6. April 2003, St. Anna-Kapelle und Matthäus-Kirche
BITTET, SO WIRD EUCH GEGEBEN WERDEN
Eine Predigt von Pfarrer Jakob Vetsch
"Bittet, so wird euch gegeben werden; suchet, so werdet ihr finden;
klopfet an, so wird euch aufgetan werden! Denn jeder, der bittet,
empfängt;
und wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan werden.
Oder welcher Mensch ist unter euch, der seinem Sohn, wenn er ihn um
ein Brot bittet, einen Stein gäbe, oder auch, wenn er um einen Fisch
bittet, ihm eine Schlange gäbe? Wenn nun ihr, die ihr doch böse
seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wieviel mehr wird euer
Vater
in den Himmeln denen Gutes geben, die ihn bitten!"
Matthäus 7,7-11
Wie sind sie einfach, diese Worte Jesu, und klar formuliert, so kurz und bündig, so eindrücklich aus dem Munde unseres Erlösers:
"Bittet, so wird euch gegeben werden; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan werden!"
Ja, klar formuliert, verheissungs- und hoffnungsvoll sind diese
Worte,
doch nur schwer zu verstehen, rätselhaft und geheimnisvoll für
den, der ihnen (noch) nicht vollen Glauben zu schenken vermag und ihnen
(noch) nicht sein ganzes Vertrauen entgegenbringen kann!
Jesus ahnt das, und deshalb wiederholt er sie gleich noch
eindrücklicher
und bestimmter, sodass es kräftiger nicht gesagt werden kann:
"Denn jeder, der bittet, empfängt; und wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan werden."
"Jedem", heisst es da, der das tut, wird dies geschehen. "Jedem"
gilt
es! Ungläubig vernimmt diese Worte derjenige, der (noch) Zweifel hegt
an ihm, der sie ausspricht, und (noch) keine Ahnung verspürt, was
damit gemeint ist.
Er fragt sich: Um was denn darf ich bitten? Wo soll ich suchen? An
welcher Pforte muss ich anklopfen?
Er ist unsicher, gequält vielleicht auch von Misserfolgen, weil
er das rechte Beten (noch) nicht gelernt hat. Ja, vom Gebet ist hier
die
Rede, und von der Erhörung des Gebetes.
Jemand hat darüber geschrieben:
"Suchen kann gewiss nur dann zum Finden führen, wenn dort gesucht
wird, wo tatsächlich das Gesuchte auch verborgen liegt.
Bitten, in dem hier gemeinten Sinne, der da jegliches Erbetteln völlig
ausschliesst, wird Empfangen nur erwirken können, wenn der also
Bittende
empfangsberechtigt ist.
Klopfen aber, um im Hause Zutritt zu erhalten, hat dann nur Aussicht
auf Erfolg, wenn jener, der da klopft, auch völlig sicher ist, wo
er zu klopfen hat, und dorten dann in solcher Weise anzuklopfen weiss,
dass man im Hause ihn vernimmt und alsogleich erkennt als einen, der da
Einlass zu erwarten hat.
Hier sind jedoch Suchen, Bitten und Klopfen keineswegs zu trennen,
denn nur in ihrer Vereinigung ergeben sie das Gebet!
Wohl dem, der so zu beten weiss! Er wird erhört sein, während
er noch anklopft. Er wird alsbald empfangen, während er noch bittet.
Er wird mit aller Gewissheit finden, was er auf solche Weise sucht,
dass
es zu finden ist."
Wir Menschen sind schon auf das Bitten, Suchen und Anklopfen hin
geschaffen.
Unsere Wünsche und Erwartungen treiben uns zur Bitte, unsere Sehnsucht
und Sinne drängen uns zur Suche, unser pochendes Herz verleiht uns
die Ahnung, dass noch grössere Räume sich öffnen müssen.
Und doch wüssten wir nicht, wohin wir uns zu wenden hätten
und was dort auf uns wartet, wenn es uns nicht eine Stimme, der wir
vertrauen
können, sagen würde.
