LEID UND REIFE
Predigten zu Texten von William Wolfensberger
Das Fest des Herrn
"Jesus begann und redete zu ihnen in Gleichnissen und
sprach:
Das Reich der Himmel ist gleich einem König, der seinem Sohn die
Hochzeitsfeier rüstete. Und er sandte seine Knechte aus, um die
Geladenen
zur Hochzeit zu rufen, und sie wollten nicht kommen.
Wiederum sandte er andre Knechte aus und sprach: Saget den Geladenen:
Siehe, ich habe meine Mahlzeit bereitet, meine Ochsen und das Mastvieh
sind geschlachtet und alles ist bereit; kommet zur Hochzeit!
Sie jedoch achteten nicht darauf, sondern gingen hinweg, der eine auf
seinen Acker, der andre an sein Geschäft, die übrigen aber ergriffen
seine Knechte und mißhandelten sie und töteten sie.
Da wurde der König zornig und sandte seine Heere aus, ließ
jene Mörder umbringen und ihre Stadt anzünden.
Dann sagte er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber
die Geladenen waren unwürdig. Darum gehet an die Kreuzungen der Straßen
und ladet zur Hochzeit ein, so viele ihr findet!
Und jene Knechte gingen hinaus auf die Straßen und brachten alle
zusammen, die sie fanden, Böse und Gute, und der Hochzeitssaal wurde
voll von Gästen."
(Matthäus 22,1-10)
Wir gehen nun den Fragen nach:
Was hat Vorrang
in unserem Leben als Christen? Was kommt zuerst, was nachher? Welche
Rolle
spielt Christus für unser Leben und Zusammenleben? Und warum kann
das Leben als ein Fest begriffen werden?
William Wolfensberger hat zum obigen Gleichnis Jesu über das Reich
Gottes eine kleine Novelle verfaßt. Sie lautet so:
"Mitten in einer kleinen Stadt wohnte ein seltsamer Herr. Er
war sehr
vereinsamt und fand keinen Anschluß. Er verfügte zwar über
viele Mittel und führte ein großes Haus. Kaum war er in die
Stadt gekommen, schickte er seinen Diener umher mit seinen Einladungen:
Er biete allen ein frohes Fest in seinem Hause an.
Niemand kannte ihn. Wer ist er denn? Was will er denn? Ladet man denn
a l l e ein? Man geht nicht hin, der Mann kennt keine Lebensart.
Jedenfalls
will man ihn erst kennen lernen. Er bekam sehr höfliche Dankesbillete;
das versteht sich doch: Ein rechter Mensch weiß sich recht zu
entschuldigen.
Es war ein so seltsamer Herr. Er mochte sich nicht zu den andern
bequemen.
Vielleicht weil er zu alt war? Vielleicht war er zu vornehm? Aber er
lud
wiederum ein. Jedoch die meisten Leute der kleinen Stadt waren höflich
genug, es wieder auszuschlagen mit höflichen Zeilen.
Er war ein närrischer Mensch. Es muß sein, daß er
um jeden Preis Gesellschaft haben wollte. Vielleicht fühlte er sich
einsam? Immer wieder ließ er die andern zu sich bitten.
Manche gingen dann. Sie haben bei ihm gefestet. Es ging hoch her. Der
zeigte einem, was Freude und vornehmes Leben ist. Er gab Fest um Fest
und
alle schienen sich zuletzt Bettler und Kinder der Straße zu sein,
nachdem sie einmal bei ihm zu Gast gewesen. So sehr war seine ganze Art
von der ihrigen verschieden.
Aber sie reden nicht davon. Und so ist das Seltsamste dies: In
derselben
Stadt wohnen jetzt Menschen, von denen die einen den Herrn für
kindisch,
zudringlich und taktlos halten wegen seiner ewigen Einladungen und
immer
noch warten, er solle sich erst regelrecht bei ihnen einführen. Die
andern aber tragen die schweigende Seligkeit seiner erlesenen Feste
tief
in der Seele."
Kirchturm im Städtchen Rheineck SG
Foto: Jakob Vetsch, 1995
Wolfensberger arbeitet drei Dinge in seiner kurzen Erzählung
deutlich
heraus. Erstens: Der Gott Jesu gilt als ein fremder, närrischer
Sonderling
unter uns Menschen. Zweitens: Wir zieren uns, wenn er uns einlädt.
Und drittens: Es gibt solche, die der Einladung schließlich folgen
und selig werden; und es gibt solche, die sich schwer damit tun.
