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BETTAG

Eidgenössischer Dank-, Buss- und Bettag
Zur Geschichte des Buss- und Bettages in Deutschland


Lesungen



Aus dem alttestamentlichen Prophetenbuch des Jesaja

So spricht Gott, der Herr: In Umkehr und Ruhe liegt euer Heil; in Stillehalten und Vertrauen besteht eure Stärke. (30,15)

Gedenket nicht mehr der früheren Dinge, und des Vergangenen achtet nicht. Siehe, nun schaffe ich Neues; schon sprosst es, gewahrt ihr es nicht? Ja, ich lege durch die Wüste einen Weg und Ströme durch die Einöde. (43,18.19)

An jenem Tage wirst du sprechen: Ich danke dir, Herr, denn du hast mir gezürnt; da hat dein Zorn sich gewendet, und du hast mich getröstet. - Siehe, Gott ist mein Heil! Ich bin getrost und fürchte mich nicht. Denn meine Stärke und mein Loblied ist der Herr, und er ward mir zum Heil. - Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils und werdet sprechen an jenem Tage: Danket dem Herrn, rufet an seinen Namen, tut kund unter den Völkern seine Taten, verkündet, dass sein Name erhaben ist! Lobsinget dem Herrn; denn Grosses hat er getan, kund sei das in aller Welt! Jauchze und juble, denn gross ist in deiner Mitte der Heilige! (12,1-6)

Selig sind, die das Wort Gottes hören, es in ihrem Herzen bewahren und in die Tat umsetzen.



Texte



Die drei Siebe

Zu Sokrates, einem Weisen des Altertums, kam einmal ein Mann. Der sagte zu ihm: "Höre, ich muss dir etwas ganz Wichtiges über deinen Freund erzählen!" "Warte!" unterbrach ihn Sokrates. "Hast du das, was du mir erzählen willst, schon durch die drei Siebe hindurchgehen lassen?" "Durch welche drei Siebe?" fragte verwundert der Mann. "So hör gut zu! Das erste Sieb ist das Sieb der Wahrheit. Bist du davon überzeugt, daß alles, was du mir sagen willst auch wahr ist?" forschte der Weise. "Das nicht. Ich habe es auch nur von anderen gehört." "Aber dann hast du es doch sicher durch das zweite Sieb geläutert", fuhr der Weise fort, "es ist das Sieb der Güte." Der Mann errötete und antwortete verlegen: "Ich muss gestehen, nein, ich habe auch dies nicht getan." "Dann hast du doch wenigstens an das dritte Sieb gedacht und dich gefragt, ob es nötig und nützlich sei, mir das von meinem Freund zu erzählen, was du mir sagen willst?" "Nützlich? Eigentlich nicht," entgegnete der Gefragte. "Siehst du, wenn das, was du mir von meinem Freund hast erzählen wollen, weder wahr noch gut noch nützlich ist, dann behalt es lieber für dich!" ermahnte der Weise den Schwätzer, und dabei lächelte er gütig.



Nur eines ist nötig

"Wer weiss? Wenn Gott uns grösseres Talent, bessere Gesundheit und mehr persönliche Ausstrahlung gegeben hätte, dann hätten wir vielleicht unsere Seelen verloren! Grosses Talent und Wissen haben viele aufgeplustert mit der Überzeugung ihrer eigenen Wichtigkeit; und in ihrer Überheblichkeit haben sie andere verachtet. Wie leicht geraten Menschen mit solchen Begabungen in die ernsthafte Gefahr ihres Seelenheils! Wie viele Leute von leiblicher Schönheit und mit robuster Gesundheit haben sich kopfüber in ein ausschweifendes Leben gestürzt! Wie viele gibt es andrerseits, die durch ihre Armut, Gebrechlichkeit oder körperliche Missbildung ihre Seelen gerettet haben und die - wenn ihnen Gesundheit, Vermögen oder körperliche Attraktivität zu eigen gewesen wären - ihre Seelen verloren hätten. Lasst uns also zufrieden sein mit dem, was Gott uns gegeben hat. Nur eines ist nötig - und das ist nicht Schönheit, nicht Gesundheit, nicht Talent. Das ist die Rettung der Unsterblichkeit unserer Seelen." 

