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Taufpredigt vom 22. Juni 2003 in der
Matthäus-Kirche Zürich von Pfarrer Jakob Vetsch
DICH HAT DER HERR FÜR SICH ERWÄHLT
"Denn du bist ein dem Herrn, deinem Gott, geweihtes Volk; dich hat
der
Herr,
dein Gott, aus allen Völkern, die auf Erden sind, für sich erwählt,
daß du sein eigen seiest. Nicht weil ihr zahlreicher wäret als
alle Völker, hat der Herr sein Herz euch zugewandt und euch erwählt
denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil der
Herr
euch liebte und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern
geschworen,
darum hat euch der Herr mit starker Hand herausgeführt und hat dich
aus dem Sklavenhause befreit, aus der Hand des Pharao, des Königs
von
Ägypten. So sollst du denn erkennen, daß der Herr, dein Gott,
der wahre Gott ist, der getreue Gott, der den Bund hält und die Huld
bewahrt denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, bis ins
tausendste
Geschlecht."
(5. Mose 7,6-9)
Soeben durften wir ein Kind taufen. Die Kindertaufe hat ihren
besonderen
Reiz. Der deutsche Reformator Martin Luther (1483-1546) sagte in
einer
Taufansprache:
"Wo du ein Kind siehst, da begegnest du Gott auf
frischer
Tat."
Im Kind ist der Schöpfungsakt Gottes noch so frisch, so anfänglich,
unverdorben, ganz. Es haftet ihm noch etwas Unbekümmertes, Spontanes
an. Kinder sind weisse Blätter, auf die Gott seine Geschichte mit
ihnen
zu schreiben beginnt. Sie verfügen über weniger Erlebnisse als
wir Erwachsenen, haben aber noch mehr Zukunft vor sich. Deshalb
wecken
sie
in uns die Fähigkeit zu Träumen und Plänen, und sie sind in
besonderer Weise dazu geeignet, uns Gott wieder näher zu bringen,
der
uns Zukunft und Hoffnung gewähren will!
Wenn wir Kinder taufen, die ihr Ja zu Gott noch nicht bewusst
ausdrücken
können, dann wird klar, dass die Taufe letztlich ein Geschenk
darstellt.
Es wird deutlich, dass Gott das erste Ja zu uns gesprochen hat. Er
ist
es,
der uns stets wieder sucht und aufsucht. Die Taufe stellt kein
Verdienst
dar, sondern vor allem eine Segnung und ein Angebot an uns Menschen.
Wenn wir Kinder zur Taufe bringen, dann nehmen wir für sie nicht nur
diese Segnung Gottes in Anspruch, sondern wir ergreifen auch das
Angebot
der Liebe Gottes für uns selbst wieder neu! Denn auch wir
Erwachsenen
sind angewiesen auf die Geborgenheit in ihm, der hinter allem Leben
steht.
Wir sind angewiesen auf seine Kraft und Hilfe bei der Bewältigung
unseres
Lebens.
Angelius Silesius (1624-1677), der Dichter aus Schlesien, schrieb
einst
die
Worte:
"Die Lieb‘ ist unser Gott;
es lebet all’s durch Liebe.
Wie selig wär‘ ein Mensch,
der stets in ihr verbliebe!"
Weise sagt Silesius "wär‘" ... Wenn wir ehrlich sind, müssen wir
eingestehen, dass uns dies nicht möglich ist. Allen Bemühungen
zum Trotz fallen wir immer wieder aus der Liebe und werden in
kleinen
und
grossen Dingen so schnell ungerecht, hart, eben: lieblos. Darum sind
wir
froh um die Vergebung von Gott und Mitmenschen, und um die Chance,
jeden
Tag auf seine Weise wieder neu beginnen zu dürfen. Und wir sagen
gerne
bei jeder Taufe unser innerliches Ja wieder neu zu Gott zurück.
