CHRISTentum.ch
Ein Portal für das Christentum in der Schweiz


Predigt vom 21. Mai 2006, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch in der Matthäuskirche, Zürich


Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört
Psalm 34


Psalmen lese ich gerne, und ich predige auch gerne dazu. Sie haben etwas Tröstliches an sich. Sie sind einfach und ehrlich. Der Psalmenbeter schämt sich seiner Probleme nicht. Er spricht die Last, die ihn bedrückt, offen aus. Sei es plagende Armut, quälende Krankheit oder erlittenes Unrecht, er nennt den Kummer beim Namen, und er erzählt ihn seinem Gott. Er erkennt seine Not. Er bekennt sie vor Gott. Und er bittet ihn um seine Hilfe.

Manchmal scheint es mir, wir Heutigen tun uns schwer damit. Es ist ein allgemeiner Zwang entstanden, wir sollten gar keine Probleme haben, weil sie nur als störend wahrgenommen werden. Mann und Frau wollen und müssen erfolgreich sein und das Lächeln behalten. "Keep smiling!" lautet die Devise. Wenn man doch mal etwas merkt und die Not nicht mehr zu vertuschen ist, gibt es schnelle Erklärungen und Rezepte zur Behebung des "Störfalles".
Wissen Sie warum? Ich meine die Antwort gefunden zu haben. Alles andere braucht nämlich Zeit. Und man meint, die habe man nicht zur Verfügung. Und es braucht echte Begegnung, auch mit sich selber. Und die scheut man, völlig zu Unrecht. Wenn "Schiffbruch" angesagt ist, landet man in einer Arztpraxis. Und das durchaus Tragische ist, dass es dort oft auch noch pressiert. Nochmals ist die Seele des Menschen nicht wahrgenommen worden. Dies durchaus im doppelten Sinne des Wortes. Sie wurde nicht bemerkt und nicht für "wahr" angeschaut.

Die Psalmen lesen sich wie ein Aufschrei gegen einen solchen Umgang miteinander, wie ein Protest gegen solche Abspeisung. Sie rufen dem damaligen Leser in einer ganz anderen Zeit und auch uns Heutigen kräftig zu: Hier ist nicht Abspeisung, hier ist Speise!

"Schmecket und seht, wie gütig der Herr ist!
Wohl dem Menschen, der auf ihn vertraut!"


Da geht es um Gaumenfreuden und Augenweiden (Schmeckt! Seht!). Da geht es um das Hier und Jetzt, um den ganzen Menschen, um Körper, Seele und Geist. Wer die Hilfe Gottes erfährt, weil er ihm sein Leid ausgesprochen hat, erwacht zu neuer Lebenslust und darf sich der Schöpfung mit ihrem reichen Angebot und ihrer sommerlichen Fülle erfreuen. Er sieht die einladenden Farben und schmeckt den Wohlgeruch der Speisen, die ihn ermutigen und kräftigen. Er kann das Leben wieder genießen, denn er hat seine Würde vor Gott erlangt:

"Blicket auf zu ihm, so erstrahlt euer Antlitz,
und ihr müsst nicht zu Schanden werden."


Deren Leben ist wieder geordnet, denn sie wissen, dass die Armut sie nicht beugen wird, dass die Krankheit sie nicht umbringen wird, dass der Feind nicht über sie triumphieren wird! Und warum wissen sie das? Weil ein viel Größerer ihr Anwalt ist! Sie haben Antwort erhalten. Sie sind nicht ins Leere gefallen mit ihrer Klage. Sie wurden nicht im Stich gelassen.

"Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört,
hat von all meiner Furcht mich errettet."


Der Psalmbeter ist auf den Lebensgrund gestoßen. Er hat Gott gefunden, Gott, der aus allen Situationen zu helfen weiß. Kein Ort ist zu ferne für ihn. Kein Land ist zu weit. Keine Lage ist ihm unbekannt. Darum wendet sich der Psalmenbeter an ihn, immer wieder, stets aufs Neue. Die Anfangsbuchstaben der Verslänge dieses Liedes sind in der Reihenfolge des hebräischen Alphabets gehalten, sodass der Psalm leichter auswendig gelernt werden konnte. Der gläubige Jude repetierte ihn im Gottesdienst. Er wusste sich verbunden mit dem Leiden und der Errettung Davids. Er kam dessen Aufruf nach:

"Erhebet den Herrn mit mir,
und lasset uns alle seinen Namen erhöhen!"


So war der Psalmenbeter eingebunden in eine Gottesdienstgemeinschaft. Er war verbunden mit David. Und er wusste um die Erhörung seines Anliegens durch Gott. Das Gebet oder der Gesang dieser tröstlichen, einfachen und ehrlichen Worte erhob sein Herz und gab ihm Kraft.
Manchmal höre ich Menschen sagen: "Man kann auch alleine an Gott glauben. Dazu muss ich nicht in die Kirche gehen." Ja, man kann das schon, aber was ist das dann für ein einsamer Gott? Gibt solcher Glaube wirklich Kraft? Ich denke nicht.

Der Glaube des Psalmenbeters hat eine ausgesprochen soziale Dimension. Er ruft zum gemeinsamen Lobpreis Gottes auf. Und er hält seinen Glaubensgenossen zum Frieden an:

"Wer ein glückliches Leben begehrt,
meide das Böse und tue das Gute.
Suche den Frieden und jage ihm nach!"


Der Glaube ist wie ein Hefenteig, der nicht aufgeht, wenn er nicht von Friedenswillen und Gerechtigkeitssinn durchdrungen ist. Was nützt es, wenn man an Friedensfesten teilnimmt; was nützt es, wenn man groß für den Weltfrieden betet – und mit dem eigenen Herzen ist der Frieden nicht geschlossen? Das nützt nichts.
Aus Dankbarkeit über seine Rettung lädt der Psalmenbeter zum gemeinsamen Lobpreis Gottes ein. Er ruft zu einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit.

Übrigens: Der Engelglaube ist für ihn kein Tabu. Wie sehr er auch die Hilfe von Gott her erfahren hat, so weiß er doch um die Helfer Gottes:

"Der Engel des Herrn lagert sich rings um die,
die ihn achten, und errettet sie."


Dieser Engel ist nun nicht der Bote. Er ist der Schutzengel und verweist auf die Kräftevielfalt des Herrn. Das muss nicht eine überholte und altmodische Vorstellung sein. Wir dürften gelegentlich wieder mal einen Engel herbei rufen, dass er uns hilft und uns einen guten Schlaf beschert. Er wird Wache halten an unserem Bett und Zeuge der Gegenwart Gottes sein.

Ich hoffe, ich durfte Ihnen den Psalm 34 (der Psalm mit den vielen bekannten Sätzen!) und damit das Buch der Psalmen als solches wieder einmal lieb und nützlich machen. Nichts ist notwendiger als ein bodenständiger, klarer und praktischer Glaube und das einfache, ehrliche Gebet. - Dazu segne uns Gott!



Wer sucht, der findet

Bittet, so wird euch gegeben werden! Suchet, so werdet ihr finden! Klopfet an, so wird euch aufgetan werden! Denn jeder, der bittet, empfängt. Wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird aufgetan werden.
Matthäus-Evangelium 7,7-8


last update: 08.09.2015