"Who knows? Perhaps if God had given us greater talent, better health, a more personable appearance, we might have lost our souls! Great talent and knowledge have caused many to be puffed up with the idea of their own importance and, in their pride, they have despised others. How easily those who have these gifts fall into grave danger to their salvation! How many on account of physical beauty or robust health have plunged headlong into a life of debauchery! How many, on the contrary, who, by reason of poverty, infirmity or physical deformity, have become saints and have saved their souls, who, given health, wealth or physical attractiveness had else lost their souls! Let us then be content with what God has given us. But one thing is necessary - and it is not beauty, not health, not talent. It is the salvation of our immortal souls."

Alphons Maria di Liguori, 1696-1787


Predigten


Evangelist Matthäus - Busse

Liebe Gemeinde

Der 21. September ist der Tag des Evangelisten Matthäus. Ihm wurde schon von der Alten Kirche eine geflügelte Menschengestalt als Symbol beigegeben. In der bildenden Kunst ist der Evangelist Matthäus oft mit den Zollwerkzeugen Hellebarde, Winkelmass, Zählbrett und Waage dargestellt, da er in der Tradition mit dem Zöllner Levi identifiziert wird. Häufig begegnet uns auch auf Bildern eine zweite Menschen- oder Engelsgestalt, die, in der Nachfolge antiker Dichterbilder, dem Evangelisten seine Botschaft in die Feder diktiert. Die geflügelte Menschengestalt ist schliesslich zum eigentlichen Symbol des Evangelisten Matthäus geworden. Diese Symbolfigur, die etwa seit dem fünften Jahrhundert dem Evangelisten zugeordnet wird, geht zurück auf die Vision des Propheten Ezechiel, der Gott in einer Feuerwolke erblickt, in der sich vier Lebewesen mit Flügeln, die einem Menschen, einem Löwen, einem Stier und einem Adler gleichen, bewegen. Damit bezieht sich Ezechiel wahrscheinlich auf die babylonische Himmelssymbolik der Sternbilder. Im Neuen Testament wird vom Seher Johannes die Vision der Vierergestalt in seiner Offenbarung wieder aufgenommen. In der Zahlensymbolik spielt die Vier eine wichtige Rolle. Sie ist, in Gestalt der vier Elemente der Erde, Ausdruck der Ganzheit. In der christlichen Tradition korrespondieren die vier Enden des Kreuzes mit den vier Paradiesströmen als vierfacher, vom Kreuz ausgehender Lebensquell. Die vier Evangelisten sind die viergestaltige Ausprägung der einen Botschaft von Christus. So meinte der Kirchenvater Irenäus, dass es gänzlich unmöglich sei, dass es mehr oder weniger als vier Evangelien geben könne, da der Kosmos vom Schöpfer in vier Himmelsrichtungen ausgebreitet worden sei, in die der Lebensgeist Gottes wehen wolle. Die Botschaft des Evangelisten Matthäus ist nun in besonderer Weise mit der Menschengestalt unter den vier Wesen des Propheten Ezechiel verbunden, weil Matthäus sein Evangelium mit dem Stammbaum des menschgewordenen Gottessohnes und der menschlichen Geburt Jesu beginnt. Im Katechumenat der Alten Kirche wurden die Taufbewerber in den Sinnbezug der vier Wesen zu den wichtigsten heilsgeschichtlichen Ereignissen des Neuen Bundes eingeführt. Am Beispiel des Menschensymbols des Evangelisten Matthäus wird dabei deutlich, dass eine der vier Hauptfiguren des Christen darin bestehen soll, sich zu bemühen, wirklich Mensch zu werden. 

