOCHENSPRUCH:
"Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht." (Johannes 12, 24)

Lied 50,1-3 ("Am Morgen will ich singen")

Gebet 121 (Psalm 85, im Wechsel)

ORGEL        

Lesung: Jesaja 54,1-11
"Juble, du Unfruchtbare, die nicht geboren hat! Brich in Jubel aus und jauchze, du, die nicht in Wehen gelegen hat! Denn die Kinder einer Verwüsteten sind zahlreicher als die Kinder einer Verheirateten, spricht der HERR. Den Raum deines Zelts mach weit, und spann die Zeltdecken deiner Wohnungen aus, spare nicht, mach deine Zeltstricke lang und deine Pflöcke fest! Denn nach rechts und nach links wirst du dich ausbreiten, und deine Nachkommen werden Nationen enteignen und verwüstete Städte besiedeln. Fürchte dich nicht, denn du wirst nicht zuschanden werden, und schäme dich nicht, denn du wirst nicht beschämt werden. Denn die Schande deiner Jugendzeit wirst du vergessen, und an die Schmach deiner Witwenschaft wirst du nicht mehr denken. Denn der dich gemacht hat, ist dein Gemahl, HERR der Heerscharen ist sein Name, und der Heilige Israels ist dein Erlöser, der Gott der ganzen Erde wird er genannt. Denn wie eine verlassene Frau und eine, die tief gekränkt ist, hat dich der HERR gerufen. Und die Frau der Jugendzeit, kann man sie verwerfen?, spricht dein Gott. Eine kleine Weile habe ich dich verlassen, mit grossem Erbarmen aber werde ich dich sammeln. Im Auffluten der Wut habe ich mein Angesicht eine Weile vor dir verborgen, mit immerwährender Güte aber habe ich mich deiner erbarmt, spricht dein Erlöser… Denn die Berge werden weichen und die Hügel wanken, meine Gnade aber wird nicht von dir weichen, und mein Friedensbund wird nicht wanken… du Gedemütigte, Sturmzerzauste, Nichtgetröstete…"

Lied 27,1+3 ("O Höchster, deine")

PREDIGT: "Sturmzerzaust…aber geliebt!"
               
ORGEL        

Gebet
Du – ewig Liebender. Dein Wort hat die harte Schale meines Herzens aufgeweicht. Das Eis ist weich geworden und wird schmelzen. Die lange angestaute Bitterkeit fliesst ab. Ich höre. Ich atme. Ich sehne mich danach, dem Leben erneut das Vertrauen zu schenken. Es noch einmal zu wagen. Verlass mich nicht. Reich mir die Hand. Ich folge dir, Liebender. Amen.      

Lied 600,1-4 ("Nun wollen wir singen")

Fürbitte und Unser-Vater-Gebet     

Mitteilungen
Kollekte für Notleidende in unserer Stadt

Lied 622,1-6 ("Ich liege, Herr, in deiner Hut")
           
Segen: 
Geh’ in der Kraft, die dir gegeben ist:
Geh’ einfach, leichtfüssig, zart.
Halt’ Ausschau nach der Liebe.
Gottes Geist geleitet dich.
Amen.

Orgel


last update: 31.03.2014