CHRISTentum.ch Ein Portal für das Christentum in der Schweiz WARTAU-GRETSCHINS
SG
Alter Trottbaum aus Gretschins, später vor Landolt Weine, Brandschenkestrasse 60 in Zürich Foto: Jakob Vetsch, 2. Juli 2009 Die Pfarrfamilie Tschudi in
Gretschins (1629 bis 1750)
|
|||
Ein ehemaliger Organist: 1971-1998 an der Gretschinser Orgel: Hans Eggenberger-Gauer
Literatur Jakob
Kuratli, Geschichte der Kirche von Wartau-Gretschins Jakob
Vetsch, Das Geheimnis der Kirche von Gretschins
Symbolik im alten Kirchenbau, dargestellt an der St. Martinskirche Wartau-Gretschins BuchsDruck und Verlag, Buchs SG, 1991
Stimmungsbild
von
der Burgruine Wartau, aufgenommen im Juni 1991 Das
Wasser von Gretschins Eine
föhnige Sommernacht lag über den Dörfern des
St. Galler Rheintales. Dunkel umgab die
Häuser, nur ein paar hohe Fenster des
Grabser Krankenhauses waren hell erleuchtet.
Eine junge Schwester hatte sich eben einen
Augenblick der Ruhe gegönnt. Sie liebte die
regelmässig wiederkehrenden Wochen der
Nachtwache. Herausgeholt aus dem lauten
Betrieb des Tages, hineingestellt in die
Stille und Verantwortung, tat sie freudig
diesen Dienst, der ja besonders den
Schwerkranken, den Sterbenden und oft auch
den Werdenden galt. Manchmal gab es zwischen
den Wanderungen durch die langen Gänge eine
kleine Ruhepause. Dann an einem offenen
Fenster zu stehen, die Sterne zu grüssen
oder das erste Licht des Morgens zu sehen,
war für die Schwester immer eine
Feierstunde, in der sie tief die
Befriedigung über ihren Beruf empfand. Es
schien ihr, dass der Mensch nicht wisse, was
Leben bedeute, der nie für andere, bei
anderen wachend auf den Trost des
Morgenlichtes gewartet. Aber
in dieser Nacht fand die junge Schwester
keine Zeit zu solchen Gedanken. Sie brauchte
jede Minute, um bei Kätherli zu sein, dem
schwerkranken Kind aus dem Kirchdorf
Gretschins. Zu spät war es in den Spital
gebracht worden. Der Arzt hatte getan, was
Wissenschaft und Fürsorge tun können, jetzt
war nur noch das kleine Fünklein Hoffnung,
das auf die zähe Lebenskraft der Jugend
baut. Und das konnte täuschen, bei der
vielen Heimarbeit der Sticker hatten die
Kinder viel zu helfen mit Fädeln und
Ausschneiden und waren oft wenig
wiederstandsfähig. Mit
glutheissen Wangen lag Kätherli in seinen
weissen Kissen. Das schwarze Kraushaar war
durch Umschläge wirr und zerzaust. In den
ersten Tagen war das Mädchen so scheu
gewesen, dass es sein Gesichtlein in das
Kissen barg, wenn der Arzt kam. Aber jetzt
litt es solche Schmerzen, dass die kleinste
Bewegung beinahe unmöglich war, das stete
leise Wimmern schnitt in die Seele. Das
Fieber stieg, der Puls zeigte die flackernde
Unregelmässigkeit eines müden Lichtleins. Um
dem Kind die Beruhigung des Geborgenseins zu
geben, setzte sich die Schwester für eine
Weile an das Bett. Ihre Gedanken wanderten
zu der Mutter des Kindes, die sie gesehen,
als man Kätherli mit dem Krankenwagen
brachte. Aufrecht, herb und still war die
Frau in dem weissgetünchten Zimmer neben dem
Krankenbett gestanden; aber aus ihren Augen
hatte tiefe Liebe und Sorge gesprochen. Die
Schwester, die aus dem Zürichbiet stammte,
hatte gelernt, das schwerblütige,
verschlossene Wesen der Werdenberger
Bergleute zu verstehen, bei denen die Tiefe
des Gemütes wie unter einer Hülle verborgen
liegt. Besonders zu den Kindern hatte ihr
die Geschichte von Spyris «Heidi» ein
Türlein aufgetan; gerade so scheu und
heimwehkrank wie das Heidi in Frankfurt
lagen hier oft die Bergkinder in den ihnen
ungewohnten weissen Betten. «Kätherli
hast du einen Wunsch?» fragte aus ihren
Gedanken heraus die Schwester, als sie ihm
das Glas mit dem Lindenblüten-Tee an die
Lippen hielt. Und Kätherli hatte einen
Wunsch, einen seltsamen, wie ihn nur
Bergkinder haben können, die mit tausend
Fasern an ihrem Heimatboden festgewurzelt
sind. «Wenn ich Wasser hätte vom Brunnen
daheim in Gretschins, vom Brunnen bei der
alten Trotte, dann würde ich gesund! Es ist
anders als euer Wasser, ganz kalt und
frisch.» Die Schwester versprach, für Wasser
von Gretschins zu sorgen. Aber
wer sollte es bringen? Die Mutter musste
doch bei der kranken Grossmutter und den
kleinen Geschwistern bleiben. Der Vater war
z`Berg mit dem Vieh. Doch Uli, der grosse
Bruder, der wie sein Vater beim Militär
Säumer werden wollte, der konnte gut laufen,
viele Stunden, der würde es schon in
Flaschen bringen im Rucksack. Schauten
nicht Kätherlis Augen schon ein wenig
frischer, da es so der Schwester erzählte?