Zu diesem Menschwerden gehört das Verarbeiten und Hintersichlassen von Erlebtem, es gehört dazu das Neuwerden, die Vergebung der Schuld und der Neubeginn - kurz gesagt: die Busse. Nach Matthäus 4 beginnt Jesus sein öffentliches Wirken mit dem kurzen Aufruf: "Tut Busse, denn das Reich der Himmel ist genaht!" Dann beruft er seine Jünger. An einem Tag wie heute kann sich das Leben ändern. Es muss nicht immer alles beim Alten bleiben und in ein-gefahrenen Geleisen weitergehen. Kurskorrektur ist möglich. Es kann passieren, dass ich umkehre. Busse bedeutet Umkehr. Umkehren - wie auf einer Bergtour, wenn es zu gefährlich wird. Umkehren, sich freimachen von Vorurteilen. Befreiung erfahren von Festlegungen. Das ist möglich. Die Bot-schaft der Bibel leitet uns immer wieder dazu an. Damit ist Wachsamkeit gemeint: Schau doch genau hin, überlege dir das, denk nach! So appelliert das griechische Wort des Neuen Testamentes, das zur Busse ruft, an unser Denken, den Quell unserer Handlungen: Umkehr heisst da "Meta-noia", Sinnes-änderung, d.h. eine Veränderung des Denkens und der Einstellung. "Ändert euer Denken, euer Sinnen, kehrt um!" Der Bussruf Jesu hat fast etwas Aufklärerisches an sich. Aber es hat einen Grund: weil Gott nahe ist, weil das Reich der Himmel sein Kraftfeld ganz in unsrer Nähe aufbauen will. Deshalb können wir uns ändern. Deshalb können wir die alten Programme wegwerfen und neue einlegen. Deshalb können wir neue, freie Menschen werden. Das fordert Ehrlichkeit, aber auch Interesse am Leben und an der Zukunft. Der Busstag will uns dazu anleiten, Mut geben und aufrichten. Er will Anstoss und Hilfe sein, das Wesentliche im Leben zu erkennen und sich darauf zu konzentrieren. Der alttestamentliche Prophet Jesaja sagt dazu unverblümt: "Wascht euch, reinigt euch. Tut weg eure bösen Taten. Hört auf, Böses zu tun - lernt Gutes tun!" Also ähnlich dem altbewährten Pfadfinderleitsatz, der heisst: Jeden Tag eine gute Tat. Der Prophet wird auch konkret: "Suchet nach dem Recht, weist den Gewalttätigen in Schranken. Helft dem Waisenkind zum Recht, kämpft für das Recht der verwitweten Frau!" Ein konstruktiver Bußruf. Ein Wort, das mit seinen Beispielen unser Denken und Handeln neu ausrichten kann: Weglenken von der selbstbezogenen Nabelschau, hinlenken auf den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und des Dienens.

Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel aus dem Leben des frühen Franz von Assisi erzählen. Es stammt aus der Zeit, da er noch im Geschäft seines Vaters arbeitete und zeigt seine Feinfühligkeit, die ihn schliesslich ganz in die Nachfolge des Herrn führte. Eines Tages, als der junge Franz gerade im Tuchladen beschäftigt war, kam ein Armer zu ihm und bat um der Liebe Gottes willen um eine milde Gabe. Aber da er gerade in Anspruch genommen war und der Gewinn ihn lockte, weigerte er jenem das Almosen. Doch es traf ihn der Blick der göttlichen Gnade. Er stellte sich für sein hartes Tun zur Rede und sagte sich: "Hätte dich der Arme im Namen eines vornehmen Grafen oder Barons gebeten, du hättest ihm sicher das Verlangte gegeben; um wieviel mehr also müsstest du es für den höchsten König, den Herrn des Weltalls, tun!" Und in der Folge trug er den Vorsatz in seinem Herzen, inskünftig keine Bitte mehr abzuschlagen, die ihm um eines so erhabenen Herrn willen vorgetragen werde.