Diese Stimme hat Jesus wahrgenommen; wahrgenommen im doppelten
Wortsinn:
Er selber hat sie klar vernommen, er selber ist sich dessen sicher
geworden;
und er hat sie ausgesprochen, auf dass wir sie deutlich hören. Nehmen
wir seine Worte wahr? Können wir sie für die Wahrheit nehmen?
Hören wir die Wahrheit in seiner Stimme? Erkennen wir sie als die
vertraute Stimme des guten Hirten, der uns schützt und zu den saftigen
Weideplätzen und zur klaren Wasserquelle führt?
Der dies ausspricht, weiss von dem "Vater in den Himmeln", der "denen
Gutes geben" wird, "die ihn bitten"! Er kennt diesen bestimmten,
gütigen
Vater des Lebens, und er weiss um seine feste Bereitschaft, so zu
handeln!
Damit erhält das Ganze eine Verbindlichkeit und Gewissheit, welche die Voraussetzung zum Empfangen, Finden und Eingelassenwerden darstellen. Entscheide dich, ob du empfangen willst, ob du finden und eingelassenwerden willst. Wenn du dich aber dafür entschieden hast, dann bitte als Empfangsberechtigter; dann suche im Wissen, dass du finden wirst; dann klopfe an im Vertrauen, dass du drinnen gehört wirst und die Türe sich dir öffnet!
Denn du wirst nichts anderes empfangen als das, was für dich bereit
liegt; und du wirst das finden, was dir zu finden beschieden ist; und
du
wirst durch jene Türe eingehen, hinter der auf dich gewartet wird.
Du darfst um alles und für alles bitten, wozu es dich zu bitten
drängt, und du wirst es so erhalten, wie es das Leben dir geben kann.
Denn das Gebet ist die Berührung deines Willens mit dem Willen des
Vaters. Und die Erhörung deines Gebetes ist die Erfüllung dessen,
was er dir zu schenken schon längst bereit gelegt hat.
Deshalb sagt Jesus: "Euer Vater weiss, was ihr bedürft, ehe ihr
ihn bittet." Er weiss es, weil er es bereits zur Übergabe hergerichtet
hat. Es braucht vielleicht nur noch dein Gebet, denn du kannst nichts
empfangen,
wozu du nicht offen und bereit bist. Vielleicht braucht es auch Geduld,
denn "alles hat seine bestimmte Stunde, jedes Ding unter dem Himmel hat
seine Zeit", wie es der weise Prediger Salomo sagt.
Wer sucht, der lasse sich nicht irreführen! Er suche im Vertrauen,
zu finden, was ihm zusteht. Da braucht es keine Ängstlichkeit, denn
was am reinen Herzen vorbeigeht, das kann nicht für dieses vorgesehen
gewesen sein. Höre nicht auf die vielen Stimmen, die hin und her
zerren,
warte nur, bis die eine Stimme deutlich vernimmst, die zum guten Wege
führt.
Und suche nicht zu weit, denn das Gute liegt oft nah. Dieser Ausspruch
stammt vom alten Wissen her, dass Gott die Wiege der Erfüllung schon
im Herzen eines jeden bereitet hat. Da hinein legt er die Antworten auf
deine Fragen. Wer ihn sucht, den will er aufsuchen; wer zu ihm geht, zu
dem will er kommen.
Und was kann das Anklopfen bedeuten? Was, wenn nicht das Klopfen an
der Tür zur Ewigkeit, in der echtes Leben sich ereignet, das hält
und seinen Wert behält?
Und wo sonst sollten wir dieses Klopfen zum ersten Mal gehört
haben, wenn nicht durch das Pochen des liebenden Mutterherzens? Nimmt
nicht
darum die Mutter ihr Kind später in die Nähe des Herzens, um
ihm Nahrung zu geben?
Dass wir von klein auf spüren, wie die Liebe anklopft, auf dass
Herz zu Herzen finde! Wir klopfen mit dem Herzen an, liebe Gemeinde,
und
es wird uns aufgetan werden. Es öffnet sich uns die Liebe und das
Leben.
last update: 15.08.2015