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Predigt
vom 21. Januar 2007 in der Matthäuskirche Zürich,
gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch
"Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch." Jakobus 4,8 Wunder-voll! Gleich danach nötigte er die Jünger, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Währenddessen wollte er die Volksscharen entlassen. Nachdem er sie entlassen hatte, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Es war Abend, als er immer noch allein dort war. Das Boot aber war bereits viele Stadien vom Land entfernt und musste gegen die Wellen ankämpfen; es herrschte Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus auf dem See gehend auf sie zu. Als die Jünger ihn so auf dem See kommen sahen, riefen sie vor Schrecken: "Ein Gespenst!" Und sie schrieen vor Angst. Doch Jesus redete sie sofort an und sagte: "Habt Mut! Ich bin es. Fürchtet euch nicht!" Petrus entgegnete ihm: "Herr, wenn du es bist, so lass mich über das Wasser zu dir kommen." Jesus sagte: "Komm!" Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind wahrnahm, ergriff ihn Furcht. Er begann zu sinken und schrie: "Herr, rette mich!" Sogleich streckte Jesus die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" Dann stiegen sie ins Boot, und der Wind legte sich. Die Jünger im Boot aber warfen sich vor ihm nieder und sagten: "Du bist wahrhaftig Gottes Sohn." Matthäus 14,22-33 Ob und wie genau diese Geschichte mit Jesus und Petrus auf dem Wasser passiert ist, damit wollen wir uns jetzt nicht plagen. In unserem Kulturkreis sind wir geprägt durch die Beweisbarkeit der Dinge. Und wir versuchen stets Dinge zu beweisen, die wir als möglich ansehen und nicht solche, die wir für unmöglich halten. Was mich betrifft, so habe ich nicht sonderlich Mühe an Wunder zu glauben. Ja, ich rechne sogar mit Wundern und ich darf immer wieder solche beobachten. Das Leben ist wunder-voll! Anders ergangen ist es zunächst den Jüngern in jener Nacht auf dem See draußen. Sie setzten nicht auf ein Wunder. Sie hatten Angst. Deshalb hielten sie Jesus für ein Gespenst, was übrigens auch einen gewissen Glauben voraussetzt. Verständlich ist das. Sie waren Menschen wie du und ich. Menschen in Not. In Seenot. Noch als Jesus sie anredete: "Seid getrost, ich bin's. Fürchtet euch nicht", wollte Petrus sich vergewissern: "Herr, bist du es, so heiße mich zu dir auf das Wasser kommen." Jesus hielt den Zwei-fel und das Sicherheitsbedürfnis seines Jüngers aus. Er erwiderte: "Komm!" Ich kann mir Situationen vorstellen, in denen auch wir Gott auf die Probe stellen wollen und denken: Wenn es dich gibt, wenn du mir wirklich nahe bist, dann zeige es mir doch! Gott hält solche Fragen aus. Er verweigert sich demjenigen nicht, der noch etwas mehr wissen will von ihm. Er stellt sich dem, der ihn sucht. Aber es bleibt für den Suchenden nicht ohne Folgen. Er muss sich bewegen und Jesus nachfolgen! Petrus, der Jesus herausgefordert hatte, wagte es und ließ sich jetzt auf Jesus ein. Er „stieg aus dem Schiff und wandelte auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.“ Das ging so lange gut, wie er auf Jesus schaute. Kaum schaute er nach dem Wind, da fürchtete er sich. Wie der Hase gebannt vor der Schlange steht. Und er begann zu sinken. Petrus erinnerte sich seines Herrn, und er schrie: "Herr, rette mich!" Sogleich durfte er die rettende Hand von Jesus spüren. Ganz ohne Tadel aber kam er nicht davon: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" Dann aber legte sich der Wind, und die Sache war okay. Diese Erzählung zeigt zwei Dinge. Erstens, wie Jesus einen immer und immer wieder aus Zweifel und Verzweiflung holt. Er hätte ob des Unglaubens beleidigt sein können. Er hätte beleidigt sein können, dass die Jünger nicht an ihn dachten, ja dass sie ihn nicht einmal erkannten, als sie seine Stimme vernahmen. Wie oft sind wir beleidigt, wenn jemand uns nicht