Das ist Busse, Umkehr, Einsicht, dauernde Arbeit an sich selbst, stete Neuausrichtung. Ganz auf der Linie des Evangeliums hat Franz eingesehen, dass er seinem Herrn dient, wenn er einem seiner Geringsten wohltut - und dass er nicht seinem Herrn dient, wenn er auf die Herkunft, den Stand und die Person eines Menschen achtet. Im Geringsten, im Unscheinbarsten, im Niedrigsten erkannte er das Grösste, das Glänzendste, den Höchsten. Diesem Herrn wollte er dienen, um das echte Leben zu erhalten. Liebe Gemeinde! Die Gefahren sind gross, dass wir am wirklichen Leben vorbeigehen. Auf allen Seiten lockt man uns und flüstert uns zu, was wir haben und sein sollten, damit wir gut sind. Die Gefahren sind gross - die Chancen aber auch. Immer wieder gibt uns Gott eine solche. Unser Reformator Martin Luther erkannte ganz richtig: "Jeder Tag kann ein Busstag sein." An jedem Tag können wir mit Gott neu beginnen. Und so ein Tag wie heute eignet sich dazu ganz besonders. Weil wir nicht allein sind. Weil Gott in unserer Nähe ist. Weil wir geborgen sein dürfen in seiner Kirche. Und weil wir miteinander das Abendmahl feiern. 
Amen. 


Nur eines ist nötig - Bättag, eine Dialektpredigt


MATTHÄUS-PREDIGT

Am Bet- und Matthäustag 1997 hielt der damalige Kirchenratspräsident des Kantons Zürich, Pfr. Ruedi Reich, eine Predigt in der Kirche Matthäus Kirche von Zürich.

"Kommt zu mir, all ihr Geplagten und Beladenen: 
Ich werde euch Ruhe geben." 
Matthäus 11,28

Matthäustag und Bettag: wir halten inne, was soll da das eben gehörte Wort Jesu, das sich an die Geplagten und Beladenen richtet? Der Bettag verlangt doch eine donnernde Busspredigt und der Matthäustag vielleicht ein Wort über die "bessere Gerechtigkeit der Jünger Christi", die dem Evangelisten so wichtig ist. Aber nun dieses innige, fürsorgerliche, mütterliche Wort Jesu. Matthäus überliefert als einziger Evangelist dieses Wort Jesu, gerade er, der Jesus auch im Zorn, auch als Gesetzgeber darstellt, er überliefert den sogenannten "Heilandsruf", der in dieser fürsorgerlichen Weise an die Geplagten und Beladenen gerichtet ist.
Es ist wichtig, an die Geplagten und Beladenen unter uns zu denken: an Alte und Einsame, an Behinderte und Kranke, an Sterbende und Trauernde, an Arbeitslose und von der Arbeit Überforderte, an junge Menschen, die für ihr Leben keine Perspektive sehen. Gerade in einer Zeit, in welcher, teilweise auch mit guten Gründen, Leistung, Innovation, Flexibilität grossgeschrieben werden, soll die Kirche die "Geplagten und Beladenen" nicht aus den Augen verlieren. Und vergessen wir nicht, Geplagte und Beladene sind nicht einfach die anderen, sondern das sind wir alle. Auch die Leistungsfähigen, die mitten im Leben stehen, stossen an Grenzen, fragen nach dem Sinn, wissen oft nicht mehr weiter. Auf manchem unter uns liegt Schweres. Gut zu wissen, dass Christus uns nicht nur nach starken Seiten misst!

