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Predigt vom 5. September 2004
in der St. Anna-Kapelle und in Kirche von Zürich-Matthäus, Pfarrer Jakob Vetsch

DAS WASSER DAS ICH DIR GEBE ...

Jesus sagt:
"Das Wasser, das ich dir gebe,
wird in dir zur sprudelnden Quelle werden,
deren Wasser dir ewiges Leben schenkt."
Johannes 4,14

Wasser, es begegnet uns auf vielgestaltige Weise: Die kleine Quelle sprudelt aus der Tiefe der Erde. Der reissende Strom fliesst dahin. Der Bach murmelt sanft. Der klare See ruht vor unseren Augen. Ein tosender Wasserfall zieht uns in den Bann. Die wilde Brandung des Meeres lässt die Gedanken in weite Fernen schweifen. Der tiefe Brunnen erwartet uns.
Wasser, es erscheint in wechselnden Formen: In der bezaubernden Schicht von Tau bedeckt es Pflanzen, Wiesen, Bäume und Häuser. In der Nässe des Regens füllt es die Rinnsale und netzt es die Landschaft. Im Schnee fällt es auf die Erde und deckt Vergangenes zu. Im Hagel peitscht es auf Autos und Strassen. Und im Eis erstarrt es zur stummen Reglosigkeit.

Wasser ist vielgestaltig und wechselt die Formen. Es ist das Element der Wandlung. Alles fliesst, ist in Bewegung, verändert seine Gestalt. Es ist ein Urbild des Lebendigen. Wo lebendiges Wasser fehlt, trocknet das Leben aus. Es erstarrt die Lebenskraft. "Der wunderbarste Besitz der Erde aber ist der gewaltige Reichtum an Wasser, mit dem unser Planet - ganz im Gegensatz zu anderen Planeten - ausgezeichnet ist." (John C. Eccles) "Wasser, du hast weder Geschmack, noch Farbe, noch Aroma. Man kann dich nicht beschreiben. Man schmeckt dich, ohne dich zu kennen. Es ist nicht so, dass man dich zum Leben braucht: du selber bist das Leben! Du durchdringst uns als Labsal, dessen Köstlichkeiten keiner unserer Sinne auszudrücken fähig ist. Durch dich kehren uns alle Kräfte zurück, die wir schon verloren gaben. Dank deiner Segnungen fliessen in uns wieder alle bereits versiegten Quellen der Seele. Du bist der köstlichste Besitz der Erde. Du bist eine leicht gekränkte Gottheit! Aber du schenkst uns ein unbeschreiblich einfaches und grosses Glück." (Antoine de Saint-Exupéry, der es wissen musste, denn er hatte nach einer Notlandung in der Wüste den Tau von den Tragflächen seines Flugzeuges geleckt!)
Lebenskraft kann aber auch zur Bedrohung werden. Wasser kann überfluten. Unsere Sprachbilder zeigen die andere Seite des Wassers, wenn wir sagen: "Das Wasser steht mir bis zum Halse." - "Die Wogen schlagen über mir zusammen." - "Vom Regen in die Traufe kommen." Wenn dergleichen passiert, drückt die Seele ihren Schmerz mit dem Fliessen der Tränen aus. Wir weinen salzhaltiges Wasser, Lebenswasser. Und das ist viel besser als das Erstarren. Es zeigt, dass unsere Lebensflüsse fliessen und unsere Empfindungen stimmen. Es werden die Kanäle geöffnet, durch die einst auch wieder die Freudentränen treten können, die ebenso salzig und lebendig sind.

In der biblischen Tradition wird das Wasser auch von seiner verschlingenden Seite her geschildert: Die Geschichte der Sintflut mit der Rettung des Lebens auf der Arche Noah. Die Teilung des Schilfmeeres, durch welches das Volk Gottes in die Freiheit ziehen konnte. Es gibt Bedrohung, und es gibt Rettung.
Vollends deutlich wird dies im Neuen Testament bei Jesus, wenn er auf dem See den gefährlichen Sturm stillt und die Wogen glättet. Oder wenn er auf dem Wasser geht. Das Wasser soll gebannt und zum tragenden Element werden! Es strömt harmonische Lebenskraft aus, die zu tragen vermag und nicht überschüttet, zudeckt oder versinken lässt.