War nicht die felsenfeste Zuversicht auf die
Heilkraft des Wassers von daheim schon das
erste noch kaum wahrnehmbare Zeichen einer
Wendung zum Guten? Hinter
den Liechtensteiner- und Bündnerbergen stieg
die Sonne hoch, aus den Dörfern rheinauf-
und abwärts klangen die Morgenglocken. Früh
beginnt das Tagewerk im Spital. Als der Arzt
nach Kätherli fragte, das in diesen Tagen
sein Sorgenkind war, gab die Schwester nicht
nur Bericht über die Fieber- und Pulskurve,
sie sagte auch von Kätherlis Wunsch. Und der
Arzt lachte nicht. An hundert Krankenbetten
hatte er es erfahren, dass es Kräfte der
Seele gibt, von denen er auf der Hochschule
kaum etwas gehört hatte. Im Innersten war er
ja überzeugt, dass das Wasser von Gretschins
kaum anders war als das von Grabs, aber
dennoch sollte Kätherli sein Wunsch erfüllt
werden, und zwar sofort. Die Schwester
läutete an in Gretschins, wo das ganze
Dörflein Anteil nahm an Kätherlis Ergehen,
weil sie alle wussten, welche Wunden ein
Kindersterben schlägt. Schnell wurde der
Auftrag der Mutter ausgerichtet. So
rasch hatte sich Uli noch nie gerüstet zu
einem Marsch wie heute, während die Mutter
am Brunnen die Flaschen füllte und in
wollene Tücher packte, damit das Wasser kühl
bleibe. Zwei Stunden später stand er
keuchend und rot vom schnellen Laufen vor
der Spitaltüre, wo die Nachtschwester auf
ihn wartete. Wenn es auch nicht Besuchszeit
war, sollte Uli doch seine kleine Schwester
sehen und ihr selber die ersehnte Labung
bringen. So ging er mit seinen schweren,
staubigen Schuhen unbeholfen auf den
Zehenspitzen neben seiner Begleiterin her
und stand bald an Kätherlis Bett. Scheu
begrüssten sich die beiden. Uli packte seine
Flaschen aus und die Schwester füllte
behutsam ein schönes, altes Glas, das ihr
eigen war. Mit wahrer Andacht trank das
kranke Kind in langen Zügen das Wasser vom
heimatlichen Brunnen. Aufatmend legte es
dann den Kopf mit der Lockenwirrnis auf die
Seite: «Ich danke, jetzt will ich schlafen,
jetzt werde ich gesund!» Uli trug die gute
Botschaft nach Hause, dass man wieder
Hoffnung haben dürfe. Ehe
die Nachtschwester um die Mittagszeit in ihr
abgelegenes verdunkeltes Zimmer hinaufstieg,
schaute sie noch einmal durch den Türspalt
bei Kätherli hinein. Es lag in tiefem
Schlummer, ruhig gingen seine Atemzüge; auf
seinem schmalen Gesichtlein lag nicht mehr
der qualvolle Ausdruck der letzten Tage,
sondern Befreiung und Friede, ein Geschenk
der Gnade. Es war ein Schlaf der Genesung. Im
Psalm 36 steht ein Wort vom Quell des
Lebens. So oft die Schwester diesem Wort
begegnet, erinnert sie sich an den
Dorfbrunnen in Gretschins, der mit Gottes
Hilfe einem kleinen Mädchen zum Lebensquell
werden durfte. Hast
Du, lieber Leser, im göttlichen Wort den
Brunnquell Deines Heils gefunden? Jesus
spricht: «Das Wasser, das ich ihm geben
werde, wird in ihm ein Quell des Wassers
werden, das ins ewige Leben quillt.» (Joh.
4, 14) O.
M.
Besuchen Sie die Seiten von Bertram Rodenkirch, Oberschan SG last update: 23.03.2021 |
|||