Der Kirchenvater Augustinus sagt: "Du, Gott, hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir!" Diese Ruhe in Gott macht keine faulen, pflichtvergessenen Christen, aber sie lässt uns auch nicht jedem Gag des Zeitgeistes nachrennen. Alle grossen Dinge können nur auch der Ruhe heraus getan werden, die Christus schenkt, der Ruhe, die aus der Gegenwart Gottes kommt. 
Der Evangelist Matthäus weiss dies, und gerade darum stellt er den Heilandsruf Jesu an den Schluss eines Kapitels seines Evangeliums, in welchem von Kampf und Auseinandersetzung die Rede ist. Und Matthäus zeichnet auch Jesus nicht einfach als "Softy". Gerade er stellt Christus auch in heiligem Zorn vor uns hin; und gerade Matthäus hat es ja auch persönlich erlebt, dass christlicher Glaube, Nachfolge Jesu, nicht zu Discountpreisen zu haben ist. 
Nach der Tradition war Matthäus Zöllner. Der Evangelist ist also kein verträumter Theologe, der wie die Leute schnell einmal sagen, die Härte des Lebens nicht kennt. Nein, als Zöllner hat Matthäus mit dem wirklichen Leben, mit all seinen Härten zu tun. Als Zolleinnehmer ist er auf der Hut, dass niemand ihn betrügt. Zugleich gehört Matthäus zu jenen, die mit der verhassten römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiten, nur um das grosse Geld zu machen. - Und dieser Matthäus hört den Ruf Jesu: "Folge mir nach!"

Matthäus ist kein Freund von Halbheiten, wie sie bei uns gang und gäbe sind: Christlicher Glaube und noch ein bisschen Neuheidentum, Glaube an Christus und doch noch ein bisschen Fremdenfeindlichkeit, christliche Verwurzelung und doch ein Hängen an so vielem, was letztlich nicht helfen kann. 
Nein, Matthäus folgt Christus nach, ganz, ohne Kompromisse. Wir spüren davon viel in seinem Evangelium. Die Bergpredigt Jesu, die Matthäus sorgfältig wiedergibt, ist eine Zusammenfassung der radikalen Botschaft Jesu. Matthäus sieht Jesus als den neuen Mose, als einen neuen Gesetzgeber, der die Radikalität der Gottes- und Menschenliebe predigt. Und doch, am Anfang der Bergpredigt steht kein neues "Du sollst", sondern das "Selig, selig die Armen, selig die Trauernden, selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit". Und so hat Matthäus gelernt, dass Menschen nicht durch Forderungen und Vorwürfe verändert werden, sondern durch den Ruf Jesu in die Geborgenheit und ins Angenommensein bei Gott: "Kommt zu mir, all ihr Geplagten und Beladenen: Ich werde euch Ruhe geben". Matthäus redet nicht der billigen Gnade das Wort: "Es isch alles nöd so schlimm"; "Wir kommen alle, alle in den Himmel", und was der gottlosen Sprüche mehr sind. Aber Matthäus weiss, das ist es, was wir brauchen, Christus, der uns auch als Geplagte und Beladene ruft und uns Ruhe, Ruhe in Gott gibt.
Und als solche Gerufenen werden wir dann nicht nur getröstet, sondern auch fähig zu trösten und zu helfen. Gerade die Geplagten und Beladenen können das oft besser als die immer Fitten, immer Strahlenden, immer Leistungsfähigen.

