CHRISTentum.ch
Ein Portal für das Christentum in der Schweiz


Predigt vom Sonntag, den 14. Juni 2009, gehalten in der
St. Anna-Kapelle Zürich von Pfarrer Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche

Fremdlinge? – Gäste in Jesus Christus!

"Abraham wohnte bei den Terebinthen von Mamre, da erschien ihm der Herr wieder. Abraham sass in der heissen Mittagszeit am Eingang seines Zeltes, als er plötzlich drei Männer bemerkte, die auf ihn zukamen. Sofort sprang er auf, lief ihnen entgegen, verneigte sich bis zur Erde und bat: "Mein Herr, bitte schenk mir deine Aufmerksamkeit, und geh nicht einfach weiter! Ich lasse Wasser holen für eure Füsse, ruht euch solange unter dem Baum aus; ich sorge für das Essen, damit ihr gestärkt weitergehen könnt! Ihr sollt nicht umsonst bei mir vorbeigekommen sein!" "Einverstanden", sagten die drei, "tu, was du dir vorgenommen hast!"
Abraham lief ins Zelt zurück und rief Sara zu: "Schnell! Nimm eine grosse Schüssel vom besten Mehl, das wir haben, und backe davon einige Brotfladen!" Er lief weiter zu seiner Rinderherde, wählte ein zartes, gesundes Kalb aus und befahl seinem Knecht, es so schnell wie möglich zuzubereiten. Den fertigen Braten bot er dann seinen Gästen mit Sauerrahm und Milch an. Sie sassen im Schatten des Baumes, und während sie assen, bediente Abraham sie."
1. Mose 18,1-8

Liebe Gemeinde!

Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, kurz gesagt HEKS, hat mich vor einiger Zeit darum gebeten, die Predigtbausteine für den diesjährigen Flüchtlingssonntag zuzubereiten. Ich habe das gerne gemacht. Am nächsten Samstag kommt er nun, der Flüchtlingstag, und heute in einer Woche ist Flüchtlingssonntag.
Aus diesem Grunde achtete ich mich in den vergangenen Monaten immer ein bisschen auf Stichworte, Gedanken und Bilder zu diesem Thema und war sensibilisiert. Da betrat ich am Pfingstsonntag das Jan-Hus-Haus im nahen deutschen Konstanz, wo der Gottesmann seine letzten Tage in Freiheit vor seiner Verhaftung und schliesslich seiner Verurteilung als Ketzer und seiner Hinrichtung am Konzil zugebracht hatte. Besucher aus seinem tschechischen Heimatort Husinec waren am Pfingstsonntag auch im Hus-Haus und haben seine letzte Wohnstätte mit grossem Interesse studiert. Von ihrem böhmischen Dorf Husinec hat der christliche Reformer und Märtyrer seinen Familiennamen Hus.
Da fällt – immer auf dem Hintergrund des kommenden Flüchtlingssonntages – in einem Raum voller schön angebrachter Wandsprüche mein Blick auf einen Vers, den ich Ihnen mitgebracht habe und den ich nun lese:

Fremdling_Hus_Haus_Konstanz.jpg

"Darum rufe ich
das Gewissen an
und sage: Sollte ich einen Fremdling,
aus welchem Land er auch käme
in seiner Tugend erkennen und sehen,
dass er Gott mehr liebt und nach dem
Guten trachtet mehr als mein
eigener Bruder, er wäre
mir lieber als ein Bruder."

So, da entscheidet also nicht die Herkunft, sondern die Gottesliebe und der Wille zum Guten. Das ist auch eine Sicht der Dinge. Das Überraschende für mich liegt nun aber daran, wie sehr dieser Satz auch mich beschämt hat! Hand auf's Herz: Wo liegen unsere Prioritäten wirklich? Ist uns das Rot auf dem Schweizer Pass nicht doch noch ein bisschen näher als das Rot des Blutes unseres fremden Bruders oder unserer fremden Schwester? "Darum rufe ich das Gewissen an," wird der Gedanke sorgsam eingeleitet. "Darum rufe ich das Gewissen an." "Das Gewissen." Haben wir anderes mehr gepflegt? Und es nicht einmal gemerkt?