Zum ersten: Der Gott Jesu gilt als ein fremder, närrischer
Sonderling
unter uns Menschen. Das erkennt man schon daran, daß die Einladung
völlig überraschend kommt. Unvermittelt sollen wir alles stehen
lassen, was wir eingefädelt haben. Es besteht kein Zweifel: Das Fest
soll wichtiger als alles andere sein. Und der Grund ist nur der: weil
eben
Gott uns einlädt; weil dieser Gott, den wir noch gar nicht so gut
kennen, Interesse an uns Menschen zeigt; weil er uns ruft, uns holt,
uns
zu sich lädt. Darum sollen wir kommen, einfach, weil er es so haben
möchte. Er und seine Liebe zu uns sind der Grund des Festes. Sein
Dasein, seine Einladung, sein Wille genügen. Einfach so, nichts weiter.
Einfach, weil es ihn und uns gibt, und weil er es eben so haben möchte.
Er will uns an der Hochzeit seines Sohnes sehen. Er will die Not von
unseren Herzen nehmen, möchte unsere Schulden tilgen, unsere Sorgen
auslöschen. Er will aus uns hochzeitliche, festliche, fröhliche
Menschen machen. Er will sein Licht auf unsere Gesichter werfen, will
uns
lachend und scherzend sehen, freudig genießend. Und unsere Fröhlichkeit
soll ihn loben und rühmen, soll zu seiner Ehre da sein, weil wir sie
von ihm geschenkt bekommen haben.
Zum Zweiten: Wir zieren uns, wenn er uns einlädt. Ist es nicht
so, daß wir für ein Fest meistens einen einleuchtenden, handfesten
Anlaß brauchen? Es sollte schon ein besonderes Jubiläum sein,
eine besondere Festzeit, ein bekanntes Datum. Irgendeine Leistung muß
dahinterstecken, jedenfalls verdient soll es sein, und der Gastgeber
hat
bekannt zu sein. Man möchte sich nicht auf etwas Unbestimmtes,
Unbekanntes
einlassen. Da könnte ja jeder kommen. Und schließlich muß
man sich ja in Bewegung setzen, so ein Fest verändert; und man möchte
nicht das Gewohnte über Bord werfen.
Da denkt man doch lieber an sich und an etwas, das sich lohnt. Man
ergreift das Naheliegende, tut das Einleuchtende. Warum auch in die
Ferne
schweifen, das Gute liegt so nah... Da sagt man nicht einfach zu, man
möchte
noch ein bißchen abwarten, mal sehen, wie es geht. Ja, wir zieren
uns, wenn er uns einlädt.
Zum Dritten: Es gibt solche, die der Einladung schließlich
folgen
und selig werden; und es gibt solche, die sich schwer damit tun.
Wolfensberger
schreibt: "Die andern aber tragen die schweigende Seligkeit seiner
erlesenen
Feste tief in der Seele."
Es bleibt mir so hängen im Herzen, dieses "tief in der Seele"...
Ja, tief in der Seele wissen: Ich bin ein Eingeladener, ein Gesegneter,
willkommen am Feste des Herrn. Weil Gott es so haben will, darf ich
durch
alles hindurch, durch Bill und Unbill hindurch ein hochzeitlicher
Mensch
sein. Ich darf teilhaben an der Hochzeit des Sohnes, weil der Gastgeber
es so haben will. Und es soll mir Kraft und Mut geben, den Weg freudig
zu gehen, wenn er eben ist, und auch dann, wenn er einmal steil und
steinig
wird.
Nichts anderes soll mir wichtiger sein als dieses Fest des Herrn. Alles
andere ist zweitrangig. Nicht, weil es überhaupt nicht wichtig ist,
sondern weil es sich vom Fest des Herrn her nährt! Meine Arbeit, meine
Familie, meine Freizeitbeschäftigung, meine Wohnung und was immer
es auch sein mag - es kommt an zweiter Stelle. Das Leben baut sich aus
der einen Lebensquelle auf, die alles nährt. Es gibt nichts Wichtigeres
als das Gespräch mit Gott, als die Teilnahme an seinem Fest, als das
Leben mit ihm. Daraus leitet sich alles andere ab. Und so wird es gut.
Eingeladen sein und nicht hingehen ist nicht gut. Es bedeutet, die
Einladung des Lebens ausschlagen und das wahre Leben verpassen. Die
Bibel
sagt: des Festes "unwürdig" sein. Man hat am Schluss funktioniert,
man hat seine Sache vielleicht getan, aber man hat nicht gelebt, nicht
aus der klaren Quelle des ewigen Lebens getrunken und das Leben nicht
weitergereicht.
Und dann gibt es auch noch jene, welche nicht hingehen und den Boten,
die zum Fest einladen, erst noch etwas antun. Das ist ganz schlimm.