Jesus bietet "lebendiges Wasser" an - im Unterschied zum abgestanden, trüben Zisternenwasser. Wer es annimmt, wird nicht "im eigenen Saft schmoren", sondern angeschlossen sein an die Kräfte des sichtbaren Kosmos und auch der unsichtbaren Welt Gottes. Er hat durch Jesus Christus das ewige Leben!
Diese Kräfte vermögen wegzuspülen das Alte, Zerstörerische, Lieblosigkeit, Tod und Egoismus, Verkrustungen und Schuld, auf dass die Lebensströme wieder frei fliessen. Wir sind mit hinein genommen in der Kreislauf des Lebens, in dem durch Gottes Güte keiner verloren gehen kann.
Was hält dich zurück, diesen Jungbrunnen aufzuschliessen? Was wolltest du noch ausgesprochen, ausgeklagt oder ausgeweint, gesehen und gespürt haben? Tue es! Aber nicht allein, sondern im Vertrauen darauf, dass Gott dich versteht und hält. So darfst du deinen Weg fröhlich fortsetzen als ein von Gott geliebter Mensch, der Freud und Leid aus seiner Hand zum Segen empfängt.

Das Segenswasser, der Quell des Lebens, hat Gestalt angenommen im Taufwasser, das uns berührte und die Geburt des neuen Menschen anzeigt. Die erste Schöpfung, die vergeht, entspringt dem Fruchtwasser des Mutterleibes, und die zweite Schöpfung, die unvergänglich ist, dem Wasser der Taufe. Es ist die Neugeburt - und Hand aufs Herz: Wer wollte nicht "wie neugeboren" sein? Täte und tut uns dies nicht allen immer wieder gut?
Das Alte hinter sich zurücklassen und in Gottes Hände legen; darauf vertrauen, dass es bei ihm gut aufgehoben ist und er das Seine auch dazutut. Das Fliessen der Lebensströme spüren, auch leiblich; vorwärts blicken und sich freuen auf Neues, was im Reich Gottes zu tun ist – das ist Wandlung, zu der wir berufen sind! Es ist das Erlebnis des neuen Menschen, der die Ängstlichkeit abgelegt und die Liebe angezogen hat, denn "die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus" (1. Joh. 4,18). Es ist die Liebe zu Gott und Menschen, die Liebe zu sich selbst, die Liebe auch zum eigenen Weg, die Liebe zum Leben. Es ist Christus! Ich weiss gar nicht, warum wir das einander nicht noch viel mehr wünschen: "Viel Christus!"

Ich schliesse mit Worten über Franz von Assisi: "Nach dem Feuer galt die besondere Liebe von Franzikus dem Wasser, dem Sinnbild der heiligen Busse, die den Schmutz der Seele rein wäscht; auch weil die erste Reinigung der Seele durch das Wasser der Taufe geschieht. Wenn er sich deshalb die Hände wusch, so wählte er stets einen Platz, wo das Wasser, wenn es herunter fiel, nicht unter die Füsse der Menschen kam."
Kein Wunder, schrieb er in seinem Sonnengesang: "Lob sei dir, mein Herr, durch Schwester Wasser! Sehr nützlich ist sie, demütig, kostbar und rein."


Fürbitten

Guter Gott, Vater durch Jesus Christus!

Danke für dein Wort, das ins Leben ruft,
durchs Leben trägt und im Leben erhält.

Danke für dein Wort, das dem Leben
die rechte Richtung gibt und Sinn verleiht.

Danke für dein Wort an dein Volk in aller Welt
und an uns ganz persönlich.

Wir bitten dich für alle, deren Leben erstarrt ist
vor den Schrecken des Bösen;
lass sie deine so ganz andere Liebe spüren.

Wir bitten dich für alle, deren Leben erstarrt ist
vor der Macht der Gewohnheit;
zeige ihnen das Frohmachende der Botschaft deines Sohnes.

Wir bitten dich für alle, deren Leben erstarrt ist
vor der Ohnmacht von Trauer, Krankheit, Leid und Kummer;
schicke ihnen Heilung und neue geistliche Freude in dir.

Wir bitten dich für uns:
Segne das Salz unserer Tränen des Leides und der Freude in dir.
Segne den Schweiss unserer Arbeit.
Segne das Wasser unserer Taufe,
damit wir deinen Ruf hören und annehmen können,
damit wir in deinem Geist leben
und das ewige Leben gewinnen.

Amen.


Der Wasserlink

last update: 03.11.2015