kennt, nicht versteht, unseren guten Willen nicht anerkennt. Wie verletzt es uns, wenn wir es gut meinen, wenn wir ehrlich sind und behilflich sein möchten, und jemand will oder kann es nicht merken, wahrhaben und anerkennen. Wie "verschnupft" reagieren wir oft, wenn jemand uns nicht vertraut. Wir münzen es auf uns selbst anstatt zu denken, es habe doch wohl eher mit der Ängstlichkeit des Gegenübers zu tun. Jesus bewies ein weites Herz, als er die vor Angst schreienden Jünger mit der Stimme des guten Hirten anredete, als er den zweifelnden Petrus kommen hieß und als er den sinkenden und um Hilfe rufenden Petrus mit dem Zustrecken seiner Hand rettete. Gott streckt uns seine Hand immer wieder zu, wenn wir nur rufen nach ihm. Wo wir uns ihm nähern, da nähert er sich uns. Er ist ein vergebender, ein verzeihender Gott, der den aufnimmt, der auf ihn zugeht, sogar wenn dieser dabei nicht voll an ihn glaubt! Gott begegnet uns nicht rechnerisch. Er begegnet uns gnädig. Das kann uns ermutigen, es ihm gleich zu tun. Das heißt, es anderen Menschen nicht zu verübeln, wenn sie an uns zweifeln, wenn sie uns nicht vertrauen oder wenn sie uns etwas nicht zutrauen. Wir sind ja nicht die Summe dessen, was andere von uns denken, sondern eher die Summe dessen, was wir in uns selbst sind und anderen sein können. Und das ergibt sich meistens erst am Schluss. Deshalb dürfen wir frohgemut das gute Werk an die Hand nehmen und es unbeirrt zur Vollendung bringen. Das ist das Erste, was diese Erzählung verdeutlicht. Jesus rettet aus Zweifel und Verzweiflung den der ihn ruft, den der etwas von ihm erwartet. Das Zweite, das uns diese Erzählung aus dem Matthäus-Evangelium zeigt, geht mehr ins Praktische hinein. Es ist eine psychische, seelische Grundwahrheit. Der Sinkgang von Petrus nahm seinen Anfang, als er auf das Bedrohliche schaute und sich fürchtete. Hätte er auf das Verheißungsvolle geschaut, wäre die Furcht nicht in sein Herz geschlichen und hätte ihm keine Kräfte geraubt. Das Unglück kann man also durch negative Gedanken anziehen. Wir kennen es. Wer in den Abgrund schaut, auf den übt er eine Sogwirkung aus. Gefragt ist also eine positive Lebenseinstellung. Dann ziehen wir auch eher das Gute an. Das heißt keineswegs, dass wir nun "Scheuklappen" anziehen sollten. Es gibt Gefahren, denen man ins Auge schauen muss. Wir kennen die Umweltproblematik, die Risiken der Aufrüstung, die schreiende Ungerechtigkeit von Arbeit und Lohn, das Nord-Süd-Gefälle, aber auch die Hässlichkeiten des zwischenmenschlichen Konfliktpotentials. Da dürfen wir nicht zur Seite schauen. Realistisch hinsehen, ohne Angst. Aber es gibt auch so viel Schlechtes und Böses, das unsere Aufmerksamkeit nicht verdient. Es würde ungut prägen. Den Blick für das Gute trüben. Eben: einen sinken lassen. Böses kann nicht gute Nahrung sein. Wenn andere Fehler machen, sind wir noch lange nicht besser. Wir werden nämlich an den eigenen Möglichkeiten gemessen. Und da gibt es immer genug Arbeit. Es gibt Abgründe, in die wir nicht hinein schauen müssen. Es gibt Böses, dem wir uns nicht zu stellen haben. Je mehr wir die Augen auf das Schöne und Gute richten, desto stärker wirkt es auf uns zurück. Dadurch bleibt uns Leid erspart. Auf Jesus zugehen heißt das Gute im Auge behalten, Ja sagen zum Leben. Um mit Gott durch alles Schwere hindurch zum Guten zu finden. Christus gibt uns dazu seine Hand. Er wird unser Leitstern, unsere Sonne auf diesem Weg sein. Zum Schluss dieser Predigtgedanken ein Wort von Christian Morgenstern (1871-1914), jenem deutschen Dichter, dessen ganzes Leben durch ein von der Mutter geerbtes Lungenleiden überschattet war: "Wer Gott aufgibt, löscht die Sonne aus, um mit einer Laterne weiterzuwandern." Das sei uns ferne! Wenn uns die Sonne schon wohltuend leuchten will, dann nehmen wir ihre wärmenden Strahlen dankbar an und schreiten in ihrem Licht freudig der Zukunft entgegen. last update: 14.08.2015 |