Manches auferlegt uns Gott, damit wir umso besser die Geplagten und Beladenen verstehen und ihnen helfen können. Und vielleicht haben darin auch die mancherlei Belastungen und Bedrängungen in unserer Landeskirche ihren Sinn: Sie rüsten uns noch besser zum Dienst aus. Sie haben es auch in Ihrer Gemeinde erfahren, dass unsere Landeskirche kleiner wird. Aber Matthäus erinnert uns: Schwierigkeiten sind da, um andere in Schwierigkeiten besser zu verstehen; Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade und spielt auch auf unvollkommenen Instrumenten seine Meisterwerke. Matthäus, der verachtete und verhasste Zöllner mit zweifelhaftem Leben, er ist dem Ruf Christi "Folge mir nach!" gefolgt. Und in seinem Evangelium zeigt er immer wieder, wie aus dem Zuspruch Gottes immer auch der Anspruch Gottes auf unser Leben folgt, aus der Gabe die Aufgabe wird. 
Matthäus schätzt darum das Alte Testament mit seinen Geboten hoch. Für Matthäus gehören Judentum und Christentum unlöslich zusammen. Diese Hochschätzung der jüdischen Tradition ist ein wichtiger Hinweis auch für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen. Matthäus zeigt, wie das Christentum aus dem Judentum kommt und mit ihm als der Wurzel verbunden bleibt. Der Kirchenrat hat darum ganz im Sinne des Evangelisten Matthäus im März 1997 öffentlich vor der Synode erklärt: "Wir erkennen in jüdischen Menschen Schwestern und Brüder im gemeinsamen Glauben an Gott - auch wenn uns unterschiedliche Wege des Glaubens und des Lebens aufgegeben sind." Darum gehört ja auch das Fenster von Max Hunziker so zentral zur Matthäus-Kirche, weil es dieses Anliegen des Evangeliums aufnimmt: Unter dem Kreuz Christi wird gezeigt, wie Altes und Neues Testament, Noah, Mose und Christus zusammengehören! So gibt uns die Matthäus-Kirche durch den Bezug zum Evangelisten Matthäus und durch ihren künstlerischen Schmuck den entscheidenden Hinweis: Christen sind seit bald zweitausend Jahren an jüdischen Menschen schuldig geworden, weil sie diese Verbindung von Christentum und Judentum leugneten und jüdische Menschen verachteten und verfolgten. Hier gilt es umzudenken, Busse zu tun. Es kann sicher nicht darum gehen, die Aktivdienstgeneration zu belasten und an ihrem Widerstandswillen damals vor 50 Jahren zu zweifeln. Hier wurde Grosses geleistet, für welches wir alle dankbar sind. Aber unser Land ist damals an jüdischen Menschen schuldig geworden, gerade auch, weil es zu wenig auf Matthäus gehört hat, der so eindrücklich das Zusammengehören von Christentum und Judentum betont. 

Matthäus ruft uns zu einem lebendigen und offenen und tätigen, auch politisch verantwortlichen Christentum auf, zeigt uns aber mit der Überlieferung des Heilandsrufes auch: Zuerst ist immer der Ruf Christi, nicht ein harter Befehl, sondern der liebevolle Ruf: "Kommt zu mir, all ihr Geplagten und Beladenen: Ich werde euch Ruhe geben." Hier dürfen wir zu Hause sein, tief verstanden und getragen. 
Der Kirchenrat widmete das Bettagsbüchlein 1997 dem Thema Heimat. Es ist uns ein Anliegen, gerade in dieser Zeit der grossen internationalen Zusammenschlüsse, auch auf den Wert der Heimat hinzuweisen. Nur wer wirklich zu Hause ist, kann auch offen sein für die weite Welt mit ihren Chancen und ihrer Not, offen auch für Menschen, die anders denken, glauben, empfinden und handeln als wir. So wird zur Dankbarkeit für die irdische Heimat aufgerufen und auch dazu, für eine offene, menschliche Schweiz zu beten und zu arbeiten. 
Aber ein wirkliches und letztes Zuhause gibt es in dieser Welt nicht, gibt es letztlich nur in Gott; dies unterstreicht das Bettagswort des Kirchenrates. Gehalten, getragen und verstanden sind wir bei Gott, sind wir dort, wo wir auf den Ruf Christi hören: "Kommt zu mir, all ihr Geplagten und Beladenen." 
Gerade wer aber so bei Christus tief Atem holt, gehalten und getragen ist bei ihm - darauf weist Matthäus unermüdlich hin - wird sich nicht von der Welt abschliessen, sondern eintreten für Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden, gegen alle Unmenschlichkeit und Fremdenfeindlichkeit kämpfen und sich im Sinn des Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettages für eine offene und menschliche Schweiz einsetzen. Der Matthäustag passt gut zum Bettag, und Ihre Kirche ist eine steinerne und künstlerische Predigt, die Sie stets zur Mitte ruft: zu Christus und zum Mitmenschen. - Amen.



ABENDMAHLSLITURGIE AM BETTAG


last update: 12.08.2015