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LEID UND REIFE
Predigten zu Texten von William Wolfensberger


Der Schatz

"Das Reich der Himmel ist gleich 
einem im Acker verborgenen Schatz, 
den ein Mensch fand und wieder verbarg. 
Und in seiner Freude geht er hin 
und verkauft alles, was er hat, 
und kauft jenen Acker." 
(Matthäus 13,44)

In den 30-er Jahren amtierte der spätere, bekannte und beliebte Papst Johannes XXIII. (der als Vater des 2. Vatikanischen Konzils in die Kirchengeschichte eingegangen ist) als Bischof in der Türkei. Man kann sich vorstellen, daß er dort das Christentum auf harten Boden säte, und so bekannte er einmal freimütig: 

«Ich weiß, daß meine Hörerschaft sehr klein ist. Ich weiß auch, daß die vier alten Damen dösen, während ich rede. Aber das hat keine Bedeutung. Ich bin Bischof für diese Leute, und Gott ist Zeuge meines Tuns. Ich bereite meinen Unterricht vor, als ob ich in einer vollen Kathedrale sprechen müßte. Bevor ich auf die Kanzel steige, wende ich mich an die Schutzengel aller Gläubigen meines Vikariats und bitte sie, mein Wort zu allen zu bringen, auch zu den Gläubigen, die nie zur Kirche kommen.» 

Ja, auf was schauen wir eigentlich, wenn wir ein Werk beginnen? - Haben wir gute Aussichten? Wird es ein Erfolg? Lohnt sich der Aufwand? Oder gar: Was bringt es mir? Komme ich dabei groß heraus? Gewinne ich etwas? Oder bringt´s nichts? 
Der Menschenbeobachter William Wolfensberger hat sehr gut um diese Kämpfe tief in der Seele drinnen gewußt. Lassen wir ihn vom Hartmann und seinem Acker berichten:

"Ausserhalb des kleinen Dorfes, recht abgelegen und an einer ungeschickten Halde, lag der Acker, genannt Stabel. Er lag schon Jahre und Jahre brach, und es ist nur zu gut verständlich, daß ihn keiner mochte. Zum ersten war er fast eingewachsen, es wucherte auf ihm ein Wald von Unkraut. Die spitzen Blaudisteln waren in der Mehrzahl. Aber zwischen drin prunkte auch der grelle Mohn, und das verlogene Rot der Mansönias machte sich breit. Es schillerte drin von Unkraut aller Art, und was nicht unkrautverwuchert war, hatte der Weißdorn und die stinkende Berberitze besetzt. 
Sodann war die Lage unbequem. Man pflügt nicht gern an gähen Halden. Und die Halde, an welcher der Acker Stabel lag, war zudem noch in beträchtlicher Entfernung des Dorfes. 
Was aber das Entscheidende ist, daß der Acker Stabel jahrelang ungepflügt und unbebaut blieb, ist der Umstand, daß er gegen die Rüfi hin lag. Sie hatte ihn schon zweimal mit ihrem steinernen Segen überschüttet. Damals hatte just der Roggen drauf geblüht, und nicht ein Hälmlein davon war übrig geblieben. Man erinnerte sich noch recht gut an diesen Tag im Dorf, und eigentlich kann man niemandem einen Vorwurf machen, daß darum der Acker unbebaut und das gute Erdreich vergraben blieb unter der Decke von Gestein und Kies, darauf üppig die Lügenblume schoß, die stinkende Hoffart gedieh, der leere Mohn prunkte. Und zwischen dem brütend warmen Gestein schlich sommers das Ungeziefer um, ein Schlänglein und derlei Zeug sonnte sich dort. 
Schließlich wurde er noch zu etwas gut, dieser elende Acker: Man lagerte dort Mist und Schutt aller Art ab. Dazu war er nun wirklich noch gut genug. Jeder im Dorfe wußte: Die schlimmste Ware durfte man schließlich auf dem Acker Stabel ablagern. 
Es gehörte für den jungen Hartmann Mut dazu, den Acker zu pachten. Man lächelte: Arme Schlucker - wie der Hartmann einer war - mußten doch wirklich mit elendem Zeug vorlieb nehmen. 
Er war ein junger, mutiger Mensch, voll Vertrauen. Vielleicht hatte er bei sich gedacht: Ich baue ihn nebenbei, und wenn ich nicht großen Gewinn habe, bin ich mit kleinem Gewinn zufrieden, ich brauche Brot für meine Kleinen. Er war ein junger Vater und sorgte gut. 
Mit dem Unkraut räumte er barsch. Zündete an, riß aus, hieb um. Mit den Steinen war1s ein beschwerlich Ding. Woche um Woche trug er alltag davon an den Ackerrand, sprengte, schleifte und werkte, daß es eine Art hatte. Aber als er dann die Pflugschar zum erstenmal durch den zähen Grund zog, staunte er doch bei sich selber: Wie groß war der Acker geworden, jetzt wo er nur ein bißchen abgeräumt war. Wie weit schien er! 
Aber es war harte Arbeit. Doch unter dem wüsten Rüfischutt kam der gute, dunkelschollige Grund hervor! Bau zu, Hartmann, bau zu! 
Er pflügte so tief er konnte. Er riß den Boden wund. Gut Korn will rechte Ackerarbeit. Gut Korn will gesunden Boden. Gut Korn will braune Scholle. Bau zu, Hartmann! 
Da! Er stieß auf. Hia-ho! Fahrt zu! 
Zu seinen Füßen blinkte es. Aus der Klaffe der geborstenen Truhe blinkte es hell. Es hämmerte in ihm. Das war ein Schatz von unermeßlichem Wert! 
Er deckte ein bißchen Erde darüber und pflügte weiter. Kein Wort entfuhr ihm. Bloß durch seine junge Seele jauchzte es froh: Daß ihm mitten in so viel Mühe und Plage, auf dem verachteten Acker das größte Glück seines Lebens vor die Füße gerollt! 
Er hatte eine unruhige Nacht. Er kalkulierte hin und her. Er wußte schon, daß der Acker spottwohlfeil zu haben war. Aber immerhin, für ihn war es doch ein Griff. 
Er warf sich hin und her. Seine Frau merkte es wohl, wie er mitten in der Nacht aufstand und unter dem Bett die Geldkiste hervorzog und mit behutsamen Fingern zählte. Sie tat nicht dergleichen. Sie dachte nur: Was hat er bloß, daß er so still ward? 
Am Morgen wußte sie es: Er wolle Stabel, den Acker, kaufen. Bist wohl nicht recht bei Trost, jetzt, ehe man weiß, ob er etwas abwirft! O doch, Frau, er wirft etwas ab! Er ging hin und kaufte den Acker und kaufte den Schatz. Er hat den großen Zug seines Lebens früh getan.
Du kennst den Acker. Es ist deine Seele. Du kennst den Bauer: Du bist es und sollst es sein, Hartmann, du. 