Es kann ja auch sein, dass wir in Glaubensdingen müde geworden sind
oder vorschnell resigniert haben. Das ist bald einmal passiert. Es
kann
sein,
dass wir von Gott zu wenig erwarten. Es kann sein, dass wir in
dieser
Stunde
eine neue Entscheidung für Gott treffen, die in uns ungeahnte Kräfte
freisetzt und uns auf überraschende Wege führt! Dieser Entscheid
ist nie zu spät. Und bereut wird er auch nie. Heute ist der erste
Tag
vom Rest des Lebens! Das soll uns nicht gleichgültig sein, denn so
erhält
unser Leben Ewigkeitswert in Gott. Und diesen bekommt es, wo die
göttliche
Liebe Einzug hält, denn "die Lieb‘ ist unser Gott"!
Die Bibel spricht von einem "Bund". Binden, gebunden, Bund; diese
Worte
sind
heutzutage nicht besonders populär. Frei will man sein, und man
verwechselt
das mit dem Ungebundensein! Frei ist aber nicht der einsame Wilde,
sondern
derjenige, der in schönen, kraftspendenden Beziehungen lebt, die
Raum
zur Entfaltung offen lassen und in Achtung und Respekt gelebt werden
können.
Einen solchen Bund bietet Gott uns an, und er will uns dazu tüchtig
machen, dies in Würde und Liebe auch den Mitmenschen anzubieten.
Glaube und Bindung an Gott, die wir in der Taufe erfahren, haben
nichts
mit
"Kadavergehorsam" zu tun. Glaube und Bindung an Gott, der uns so
sehr
geliebt
hat, dass er uns erwählte, bedeuten lebendige Auseinandersetzung und
neugieriges, beglückendes Erforschen und Erfahren des Lebens. Sie
bedeuten
eine frohmachende Partnerschaft in allen Lebenslagen. Sie bedeuten
Herausgerufensein
aus dem abtötenden Alltagstrott und Hineingerufensein in das
Besondere
des Lebens: in die Liebe!
Ich schliesse mit den Worten eines unbekannten Beters:
Ich verlasse mich, Herr, und lasse mich dir. Befreie mich aus aller
Unrast
und Angst und taufe mich hinein in deine Welt des ewig gelingenden
Lebens.
Meinen Willen lasse ich dir. Nur mit dir kann ich verantworten, was
ich
tue
und was durch mich geschieht. Tauche mich ein in deinen Willen.
Meine Gedanken lasse ich dir. Nur in dir kann ich mich selbst und
das
Leben
und die Mitmenschen verstehen. Tauche mich ein in deine Gedanken.
Meine Pläne lasse ich dir. Nur mit dir ist sinnvolle Planung
möglich,
und es bleibt uns die Heiterkeit, auch wenn es anders kommt. Tauche
mich
ein in deinen Plan.
Meine Sorgen lasse ich dir. Ich glaube nicht mehr, dass ich mit
meinen
Sorgen
irgend etwas bessere. Wozu soll ich mich sorgen? Tauche mich ein in
deine
Fürsorge für alle Mühseligen und Beladenen.
Die Angst vor der Übermacht der anderen lasse ich dir. Du warst
wehrlos
zwischen den Mächtigen. Die Mächtigen sind untergegangen. Du lebst.
Tauche mich ein in die Allmacht der Liebe.
Meine Furcht vor meinem eigenen Versagen lasse ich dir. Ich brauche
kein
erfolgreicher Mensch zu sein, wenn ich ein gesegneter Mensch sein
soll
nach
deinem Willen. Tauche mich in Segen ein.
Alle ungelösten Fragen, alle Mühe mit mir selbst, alle verkrampften
Hoffnungen lasse ich dir. Ich gebe es auf, gegen verschlossene Türen
zu rennen und warte auf dich. Du wirst sie öffnen. Lass mich
eintauchen
in dein lichtes Haus des Glaubens.
Ich verlasse mich, Herr, ich gehöre dir. Ich danke dir.
last update: 25.06.2021