Jenen,
so sagt unser biblischer Text, wird es genauso ergehen. Das ist hart.
Es
ist ja so leicht, diesen Boten, die zum Feste des Herrn einladen, etwas
anzutun. Es ist so leicht, sie lächerlich zu machen - weil sie einen
närrischen Gott haben, der einfach so einlädt, aus Gnade, aus
Liebe, geschenkt.
Ja, um die Liebe geht es, die man gewinnen, aber auch
verspielen kann.
Das Hochzeitsfest ist ja das Fest der Liebe, und nicht von ungefähr
wurde es hier gewählt. Liebe hat immer etwas Überraschendes an
sich, etwas Geschenktes, Unerklärliches.
Das Fest des Herrn findet deshalb statt, weil sich Gott in Jesus
Christus
mit uns Menschen versöhnt, vereint. In ihm ist Gottes Liebe zu seiner
Schöpfung sichtbar geworden. Darum sind wir zum Hochzeitsfest geladen.
Immer, wenn Jesus in unserer Mitte ist, findet dieses Fest statt. Dann
will Gott uns seine Liebe zeigen, und er will aus uns hochzeitliche
Menschen
machen.
Das geht nicht ohne eine tiefgreifende Veränderung vor sich. Wir
werden zu versöhnten, befriedeten Menschen, die selber Versöhnlichkeit
und Friedensbereitschaft ausstrahlen. Wir sind fröhliche
Hochzeitsgäste,
die sich am Tische des Herrn gütlich tun, die zur Musik tanzen, die
er aufspielen lässt, die sich freudig unterhalten und sich mitteilen.
Menschen, die dem Herrn die Ehre geben und zu seinem Lobpreis leben.
Eine
reine, wahre, selige Freude ist das, die auf das Reich Gottes hinweist,
wo es keine Tränen, keinen Schmerz, weder Kummer noch Leid noch Tod
gibt.
Wie es zwischen solchen hochzeitlich gestimmten Menschen zu
und her
gehen kann, hat Max E. Huber einmal so beschrieben:
"Ein gutes Wort sagen.
Einen Kranken aufmuntern.
Eine kleine Handreichung machen.
Das Essen loben.
Den nächsten Geburtstag nicht vergessen.
Die Türen behutsam schliessen.
Sich über Kleinigkeiten freuen.
Für alles dankbar sein.
Schlicht um etwas bitten.
Sich für jemanden ein kleines Geschenk ausdenken.
Jemandem einen guten Rat geben.
Etwas Besinnliches lesen.
Einen Brief schreiben und damit Freude bereiten.
Über kleine Nadelstiche nicht länger nachdenken.
Eine bereinigte Schuld nicht nochmals aufwärmen.
Sich über ein Versehen nicht beklagen.
Eine Zurücksetzung nicht als Ablehnung auffassen.
Eine Niedergeschlagenheit nicht ernst nehmen.
Ein schiefes Wort nicht als Beleidigung werten.
Ein Wort der Anerkennung für das Gute des Mitmenschen finden.
Ein Wort der Solidarität für den, der gedemütigt worden
ist.
Ein Wort des Scherzes für die Kinder.
Ein warmer Händedruck für den, der traurig ist.
Ein ehrliches Bekennen des begangenen Unrechts.
Sich auf morgen freuen.
Manches überschlafen.
Sich für alles die nötige Zeit und Sorgfalt nehmen.
In allem aber: Liebe üben."
Und der Konzilsvater Johannes XXIII. vertraute 1930 als
Bischof in Bulgarien,
wo er es nicht leicht hatte, in einer stillen Stunde folgende Worte dem
Papier an:
"Ein Wort des hl. Franz von Sales gefällt mir besonders: Ich
bin
wie ein Vogel, der in einem Dornbusch singt. Also wenig über das
sprechen,
worunter ich leide. Zurückhaltend und nachsichtig sein im Urteil über
Menschen und Ereignisse; besonders für die beten, die mich enttäuscht
haben; in allem eine große Güte haben, eine grenzenlose Geduld.
Ich will mich daran erinnern, daß alles andere nicht dem Geist des
Evangeliums entspricht. Über allem die Liebe, koste es, was es wolle.
Ich ziehe es vor, für einen Tölpel gehalten zu werden. Und auch
wenn ich von anderen schlecht behandelt werde, will ich immer geduldig
und gütig sein."
Das heißt doch nichts anders als: Auch wenn man mich für
einen "Tölpel" hält, nehme ich die Einladung des Herrn an. Ich
gehe an sein Fest der Liebe. Ich will zu jenen gehören, welche die
schweigende Seligkeit seiner erlesenen Feste tief in der Seele tragen.
last update: 05.03.2016
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