Du weißt, wie es die andern mit dem Acker ihrer Seele halten: Es gibt nichts Verachteteres. Ist es ein Wunder, daß darauf das Unkraut schießt, die stinkende Hoffart, der geile Mohn, das verlogene Rot der Lügenblume? Ist es ein Wunder, daß Dorn und Distel wuchern und das Schlangengezücht dort seine verborgene Statt hat? Du weißt, wie sie mit dem Acker Stabel umgehen: Ach, der liegt seitab. Ach, da verlohnt sich es nicht zu bauern und zu bauen. Es wäre einer ein Tor und Narr.
Wie kam es nur, daß der Acker der Seele so verachtet wurde? Wie kam es, daß man alle Lotterware dort abladet und schnell daran vorbei geht? Wieso wurde es Sitte, daß jeder seinen Unrat noch dorthin führte und man Stabel behandelte als sei es ein elender Schindanger? 
So kam es: Die Rüfi des Lebens, die klotzige, wüste Rüfi des Lebens ist dir und mir über die Seele gegangen. Wir wissen es ja noch gut, wie einst ein fruchtbar Korn dort sproßte und grad der Roggen darauf in Blüte stand, und treuherzig blauten die Kornblumen zwischen ihnen, und die Sommervögel scharten darüber. Dann kam das Unheil über all das. Kein Hälmlein blieb unbedeckt. Nun liegt alles erstickt. Man mag gar nicht mehr daran denken. Am besten ist noch ein bißchen Spott und Verachtung. Man hat den Glauben an diesen Acker aufgegeben. 
Und doch: Wir sollten die Arbeit auf diesem Acker wieder lernen. Wir bringen uns sonst um unser bestes Gut. Denn es liegt ein Schatz in diesem Acker verborgen, der große Gottesschatz liegt vielleicht auch in deinem Acker, wer weiß? 
Du mußt den Glauben wieder lernen an den Acker, Hartmann. Laß andere über den Acker spotten, Hartmann. Du aber arbeite darauf. 
Die Arbeit auf deinem inneren Acker beginnt mit der großen, barschen Reinigung. Zünd an, reiß aus, trag all das Steinzeug weg, o sei hart, sei hart. 
Ich weiß es schon, was für eine Schinderei das ist. Die andern gehen lächelnd an dir vorbei, indes du dich mit dem plagst, was sie so verachten. Schau auf dein Werk, o sei hart mit dir, o sei hart. 
Wie wurde der Acker klein gemacht! Sogar der Pfarrer im Ort schaut ihn nicht an. Aber in dem Acker allein liegt der Gottesschatz beschlossen, der dich reich machen kann. 
Wie bei dem Hartmann: Mitten in Mühe und Arbeit geschieht unverhofft und unverdient das Große. Wenn du nur Mühe und Plage siehst, wenn es so schwer geht, daß du fast verzagst, blinkt es auf einmal auf. 
Wie bei Hartmann geschieht es bei dir: Man wird so still. Die Gott haben, werden so stille Menschen. Nein, fromme Schwätzer werden sie nicht.
Was kann man tun? Baue den Acker! 
Vielleicht kommt aber einer und sagt: Man kann Gott nicht verdienen durch Werke. War denn der Schatz verdient? War er nicht lauter Gnade? Lauter Gnade. Vielleicht sagt einer, der es schwer gehabt hat: Ich hab mich auch gemüht und gebückt und die Steine weggetragen und habe ihn doch nicht gefunden. 
Ja, viele finden ihn früh und dürfen jubeln. Viele finden ihn spät. Finden ihn in Anfechtung, Leid und Vereinsamung. 
Aber, baue doch weiter. Trag die Sorgensteine weg. Die ekelhaften Geldsteine trag weg. Es erstickt dir der Boden. Es macht deinen guten Grund unfruchtbar. Öffne den Acker der Seele der Sonne, baue und säe. Dann wirst du doch in jedem Fall davon ein wacker Korn bekommen, daß du Brot des Lebens gewinnst."

Irgendwie erinnert mich die Geschichte von Hartmann und seinem Acker an die Arbeit jenes Bischofs der 30-er Jahre in der Türkei. Beide schauen nicht auf das Äußere; beide sind sich aber wohl bewußt, daß ein Anderer immer zuschaut. Und seine Gegenwart ist das Entscheidende. Nicht die Zustimmung der Welt, nicht der Glanz des Ertrages sollen locken und uns dazu verleiten, eine Aufgabe in Angriff zu nehmen, sondern ob Gott damit einverstanden ist, ob er das so haben will und ob er seinen Segen dazu gibt - das ist ausschlaggebend. Darauf kommt es an. 
Denn der Schatz, den es im Leben zu gewinnen gibt und von dem alles, so ganz alles abhängt, dieser Schatz ist das Wort aus Gottes Munde, von dem wir leben. So viel Anderes will es übertönen, daß es nicht mehr an unser Ohr dringt und nicht mehr zu unserer Seele vordringen kann. Und wir verlieren so wenig, wenn wir all das Störende aufgeben; und wir gewinnen so viel, wenn wir es einlassen, das Wort Gottes, in unsere Herzen, damit es uns Kraft gibt und Leben.


last update: 05.03.2016