Der einzigen afrikanischstämmigen Mitarbeiterin der Kirche in Sihlcity habe ich von meinem HEKS-Auftrag erzählt, und sie hat einige Worte beigesteuert, die mich gerade nochmals verblüfft haben, unter dem Titel "Herzensfamilie". Ich lese ihre Worte:

"Der Mensch ist verbunden mit seinem eigenen Fleisch und Blut. Manchmal sehe ich aber bei Menschen, dass ihnen gewisse Menschen näher sind als ihre eigenen Familienmitglieder. Aus verschiedenen Gründen tragen sie Menschen in ihren Herzen wie 'Familienmitglieder', die nicht aus Fleisch und Blut sind, sondern aus Liebe.
Der Geist der Sihlcity-Kirche, dass jeder willkommen ist und ein Seelsorgegespräch bekommt oder auch einfach verweilen kann, berührt verschiedene Leute in ihrem Glauben und Herzen und gibt ihnen Lebenssinn. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die im tiefen Herzen zu Gottes Familie gehören."

eingrenzen1.jpg     eingrenzen2.jpg
Grafik Oliver Stefan Hug www.ambient.ch

Gehören wir dieser Herzensfamilie an, sind die Gottesliebe und der Wille zum Guten entscheidend – oder laufen bei uns die Entscheidungen ganz anders, etwa nach Nationalität und dann auch noch nach Rechtgläubigkeit? Laufen unsere Entscheidungen über den Kopf, oder auch über das Herz? Wird da die unendliche Gnade und Güte, die wir empfangen haben, zur Kenntnis genommen und weitergereicht? – Ich bin mir da bei Gott (!) selber nicht mehr sicher und frage und rufe nun auch das Gewissen an, wie es im Hus-Haus zu Konstanz einleitend zu jenem Gedanken über den fremden Bruder geschrieben steht.

Da kommt mir der berühmte Vers des Hebräerbriefes (13,1-2) in den Sinn, wo von den Nahen und den Fernen die Rede ist, eine Stelle, welche die neue Übersetzung unserer Zürcher Bibel sehr schön beschreibt:

"Die Liebe zu denen, die euch vertraut sind, bleibe!
Die Liebe zu denen, die euch fremd sind, aber vergesset nicht!
So haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt."

Gemeint sind da etwa Abraham und Sara bei den Terebinthen von Mamre, den Eichen, die ja selber so vielen Lebewesen Gastort geben. Als die drei Männer am Eingang des Zeltes standen, redete Abraham zum Herrn und von Gnade, und als ihm die Möglichkeit zur Gastfreundschaft geboten wurde, ward es ja so schnell ganz konkret: Wasser für die Füsse, Ruhe unter dem Baum; dann Brot, Kalbfleisch, Butter und Milch zur Stärkung für die Weiterreise – und das alles im wohltuenden Schatten des Baumes.
Liebe geht durch den Magen, auch die Gemeinschaft und die Liebe in Gott und unserem Herrn Jesus Christus! Ich mag diesen Text. So kann man's machen, so kann man's leben. Eine Anleitung zum Glücklichsein. Glaubensgewissheit schwingt da mit, Vertrauen ins eigene Sein in Gott. Da sind keine theologischen und dogmatischen Dispute nötig. Wohl aber das Angebot, das Holen des Wassers, das Zubereiten von Brot und Kalb, von Butter und Milch.
Zu Beginn des nächsten Kapitels ist dann von Engeln die Rede, von Boten. Das ist doch auch ein Ansatz von Christentum, ob wir einander gute Boten, Engel sein können auf unserem Lebensweg. Teilen wir das Brot miteinander, sind wir Brüder und Schwestern im Glauben einander auch "Kumpanen", das heisst "Mit-Brötler", wie der Schweizer Franziskaner Anton Rotzetter einmal eindrücklich dargelegt hat? – Wenn wir das tun, ist Christus ganz und gar mit dabei. Dann erfüllt er uns nicht nur mit leiblicher, sondern auch mit geistlicher Freude und mit Frieden.

Amen.



Fürbittengebet

Guter Vater im Himmel

Wir danken dir für deine Vergebung und deine Güte. Wir danken dir für deine Obhut und dein Wort.
Wir wissen, dass wir hier keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen wir (Hebräer 13,14). Du gibst uns die Heimat in deinem ewigen Reich. Du kennst uns, deine Kinder dürfen wir sein. Du schenkst uns Frieden.

So bitten wir dich heute besonders für alle, die sich nach Heimat sehnen;
Für alle, die sich unverstanden fühlen;
Für alle, die nach Orientierung suchen;
Für alle bitten wir, die Halt brauchen.
Sei du bei ihnen, wo sie auch sind. Sei du bei ihnen durch Menschen, die dich kennen und sie verstehen. Sei du bei uns, indem du uns bei ihnen sein lässt!

Alles, was unsere Herzen und Sinne bewegt, fassen wir zusammen im einzigen Gebet, das uns der Herr gelehrt hat. Wir beten miteinander: "Unser Vater im Himmel..."

Amen.


last update: 23.11.2015